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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes.
bestimmungen über die rechtspflege durch attische geschworne ein wich-
tiges capitel werden. man hat damals eine besondere behörde für die ein-
bringung bestimmter befristeter processe geschaffen (die eisagoges),
eine andere für die processe der seeleute, die nicht warten konnten
(die nautodikai), denen man dann, wol für die zeit, wo die schiffer
nicht processiren konnten, auch andere beschäftigungen gab. man hat
auf die demenrichter des Peisistratos zurückgegriffen, um auf dem lande
eine rasche erledigung der rechtshändel zu gewähren und die städtischen
tribunale zu entlasten. dass die gemeinden im ganzen 6000 männer
für den geschwornendienst praesentirten, aus denen in jedem falle die
notwendigen ausgelost wurden34), ist sicherlich eine ältere einrichtung
(mag auch die zahl erst jetzt so hoch gebracht sein), denn die auslosung
ist sache der archonten, die bestimmung der gerichtstage und höfe der
thesmotheten. aber es wird erst jetzt der schritt getan sein, aus dem
richteralbum für eine reihe obliegenheiten beamte zu erlosen, die dann
nur eine bestimmte kürzere zeit, aber mit fester besoldung tätig waren.
noch ganz anders als durch die magistrate führte so das volk selbst seine
geschäfte. die städtische centralisation bezweckte man nicht, so wenig
es Peisistratos getan hatte, aber der wirtschaftliche aufschwung brachte
sie mit sich, jetzt wie damals. und an eines gieng man mit äusserster
energie, sobald man nach aussen zu activer politik sich entschlossen
hatte. man vollendete das niemals fallen gelassene, aber von der frü-
heren regierung absichtlich verschleppte werk des Themistokles, verband
Athen mit dem hafen und der see durch schenkelmauern, machte es zu
einer uneinnehmbaren festung, aber auch zu einer grossstadt und zu
einer seestadt. nicht ohne grund sahen gerade hierin die "ansehnlichen
leute" den untergang von Altathen. die leidenschaft in dieser durch

34) Die leute vom lande mussten in die stadt gehn, auch auf die gefahr hin,
dass die thesmotheten keine gerichte hielten, und dann war es nichts mit dem
solde: so schildert es beweglich der Wespenchor 304. damals hatte das keine
gefahr. wenn kein festtag war, oder volksversammlung, konnten die ausgelosten
auf den sold rechnen, und mit der üblen chance, dass ihn das los nicht träfe,
rechnet auch der chor nicht. also fanden in der regel die erschienenen alle ver-
wendung. die spätere complicirte procedur der losung existirte natürlich nicht.
nun denke man sich die ältere zeit, ohne diaeten, mit wenig processen. da kann
doch nur der einzelne heliast, der im album stand, von dem archon seiner phyle
citirt sein, oder es sind feste gerichtstage gehalten. dass wir das nicht wissen, ist
ein deutliches zeichen, wie wenig man die alten verhältnisse später sich auch nur
denken konnte; dass man jetzt danach so wenig fragt, zeigt, wie wenig man sich
die dinge lebendig macht.

II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes.
bestimmungen über die rechtspflege durch attische geschworne ein wich-
tiges capitel werden. man hat damals eine besondere behörde für die ein-
bringung bestimmter befristeter processe geschaffen (die εἰσαγωγῆς),
eine andere für die processe der seeleute, die nicht warten konnten
(die ναυτοδίκαι), denen man dann, wol für die zeit, wo die schiffer
nicht processiren konnten, auch andere beschäftigungen gab. man hat
auf die demenrichter des Peisistratos zurückgegriffen, um auf dem lande
eine rasche erledigung der rechtshändel zu gewähren und die städtischen
tribunale zu entlasten. daſs die gemeinden im ganzen 6000 männer
für den geschwornendienst praesentirten, aus denen in jedem falle die
notwendigen ausgelost wurden34), ist sicherlich eine ältere einrichtung
(mag auch die zahl erst jetzt so hoch gebracht sein), denn die auslosung
ist sache der archonten, die bestimmung der gerichtstage und höfe der
thesmotheten. aber es wird erst jetzt der schritt getan sein, aus dem
richteralbum für eine reihe obliegenheiten beamte zu erlosen, die dann
nur eine bestimmte kürzere zeit, aber mit fester besoldung tätig waren.
noch ganz anders als durch die magistrate führte so das volk selbst seine
geschäfte. die städtische centralisation bezweckte man nicht, so wenig
es Peisistratos getan hatte, aber der wirtschaftliche aufschwung brachte
sie mit sich, jetzt wie damals. und an eines gieng man mit äuſserster
energie, sobald man nach auſsen zu activer politik sich entschlossen
hatte. man vollendete das niemals fallen gelassene, aber von der frü-
heren regierung absichtlich verschleppte werk des Themistokles, verband
Athen mit dem hafen und der see durch schenkelmauern, machte es zu
einer uneinnehmbaren festung, aber auch zu einer groſsstadt und zu
einer seestadt. nicht ohne grund sahen gerade hierin die “ansehnlichen
leute” den untergang von Altathen. die leidenschaft in dieser durch

