Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

Politik B 12.
Hypereides (Euxen. 26) sagt airetheis upo sou und bezeichnet damit die
designation eines von der phyle zu wählenden sunegoros, wo also etwa
proballein statt aireisthai erwartet wird. es ist in dem wahlmodus des
kleroun ek prokriton, der erlosung aus einer durch wahl bestimmten
liste, zufall und absicht combinirt, und je nach dem, auf welchen der
beiden acte der redende gewicht legt, kann er das ganze danach bezeichnen.
so stellt Aristoteles selbst 22, 4 die arkhontes airetoi dem kuameuein
ek prokrithenton entgegen, und kann doch tas arkhas aireisthai von
diesem letzteren wahlmodus sagen. aireisthai ist eben eine vox media. wo
auf die directe volkswahl etwas ankommt, wie bei allen militärischen
chargen, ist der unzweideutige ausdruck kheirotonein feststehend. wir
verfügen nicht leicht über analoga, aber wir betrachten doch den ab-
geordneten als einen gewählten, über den in der stichwahl das los ent-
schieden hat, und wenn z. b. die kreistage fünf candidaten wählten, von
denen einer als vertreter des kreises im provinziallandtage ausgelost
würde, so könnte dieser sowol als ein gewählter vertreter angesehn
werden, wie im gegensatze zu dem direct gewählten reichstagsabgeord-
neten als erlost. erst darin kann man wirklich eine schwierigkeit finden,
dass die wahl der beamten in der Politik vorsolonisch heisst, während
nach der Politie der Areopag die meisten stellen bis auf Solon besetzte.
allein das löst sich so, dass ja nur die archonten beamten sind, auf die
es für die verfassung ankommt, und die werden in der tat vorher ge-
wählt, und zwar ploutinden (3, 6). da also die erlosung aus einer liste
gewählter candidaten, die einzige neuerung Solons, mit recht oder un-
recht dem Aristoteles wie dem Isokrates unwesentlich schien, weil sie
den aristokratischen charakter des wahlmodus nicht beeinflusste, so hatte
er vollkommen recht, zu reden wie er getan hat. 47)

ta patria, und auf eine von den demen festgestellte liste von prokrithentes geht
der rat immer zurück. aber sie forderten 411 den vorschlag der phyle. ich zweifele
nicht, dass uns dadurch der wahlmodus des solonischen und drakontischen rates
erhalten ist. erstens spricht die analogie dafür, und dann hat niemand später die
alten institutionen so gut gekannt wie die Antiphon, Theramenes und genossen.
47) Dabei habe ich die voraussetzung festgehalten, dass Aristoteles in der
Politik von Drakons verfassung nichts wusste. in ihr ist die wahl der hohen be-
amten nach vermögensclassen, daneben für andere niedere beamte das los vor-
gesehn. wenn sie mitgerechnet wird, ist die stelle über die wahl ohne weiteres
klar. aber die Politie, die den Drakon kennt, führt zwar, wie wir gesehen haben,
die steuerclassen als solonisch auf, ganz wie die Politie, doch mit dem dort fehlenden
zusatze, dass sie älter waren. das kann er nicht wol gewusst haben, als er die Politik
schrieb.

Politik B 12.
Hypereides (Euxen. 26) sagt αἱϱεϑεὶς ὑπὸ σοῦ und bezeichnet damit die
designation eines von der phyle zu wählenden συνήγοϱος, wo also etwa
πϱοβάλλειν statt αἱϱεῖσϑαι erwartet wird. es ist in dem wahlmodus des
κληϱοῦν ἐκ πϱοκϱίτων, der erlosung aus einer durch wahl bestimmten
liste, zufall und absicht combinirt, und je nach dem, auf welchen der
beiden acte der redende gewicht legt, kann er das ganze danach bezeichnen.
