Das volk der Athener, das seit dem frieden mit den PeloponnesiernDie ver- fassung der blütezeit. 445 ein zwar gegenüber den hoffnungen von 460 beschränktes, aber dafür von den andern mächten anerkanntes reich beherrschte, konnte mit fug und recht sagen, dass die souveränetät bei ihm selbst stünde, to kratos oder to kuros epi to demo. die vorstellung herrschte, dass alle Athener gleichberechtigt wären, und der wille der majorität der wille der gesammtheit. en gar to pollo eni ta panta, wie Herodot sagt. so wird to plethos to Athenaion identisch mit o demos o Athe- naion. jeder Athener galt als zu allen regelmässigen ämtern befähigt; er sollte es verstehn sowol zu gehorchen wie zu befehlen, und die gleich- berechtigung aller forderte demnach einen turnus für die bekleidung der ämter. demos d anassei diadokhaisin en merei eniausiaisin, wie Theseus sagt. die classenbeschränkung galt zwar noch dem buchstaben nach; an die finanzämter kamen nur leute aus der ersten classe, die letzte hatte auf gar kein wirkliches amt anspruch. aber trotz den ver- änderten besitzverhältnissen war der census der alte geblieben; was wollten 500 scheffel sagen? die kleruchien machten immer mehr theten zu grundbesitzern; giengen sie dorthin, so waren sie faktisch von der staatsleitung ausgeschlossen; blieben sie zu hause, so machten die zinsen ihres pächters sie wahlfähig. ausserdem verdienten sie bei dem dienste auf der so gut wie stehenden flotte, als schützen, wächter und in ähn- lichen stellungen, und zu den körperschaften, die gerade besonders ein- flussreich waren, den 6000 geschworenen und dem rate, hatten sie recht- 1)
1) Aus der notorischen zersplitterung des grundbesitzes folgt bewirtschaftung durch unfreies gesinde. von den preisen und dem ertrage wissen wir zu wenig. aber lohnend war auch dieses gewerbe, und über die concurrenz des pontischen getreides hört man keine klage.
4. ΠΑΤΡΙΟΣ ΠΟΛΙΤΕΙΑ.
Das volk der Athener, das seit dem frieden mit den PeloponnesiernDie ver- fassung der blütezeit. 445 ein zwar gegenüber den hoffnungen von 460 beschränktes, aber dafür von den andern mächten anerkanntes reich beherrschte, konnte mit fug und recht sagen, daſs die souveränetät bei ihm selbst stünde, τὸ κϱάτος oder τὸ κῦϱος ἐπὶ τῷ δήμῳ. die vorstellung herrschte, daſs alle Athener gleichberechtigt wären, und der wille der majorität der wille der gesammtheit. ἐν γὰϱ τῷ πολλῷ ἔνι τὰ πάντα, wie Herodot sagt. so wird τὸ πλῆϑος τὸ Ἀϑηναίων identisch mit ὁ δῆμος ὁ Ἀϑη- ναίων. jeder Athener galt als zu allen regelmäſsigen ämtern befähigt; er sollte es verstehn sowol zu gehorchen wie zu befehlen, und die gleich- berechtigung aller forderte demnach einen turnus für die bekleidung der ämter. δῆμος δ̕ ἀνάσσει διαδοχαῖσιν ἐν μέϱει ἐνιαυσίαισιν, wie Theseus sagt. die classenbeschränkung galt zwar noch dem buchstaben nach; an die finanzämter kamen nur leute aus der ersten classe, die letzte hatte auf gar kein wirkliches amt anspruch. aber trotz den ver- änderten besitzverhältnissen war der census der alte geblieben; was wollten 500 scheffel sagen? die kleruchien machten immer mehr theten zu grundbesitzern; giengen sie dorthin, so waren sie faktisch von der staatsleitung ausgeschlossen; blieben sie zu hause, so machten die zinsen ihres pächters sie wahlfähig. auſserdem verdienten sie bei dem dienste auf der so gut wie stehenden flotte, als schützen, wächter und in ähn- lichen stellungen, und zu den körperschaften, die gerade besonders ein- fluſsreich waren, den 6000 geschworenen und dem rate, hatten sie recht- 1)
1) Aus der notorischen zersplitterung des grundbesitzes folgt bewirtschaftung durch unfreies gesinde. von den preisen und dem ertrage wissen wir zu wenig. aber lohnend war auch dieses gewerbe, und über die concurrenz des pontischen getreides hört man keine klage.
