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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes.
denken. in den kriegen, glücklichen und unglücklichen, waren Kimon
und andere wesentlich militärisch begabte oder doch tätige männer, wie
Leagros, Leokrates, Myronides, dauernd die führer; in den bundesan-
gelegenheiten Aristeides. wir hören von keinerlei parteiungen oder
verfassungsänderungen. die leitenden männer gehören meistens den
alten familien an, aber die geschlechter- und clientelpolitik ist der ge-
meindeordnung fast erlegen. nur die Philaiden mit ihrem reichtum
bilden noch eine partei im alten sinne, und der feldherr, der im aus-
lande über das geschick von vielen gemeinden und unzähligen indivi-
duen verfügen kann, gewinnt dadurch eine neue mächtige position,
schliesst gastverträge, wird proxenos, vemittelt die entsprechenden ehren
in Athen, schliesslich zieht er fremde nicht bloss als metöken, sondern
selbst als bürger in die heimat.32)

Die grösse des horizontes, den jetzt die attische staatsleitung um-
spannen musste, forderte mehr einsicht, als der bauer sich füglich zu-
traute. selbst der feldherr, der auf einem punkte draussen tätig war,
konnte nicht wol mehr als der arm Athens sein. die archonten sassen
nun zwar zu hause, aber sie hatten ihre festen verwaltungsgeschäfte;
die grosse politik gieng sie nichts mehr an. das hirn Athens war der
Areopag, der zwar nicht die verhandlungen mit den bündnern führte,
aber die controlle der beamten hatte, für ihre amtshandlungen be-
schwerdeinstanz war, in die meisten gebiete der verwaltung eingriff,
kurz "wächter und bewahrer der verfassung" war. aber die qualität
dieses hohen rates sank in folge des gesetzes von 486 immer tiefer.
damals sassen alle bedeutenden männer darin, die das vertrauen des
volkes einmal zu beamten gewählt hatte; damals entsprach er dem
sullanischen senate, oder vielmehr erst ein etwa nur aus den gewesenen
curulischen beamten bestehender senat würde ihm entsprechen. das
verschob sich notwendiger weise von jahr zu jahr mehr. die namhaften
mitglieder wurden überständig oder starben, die neueintretenden hatten
weder die fähigkeit noch die autorität, die gegenüber der steigenden
schwierigkeit der regierung und der steigenden bedeutung der strategen
allein die stellung dieses rates hätte behaupten können. es waren zwar

32) Vgl. die Thoukudidai, Kephalos Thourieus. beiläufig, wenn man auf die
funde schon einen negativen schluss bauen kann, so sind bürger abhängiger Reichs-
städte zu der würde des proxenos Athenaion nicht mehr zugelassen. und das ist
in der ordnung, da sie ja ihren gerichtsstand in Athen so wie so haben, und nicht
der untertan den vorort beschützen kann. für Lesbos Samos Chios gilt das natür-
lich so wenig wie für Thessalien oder Akarnanien.

II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes.
denken. in den kriegen, glücklichen und unglücklichen, waren Kimon
und andere wesentlich militärisch begabte oder doch tätige männer, wie
Leagros, Leokrates, Myronides, dauernd die führer; in den bundesan-
gelegenheiten Aristeides. wir hören von keinerlei parteiungen oder
verfassungsänderungen. die leitenden männer gehören meistens den
alten familien an, aber die geschlechter- und clientelpolitik ist der ge-
meindeordnung fast erlegen. nur die Philaiden mit ihrem reichtum
bilden noch eine partei im alten sinne, und der feldherr, der im aus-
lande über das geschick von vielen gemeinden und unzähligen indivi-
duen verfügen kann, gewinnt dadurch eine neue mächtige position,
schlieſst gastverträge, wird proxenos, vemittelt die entsprechenden ehren
in Athen, schlieſslich zieht er fremde nicht bloſs als metöken, sondern
selbst als bürger in die heimat.32)