so stellt Aristoteles selbst 22, 4 die ἄϱχοντες αἱϱετοί dem κυαμεύειν
ἐκ πϱοκϱιϑέντων entgegen, und kann doch τὰς ἀϱχὰς αἱϱεῖσϑαι von
diesem letzteren wahlmodus sagen. αἱϱεῖσϑαι ist eben eine vox media. wo
auf die directe volkswahl etwas ankommt, wie bei allen militärischen
chargen, ist der unzweideutige ausdruck χειϱοτονεῖν feststehend. wir
verfügen nicht leicht über analoga, aber wir betrachten doch den ab-
geordneten als einen gewählten, über den in der stichwahl das los ent-
schieden hat, und wenn z. b. die kreistage fünf candidaten wählten, von
denen einer als vertreter des kreises im provinziallandtage ausgelost
würde, so könnte dieser sowol als ein gewählter vertreter angesehn
werden, wie im gegensatze zu dem direct gewählten reichstagsabgeord-
neten als erlost. erst darin kann man wirklich eine schwierigkeit finden,
daſs die wahl der beamten in der Politik vorsolonisch heiſst, während
nach der Politie der Areopag die meisten stellen bis auf Solon besetzte.
allein das löst sich so, daſs ja nur die archonten beamten sind, auf die
es für die verfassung ankommt, und die werden in der tat vorher ge-
wählt, und zwar πλουτίνδην (3, 6). da also die erlosung aus einer liste
gewählter candidaten, die einzige neuerung Solons, mit recht oder un-
recht dem Aristoteles wie dem Isokrates unwesentlich schien, weil sie
den aristokratischen charakter des wahlmodus nicht beeinfluſste, so hatte
er vollkommen recht, zu reden wie er getan hat. 47)

τὰ πάτϱια, und auf eine von den demen festgestellte liste von πϱοκϱιϑέντες geht
der rat immer zurück. aber sie forderten 411 den vorschlag der phyle. ich zweifele
nicht, daſs uns dadurch der wahlmodus des solonischen und drakontischen rates
erhalten ist. erstens spricht die analogie dafür, und dann hat niemand später die
alten institutionen so gut gekannt wie die Antiphon, Theramenes und genossen.
47) Dabei habe ich die voraussetzung festgehalten, daſs Aristoteles in der
Politik von Drakons verfassung nichts wuſste. in ihr ist die wahl der hohen be-
amten nach vermögensclassen, daneben für andere niedere beamte das los vor-
gesehn. wenn sie mitgerechnet wird, ist die stelle über die wahl ohne weiteres
klar. aber die Politie, die den Drakon kennt, führt zwar, wie wir gesehen haben,
die steuerclassen als solonisch auf, ganz wie die Politie, doch mit dem dort fehlenden
zusatze, daſs sie älter waren. das kann er nicht wol gewuſst haben, als er die Politik
schrieb.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0087" n="73"/><fw place="top" type="header">Politik B 12.</fw><lb/>
Hypereides (Euxen. 26) sagt &#x03B1;&#x1F31;&#x03F1;&#x03B5;&#x03D1;&#x03B5;&#x1F76;&#x03C2; &#x1F51;&#x03C0;&#x1F78; &#x03C3;&#x03BF;&#x1FE6; und bezeichnet damit die<lb/>
designation eines von der phyle zu wählenden &#x03C3;&#x03C5;&#x03BD;&#x03AE;&#x03B3;&#x03BF;&#x03F1;&#x03BF;&#x03C2;, wo also etwa<lb/>
&#x03C0;&#x03F1;&#x03BF;&#x03B2;&#x03AC;&#x03BB;&#x03BB;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BD; statt &#x03B1;&#x1F31;&#x03F1;&#x03B5;&#x1FD6;&#x03C3;&#x03D1;&#x03B1;&#x03B9; erwartet wird. es ist in dem wahlmodus des<lb/>
&#x03BA;&#x03BB;&#x03B7;&#x03F1;&#x03BF;&#x1FE6;&#x03BD; &#x1F10;&#x03BA; &#x03C0;&#x03F1;&#x03BF;&#x03BA;&#x03F1;&#x03AF;&#x03C4;&#x03C9;&#x03BD;, der erlosung aus einer durch wahl bestimmten<lb/>
liste, zufall und absicht combinirt, und je nach dem, auf welchen der<lb/>