<TEI><text><body><divn="1"><pbn="[103]"facs="#f0113"/><divn="2"><head>4.<lb/><hirendition="#b">ΠΑΤΡΙΟΣΠΟΛΙΤΕΙΑ.</hi></head><lb/><milestoneunit="section"rendition="#hr"/><p>Das volk der Athener, das seit dem frieden mit den Peloponnesiern<noteplace="right">Die ver-<lb/>
fassung der<lb/>
blütezeit.</note><lb/>
445 ein zwar gegenüber den hoffnungen von 460 beschränktes, aber<lb/>
dafür von den andern mächten anerkanntes reich beherrschte, konnte<lb/>
mit fug und recht sagen, daſs die souveränetät bei ihm selbst stünde,<lb/>τὸκϱάτος oder τὸκῦϱοςἐπὶτῷδήμῳ. die vorstellung herrschte, daſs<lb/>
alle Athener gleichberechtigt wären, und der wille der majorität der<lb/>
wille der gesammtheit. ἐνγὰϱτῷπολλῷἔνιτὰπάντα, wie Herodot<lb/>
sagt. so wird τὸπλῆϑοςτὸἈϑηναίων identisch mit ὁδῆμοςὁἈϑη-<lb/>ναίων. jeder Athener galt als zu allen regelmäſsigen ämtern befähigt;<lb/>
er sollte es verstehn sowol zu gehorchen wie zu befehlen, und die gleich-<lb/>
berechtigung aller forderte demnach einen turnus für die bekleidung<lb/>
der ämter. δῆμοςδ̕ἀνάσσειδιαδοχαῖσινἐνμέϱειἐνιαυσίαισιν, wie<lb/>
Theseus sagt. die classenbeschränkung galt zwar noch dem buchstaben<lb/>
nach; an die finanzämter kamen nur leute aus der ersten classe, die<lb/>
letzte hatte auf gar kein wirkliches amt anspruch. aber trotz den ver-<lb/>
änderten besitzverhältnissen war der census der alte geblieben; was<lb/>
wollten 500 scheffel sagen? die kleruchien machten immer mehr theten<lb/>
zu grundbesitzern; giengen sie dorthin, so waren sie faktisch von der<lb/>
staatsleitung ausgeschlossen; blieben sie zu hause, so machten die zinsen<lb/>
ihres pächters sie wahlfähig. auſserdem verdienten sie bei dem dienste<lb/>
auf der so gut wie stehenden flotte, als schützen, wächter und in ähn-<lb/>
lichen stellungen, und zu den körperschaften, die gerade besonders ein-<lb/>
fluſsreich waren, den 6000 geschworenen und dem rate, hatten sie recht-<lb/><noteplace="foot"n="1)">Aus der notorischen zersplitterung des grundbesitzes folgt bewirtschaftung<lb/>
durch unfreies gesinde. von den preisen und dem ertrage wissen wir zu wenig.<lb/>
aber lohnend war auch dieses gewerbe, und über die concurrenz des pontischen<lb/>
getreides hört man keine klage.</note><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[103]/0113]
4.
ΠΑΤΡΙΟΣ ΠΟΛΙΤΕΙΑ.
Das volk der Athener, das seit dem frieden mit den Peloponnesiern
445 ein zwar gegenüber den hoffnungen von 460 beschränktes, aber
dafür von den andern mächten anerkanntes reich beherrschte, konnte
mit fug und recht sagen, daſs die souveränetät bei ihm selbst stünde,
τὸ κϱάτος oder τὸ κῦϱος ἐπὶ τῷ δήμῳ. die vorstellung herrschte, daſs
alle Athener gleichberechtigt wären, und der wille der majorität der
wille der gesammtheit. ἐν γὰϱ τῷ πολλῷ ἔνι τὰ πάντα, wie Herodot
sagt. so wird τὸ πλῆϑος τὸ Ἀϑηναίων identisch mit ὁ δῆμος ὁ Ἀϑη-
ναίων. jeder Athener galt als zu allen regelmäſsigen ämtern befähigt;
er sollte es verstehn sowol zu gehorchen wie zu befehlen, und die gleich-
berechtigung aller forderte demnach einen turnus für die bekleidung
der ämter. δῆμος δ̕ ἀνάσσει διαδοχαῖσιν ἐν μέϱει ἐνιαυσίαισιν, wie
Theseus sagt. die classenbeschränkung galt zwar noch dem buchstaben
nach; an die finanzämter kamen nur leute aus der ersten classe, die
letzte hatte auf gar kein wirkliches amt anspruch. aber trotz den ver-
änderten besitzverhältnissen war der census der alte geblieben; was
wollten 500 scheffel sagen? die kleruchien machten immer mehr theten
zu grundbesitzern; giengen sie dorthin, so waren sie faktisch von der
staatsleitung ausgeschlossen; blieben sie zu hause, so machten die zinsen
ihres pächters sie wahlfähig. auſserdem verdienten sie bei dem dienste
auf der so gut wie stehenden flotte, als schützen, wächter und in ähn-
lichen stellungen, und zu den körperschaften, die gerade besonders ein-
fluſsreich waren, den 6000 geschworenen und dem rate, hatten sie recht-
1)
Die ver-
fassung der
blütezeit.
1) Aus der notorischen zersplitterung des grundbesitzes folgt bewirtschaftung
durch unfreies gesinde. von den preisen und dem ertrage wissen wir zu wenig.
aber lohnend war auch dieses gewerbe, und über die concurrenz des pontischen
getreides hört man keine klage.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. [103]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/113>, abgerufen am 03.03.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.