in alter zeit schwerlich ein amtslocal war. aber gerade diese angabe kann durch eine corruptel der Aristotelesstelle am wenigsten erklärt werden.
Dass die erzählungen von der mythischen zeit Athens, Ion und seine söhne, Pandion und seine söhne, der demokratenkönig Theseus, der auf Skyros stirbt, was etwa von der alten gliederung des adels und aus der königszeit erzählt war und dgl. alles aus der Atthis stammt, wird man ohne weiteres annehmen: verwachsen ist ja auch alles mit der chronik, in der wir die verschollenen könige Akastos und Medon, und die ar- chonten des siebenten jahrhunderts Megakles und Aristaichmos feste plätze einnehmen sehen. und wenn es manchen befremden wird, dass Aristo- teles in Solon zwar den ersten Athener mit freuden erkannt hat, von dem sich ein menschliches bild gewinnen liess, aber die sicher für ihn lösbare aufgabe verschmäht, sich von seiner gesetzgebung ein bild zu verschaffen, so werden wir es alle seiner art ganz entsprechend finden, dass er die alten widerspruchsvollen traditionen weder ganz wegwarf noch im ein- zelnen prüfte, sondern ta malista eikota über sie wiedergab. worauf es ihm ankam, das war nur eines, und das hebt er scharf und deutlich hervor: der wirtschaftliche notstand, der in den frohnden und der schuld- knechtschaft des niederen volkes lag.
Ganz besonders einleuchtend wird das quellenverhältnis, weil einDie verfassung Drakons. fremdes stück dazwischen steht, die gesetzgebung Drakons. das ist ein stück von urkundlichem charakter und wird als solches eingefügt, zum teil in indirecter rede; wir haben gesehen, nicht ohne misstände inhalt- licher art zu erzeugen (s. 49). es fällt auch chronologisch aus dem zusammenhange heraus, trotz dem archon der chronik, unter dem natür- lich das factum der gesetzgebung stand. auf das gericht über die mörder Kylons, das so spät erst gehalten ward, dass die eigentlichen täter schon im grabe lagen, folgt eine lange zeit des zwistes zwischen adel und volk (2,1). der schriftsteller setzt sehr passend an diese stelle eine schilderung der ältesten verfassung, denn sie bedingte die gesellschafts- ordnung die das volk nicht mehr ertragen konnte, die aber erst Solon gestürzt hat. man erwartet, dass nun der retter auftritt. aber nein, "danach gab nach verlauf von kurzer zeit Drakon seine gesetze" heisst es 4, 1. meta tauta khronou tinos ou pollou dielthontos: wonach denn? nach dem gericht über die mörder oder nach dem 'langen zwiste'?. gemeint kann nur das erste sein, weil wir wenigstens wissen, dass Alkmeon, der sohn des zur zeit jenes gerichtes schon verstorbenen Megakles um 590 selbst noch rüstig war, aber einen heiratsfähigen sohn hatte. aber aus den worten wie sie hier stehn, kann man eben so gut das gegen-
Die vorsolonische zeit. die verfassung Drakons.
in alter zeit schwerlich ein amtslocal war. aber gerade diese angabe kann durch eine corruptel der Aristotelesstelle am wenigsten erklärt werden.
Daſs die erzählungen von der mythischen zeit Athens, Ion und seine söhne, Pandion und seine söhne, der demokratenkönig Theseus, der auf Skyros stirbt, was etwa von der alten gliederung des adels und aus der königszeit erzählt war und dgl. alles aus der Atthis stammt, wird man ohne weiteres annehmen: verwachsen ist ja auch alles mit der chronik, in der wir die verschollenen könige Akastos und Medon, und die ar- chonten des siebenten jahrhunderts Megakles und Aristaichmos feste plätze einnehmen sehen. und wenn es manchen befremden wird, daſs Aristo- teles in Solon zwar den ersten Athener mit freuden erkannt hat, von dem sich ein menschliches bild gewinnen lieſs, aber die sicher für ihn lösbare aufgabe verschmäht, sich von seiner gesetzgebung ein bild zu verschaffen, so werden wir es alle seiner art ganz entsprechend finden, daſs er die alten widerspruchsvollen traditionen weder ganz wegwarf noch im ein- zelnen prüfte, sondern τὰ μάλιστα εἰκότα über sie wiedergab. worauf es ihm ankam, das war nur eines, und das hebt er scharf und deutlich hervor: der wirtschaftliche notstand, der in den frohnden und der schuld- knechtschaft des niederen volkes lag.