beiden acte der redende gewicht legt, kann er das ganze danach bezeichnen.<lb/>
so stellt Aristoteles selbst 22, 4 die &#x1F04;&#x03F1;&#x03C7;&#x03BF;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B5;&#x03C2; &#x03B1;&#x1F31;&#x03F1;&#x03B5;&#x03C4;&#x03BF;&#x03AF; dem &#x03BA;&#x03C5;&#x03B1;&#x03BC;&#x03B5;&#x03CD;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BD;<lb/>
&#x1F10;&#x03BA; &#x03C0;&#x03F1;&#x03BF;&#x03BA;&#x03F1;&#x03B9;&#x03D1;&#x03AD;&#x03BD;&#x03C4;&#x03C9;&#x03BD; entgegen, und kann doch &#x03C4;&#x1F70;&#x03C2; &#x1F00;&#x03F1;&#x03C7;&#x1F70;&#x03C2; &#x03B1;&#x1F31;&#x03F1;&#x03B5;&#x1FD6;&#x03C3;&#x03D1;&#x03B1;&#x03B9; von<lb/>
diesem letzteren wahlmodus sagen. &#x03B1;&#x1F31;&#x03F1;&#x03B5;&#x1FD6;&#x03C3;&#x03D1;&#x03B1;&#x03B9; ist eben eine vox media. wo<lb/>
auf die directe volkswahl etwas ankommt, wie bei allen militärischen<lb/>
chargen, ist der unzweideutige ausdruck &#x03C7;&#x03B5;&#x03B9;&#x03F1;&#x03BF;&#x03C4;&#x03BF;&#x03BD;&#x03B5;&#x1FD6;&#x03BD; feststehend. wir<lb/>
verfügen nicht leicht über analoga, aber wir betrachten doch den ab-<lb/>
geordneten als einen gewählten, über den in der stichwahl das los ent-<lb/>
schieden hat, und wenn z. b. die kreistage fünf candidaten wählten, von<lb/>
denen einer als vertreter des kreises im provinziallandtage ausgelost<lb/>
würde, so könnte dieser sowol als ein gewählter vertreter angesehn<lb/>
werden, wie im gegensatze zu dem direct gewählten reichstagsabgeord-<lb/>
neten als erlost. erst darin kann man wirklich eine schwierigkeit finden,<lb/>
da&#x017F;s die wahl der beamten in der Politik vorsolonisch hei&#x017F;st, während<lb/>
nach der Politie der Areopag die meisten stellen bis auf Solon besetzte.<lb/>
allein das löst sich so, da&#x017F;s ja nur die archonten beamten sind, auf die<lb/>
es für die verfassung ankommt, und die werden in der tat vorher ge-<lb/>
wählt, und zwar &#x03C0;&#x03BB;&#x03BF;&#x03C5;&#x03C4;&#x03AF;&#x03BD;&#x03B4;&#x03B7;&#x03BD; (3, 6). da also die erlosung aus einer liste<lb/>
gewählter candidaten, die einzige neuerung Solons, mit recht oder un-<lb/>
recht dem Aristoteles wie dem Isokrates unwesentlich schien, weil sie<lb/>
den aristokratischen charakter des wahlmodus nicht beeinflu&#x017F;ste, so hatte<lb/>
er vollkommen recht, zu reden wie er getan hat. <note place="foot" n="47)">Dabei habe ich die voraussetzung festgehalten, da&#x017F;s Aristoteles in der<lb/>
Politik von Drakons verfassung nichts wu&#x017F;ste. in ihr ist die wahl der hohen be-<lb/>
amten nach vermögensclassen, daneben für andere niedere beamte das los vor-<lb/>
gesehn. wenn sie mitgerechnet wird, ist die stelle über die wahl ohne weiteres<lb/>
klar. aber die Politie, die den Drakon kennt, führt zwar, wie wir gesehen haben,<lb/>
die steuerclassen als solonisch auf, ganz wie die Politie, doch mit dem dort fehlenden<lb/>
zusatze, da&#x017F;s sie älter waren. das kann er nicht wol gewu&#x017F;st haben, als er die Politik<lb/>
schrieb.</note></p><lb/>
          <note xml:id="note-0087" prev="#note-0086" place="foot" n="46)">&#x03C4;&#x1F70; &#x03C0;&#x03AC;&#x03C4;&#x03F1;&#x03B9;&#x03B1;, und auf eine von den demen festgestellte liste von &#x03C0;&#x03F1;&#x03BF;&#x03BA;&#x03F1;&#x03B9;&#x03D1;&#x03AD;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B5;&#x03C2; geht<lb/>