34) Die leute vom lande muſsten in die stadt gehn, auch auf die gefahr hin,
daſs die thesmotheten keine gerichte hielten, und dann war es nichts mit dem
solde: so schildert es beweglich der Wespenchor 304. damals hatte das keine
gefahr. wenn kein festtag war, oder volksversammlung, konnten die ausgelosten
auf den sold rechnen, und mit der üblen chance, daſs ihn das los nicht träfe,
rechnet auch der chor nicht. also fanden in der regel die erschienenen alle ver-
wendung. die spätere complicirte procedur der losung existirte natürlich nicht.
nun denke man sich die ältere zeit, ohne diaeten, mit wenig processen. da kann
doch nur der einzelne heliast, der im album stand, von dem archon seiner phyle
citirt sein, oder es sind feste gerichtstage gehalten. daſs wir das nicht wissen, ist
ein deutliches zeichen, wie wenig man die alten verhältnisse später sich auch nur
denken konnte; daſs man jetzt danach so wenig fragt, zeigt, wie wenig man sich
die dinge lebendig macht.
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[96/0106] II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. bestimmungen über die rechtspflege durch attische geschworne ein wich- tiges capitel werden. man hat damals eine besondere behörde für die ein- bringung bestimmter befristeter processe geschaffen (die εἰσαγωγῆς), eine andere für die processe der seeleute, die nicht warten konnten (die ναυτοδίκαι), denen man dann, wol für die zeit, wo die schiffer nicht processiren konnten, auch andere beschäftigungen gab. man hat auf die demenrichter des Peisistratos zurückgegriffen, um auf dem lande eine rasche erledigung der rechtshändel zu gewähren und die städtischen tribunale zu entlasten. daſs die gemeinden im ganzen 6000 männer für den geschwornendienst praesentirten, aus denen in jedem falle die notwendigen ausgelost wurden 34), ist sicherlich eine ältere einrichtung (mag auch die zahl erst jetzt so hoch gebracht sein), denn die auslosung ist sache der archonten, die bestimmung der gerichtstage und höfe der thesmotheten. aber es wird erst jetzt der schritt getan sein, aus dem richteralbum für eine reihe obliegenheiten beamte zu erlosen, die dann nur eine bestimmte kürzere zeit, aber mit fester besoldung tätig waren. noch ganz anders als durch die magistrate führte so das volk selbst seine geschäfte. die städtische centralisation bezweckte man nicht, so wenig es Peisistratos getan hatte, aber der wirtschaftliche aufschwung brachte sie mit sich, jetzt wie damals. und an eines gieng man mit äuſserster energie, sobald man nach auſsen zu activer politik sich entschlossen hatte. man vollendete das niemals fallen gelassene, aber von der frü- heren regierung absichtlich verschleppte werk des Themistokles, verband Athen mit dem hafen und der see durch schenkelmauern, machte es zu einer uneinnehmbaren festung, aber auch zu einer groſsstadt und zu einer seestadt. nicht ohne grund sahen gerade hierin die “ansehnlichen leute” den untergang von Altathen. die leidenschaft in dieser durch 34) Die leute vom lande muſsten in die stadt gehn, auch auf die gefahr hin, daſs die thesmotheten keine gerichte hielten, und dann war es nichts mit dem solde: so schildert es beweglich der Wespenchor 304. damals hatte das keine gefahr. wenn kein festtag war, oder volksversammlung, konnten die ausgelosten auf den sold rechnen, und mit der üblen chance, daſs ihn das los nicht träfe, rechnet auch der chor nicht. also fanden in der regel die erschienenen alle ver- wendung. die spätere complicirte procedur der losung existirte natürlich nicht. nun denke man sich die ältere zeit, ohne diaeten, mit wenig processen. da kann doch nur der einzelne heliast, der im album stand, von dem archon seiner phyle citirt sein, oder es sind feste gerichtstage gehalten. daſs wir das nicht wissen, ist ein deutliches zeichen, wie wenig man die alten verhältnisse später sich auch nur denken konnte; daſs man jetzt danach so wenig fragt, zeigt, wie wenig man sich die dinge lebendig macht.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/106>, abgerufen am 24.11.2024.