Die gröſse des horizontes, den jetzt die attische staatsleitung um-
spannen muſste, forderte mehr einsicht, als der bauer sich füglich zu-
traute. selbst der feldherr, der auf einem punkte drauſsen tätig war,
konnte nicht wol mehr als der arm Athens sein. die archonten saſsen
nun zwar zu hause, aber sie hatten ihre festen verwaltungsgeschäfte;
die groſse politik gieng sie nichts mehr an. das hirn Athens war der
Areopag, der zwar nicht die verhandlungen mit den bündnern führte,
aber die controlle der beamten hatte, für ihre amtshandlungen be-
schwerdeinstanz war, in die meisten gebiete der verwaltung eingriff,
kurz “wächter und bewahrer der verfassung” war. aber die qualität
dieses hohen rates sank in folge des gesetzes von 486 immer tiefer.
damals saſsen alle bedeutenden männer darin, die das vertrauen des
volkes einmal zu beamten gewählt hatte; damals entsprach er dem
sullanischen senate, oder vielmehr erst ein etwa nur aus den gewesenen
curulischen beamten bestehender senat würde ihm entsprechen. das
verschob sich notwendiger weise von jahr zu jahr mehr. die namhaften
mitglieder wurden überständig oder starben, die neueintretenden hatten
weder die fähigkeit noch die autorität, die gegenüber der steigenden
schwierigkeit der regierung und der steigenden bedeutung der strategen
allein die stellung dieses rates hätte behaupten können. es waren zwar

32) Vgl. die Θουκυδίδαι, Κέφαλος Θουϱιεύς. beiläufig, wenn man auf die
funde schon einen negativen schluſs bauen kann, so sind bürger abhängiger Reichs-
städte zu der würde des πϱόξενος Ἀϑηναίων nicht mehr zugelassen. und das ist
in der ordnung, da sie ja ihren gerichtsstand in Athen so wie so haben, und nicht
der untertan den vorort beschützen kann. für Lesbos Samos Chios gilt das natür-
lich so wenig wie für Thessalien oder Akarnanien.
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[92/0102] II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. denken. in den kriegen, glücklichen und unglücklichen, waren Kimon und andere wesentlich militärisch begabte oder doch tätige männer, wie Leagros, Leokrates, Myronides, dauernd die führer; in den bundesan- gelegenheiten Aristeides. wir hören von keinerlei parteiungen oder verfassungsänderungen. die leitenden männer gehören meistens den alten familien an, aber die geschlechter- und clientelpolitik ist der ge- meindeordnung fast erlegen. nur die Philaiden mit ihrem reichtum bilden noch eine partei im alten sinne, und der feldherr, der im aus- lande über das geschick von vielen gemeinden und unzähligen indivi- duen verfügen kann, gewinnt dadurch eine neue mächtige position, schlieſst gastverträge, wird proxenos, vemittelt die entsprechenden ehren in Athen, schlieſslich zieht er fremde nicht bloſs als metöken, sondern selbst als bürger in die heimat. 32) Die gröſse des horizontes, den jetzt die attische staatsleitung um- spannen muſste, forderte mehr einsicht, als der bauer sich füglich zu- traute. selbst der feldherr, der auf einem punkte drauſsen tätig war, konnte nicht wol mehr als der arm Athens sein. die archonten saſsen nun zwar zu hause, aber sie hatten ihre festen verwaltungsgeschäfte; die groſse politik gieng sie nichts mehr an. das hirn Athens war der Areopag, der zwar nicht die verhandlungen mit den bündnern führte, aber die controlle der beamten hatte, für ihre amtshandlungen be- schwerdeinstanz war, in die meisten gebiete der verwaltung eingriff, kurz “wächter und bewahrer der verfassung” war. aber die qualität dieses hohen rates sank in folge des gesetzes von 486 immer tiefer. damals saſsen alle bedeutenden männer darin, die das vertrauen des volkes einmal zu beamten gewählt hatte; damals entsprach er dem sullanischen senate, oder vielmehr erst ein etwa nur aus den gewesenen curulischen beamten bestehender senat würde ihm entsprechen. das verschob sich notwendiger weise von jahr zu jahr mehr. die namhaften mitglieder wurden überständig oder starben, die neueintretenden hatten weder die fähigkeit noch die autorität, die gegenüber der steigenden schwierigkeit der regierung und der steigenden bedeutung der strategen allein die stellung dieses rates hätte behaupten können. es waren zwar 32) Vgl. die Θουκυδίδαι, Κέφαλος Θουϱιεύς. beiläufig, wenn man auf die funde schon einen negativen schluſs bauen kann, so sind bürger abhängiger Reichs- städte zu der würde des πϱόξενος Ἀϑηναίων nicht mehr zugelassen. und das ist in der ordnung, da sie ja ihren gerichtsstand in Athen so wie so haben, und nicht der untertan den vorort beschützen kann. für Lesbos Samos Chios gilt das natür- lich so wenig wie für Thessalien oder Akarnanien.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/102>, abgerufen am 24.11.2024.