der rat immer zurück. aber sie forderten 411 den vorschlag der phyle. ich zweifele<lb/>
nicht, da&#x017F;s uns dadurch der wahlmodus des solonischen und drakontischen rates<lb/>
erhalten ist. erstens spricht die analogie dafür, und dann hat niemand später die<lb/>
alten institutionen so gut gekannt wie die Antiphon, Theramenes und genossen.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0087] Politik B 12. Hypereides (Euxen. 26) sagt αἱϱεϑεὶς ὑπὸ σοῦ und bezeichnet damit die designation eines von der phyle zu wählenden συνήγοϱος, wo also etwa πϱοβάλλειν statt αἱϱεῖσϑαι erwartet wird. es ist in dem wahlmodus des κληϱοῦν ἐκ πϱοκϱίτων, der erlosung aus einer durch wahl bestimmten liste, zufall und absicht combinirt, und je nach dem, auf welchen der beiden acte der redende gewicht legt, kann er das ganze danach bezeichnen. so stellt Aristoteles selbst 22, 4 die ἄϱχοντες αἱϱετοί dem κυαμεύειν ἐκ πϱοκϱιϑέντων entgegen, und kann doch τὰς ἀϱχὰς αἱϱεῖσϑαι von diesem letzteren wahlmodus sagen. αἱϱεῖσϑαι ist eben eine vox media. wo auf die directe volkswahl etwas ankommt, wie bei allen militärischen chargen, ist der unzweideutige ausdruck χειϱοτονεῖν feststehend. wir verfügen nicht leicht über analoga, aber wir betrachten doch den ab- geordneten als einen gewählten, über den in der stichwahl das los ent- schieden hat, und wenn z. b. die kreistage fünf candidaten wählten, von denen einer als vertreter des kreises im provinziallandtage ausgelost würde, so könnte dieser sowol als ein gewählter vertreter angesehn werden, wie im gegensatze zu dem direct gewählten reichstagsabgeord- neten als erlost. erst darin kann man wirklich eine schwierigkeit finden, daſs die wahl der beamten in der Politik vorsolonisch heiſst, während nach der Politie der Areopag die meisten stellen bis auf Solon besetzte. allein das löst sich so, daſs ja nur die archonten beamten sind, auf die es für die verfassung ankommt, und die werden in der tat vorher ge- wählt, und zwar πλουτίνδην (3, 6). da also die erlosung aus einer liste gewählter candidaten, die einzige neuerung Solons, mit recht oder un- recht dem Aristoteles wie dem Isokrates unwesentlich schien, weil sie den aristokratischen charakter des wahlmodus nicht beeinfluſste, so hatte er vollkommen recht, zu reden wie er getan hat. 47) 46) 47) Dabei habe ich die voraussetzung festgehalten, daſs Aristoteles in der Politik von Drakons verfassung nichts wuſste. in ihr ist die wahl der hohen be- amten nach vermögensclassen, daneben für andere niedere beamte das los vor- gesehn. wenn sie mitgerechnet wird, ist die stelle über die wahl ohne weiteres klar. aber die Politie, die den Drakon kennt, führt zwar, wie wir gesehen haben, die steuerclassen als solonisch auf, ganz wie die Politie, doch mit dem dort fehlenden zusatze, daſs sie älter waren. das kann er nicht wol gewuſst haben, als er die Politik schrieb. 46) τὰ πάτϱια, und auf eine von den demen festgestellte liste von πϱοκϱιϑέντες geht der rat immer zurück. aber sie forderten 411 den vorschlag der phyle. ich zweifele nicht, daſs uns dadurch der wahlmodus des solonischen und drakontischen rates erhalten ist. erstens spricht die analogie dafür, und dann hat niemand später die alten institutionen so gut gekannt wie die Antiphon, Theramenes und genossen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/87
Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/87>, abgerufen am 21.11.2024.