Ganz besonders einleuchtend wird das quellenverhältnis, weil einDie verfassung Drakons. fremdes stück dazwischen steht, die gesetzgebung Drakons. das ist ein stück von urkundlichem charakter und wird als solches eingefügt, zum teil in indirecter rede; wir haben gesehen, nicht ohne misstände inhalt- licher art zu erzeugen (s. 49). es fällt auch chronologisch aus dem zusammenhange heraus, trotz dem archon der chronik, unter dem natür- lich das factum der gesetzgebung stand. auf das gericht über die mörder Kylons, das so spät erst gehalten ward, daſs die eigentlichen täter schon im grabe lagen, folgt eine lange zeit des zwistes zwischen adel und volk (2,1). der schriftsteller setzt sehr passend an diese stelle eine schilderung der ältesten verfassung, denn sie bedingte die gesellschafts- ordnung die das volk nicht mehr ertragen konnte, die aber erst Solon gestürzt hat. man erwartet, daſs nun der retter auftritt. aber nein, “danach gab nach verlauf von kurzer zeit Drakon seine gesetze” heiſst es 4, 1. μετὰ ταῦτα χϱόνου τινὸς οὐ πολλοῦ διελϑόντος: wonach denn? nach dem gericht über die mörder oder nach dem ‘langen zwiste’?. gemeint kann nur das erste sein, weil wir wenigstens wissen, daſs Alkmeon, der sohn des zur zeit jenes gerichtes schon verstorbenen Megakles um 590 selbst noch rüstig war, aber einen heiratsfähigen sohn hatte. aber aus den worten wie sie hier stehn, kann man eben so gut das gegen-
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Die vorsolonische zeit. die verfassung Drakons.
in alter zeit schwerlich ein amtslocal war. aber gerade diese angabe kann
durch eine corruptel der Aristotelesstelle am wenigsten erklärt werden.
Daſs die erzählungen von der mythischen zeit Athens, Ion und seine
söhne, Pandion und seine söhne, der demokratenkönig Theseus, der auf
Skyros stirbt, was etwa von der alten gliederung des adels und aus der
königszeit erzählt war und dgl. alles aus der Atthis stammt, wird man
ohne weiteres annehmen: verwachsen ist ja auch alles mit der chronik,
in der wir die verschollenen könige Akastos und Medon, und die ar-
chonten des siebenten jahrhunderts Megakles und Aristaichmos feste plätze
einnehmen sehen. und wenn es manchen befremden wird, daſs Aristo-
teles in Solon zwar den ersten Athener mit freuden erkannt hat, von dem
sich ein menschliches bild gewinnen lieſs, aber die sicher für ihn lösbare
aufgabe verschmäht, sich von seiner gesetzgebung ein bild zu verschaffen,
so werden wir es alle seiner art ganz entsprechend finden, daſs er die
alten widerspruchsvollen traditionen weder ganz wegwarf noch im ein-
zelnen prüfte, sondern τὰ μάλιστα εἰκότα über sie wiedergab. worauf
es ihm ankam, das war nur eines, und das hebt er scharf und deutlich
hervor: der wirtschaftliche notstand, der in den frohnden und der schuld-
knechtschaft des niederen volkes lag.
Ganz besonders einleuchtend wird das quellenverhältnis, weil ein
fremdes stück dazwischen steht, die gesetzgebung Drakons. das ist ein
stück von urkundlichem charakter und wird als solches eingefügt, zum
teil in indirecter rede; wir haben gesehen, nicht ohne misstände inhalt-
licher art zu erzeugen (s. 49). es fällt auch chronologisch aus dem
zusammenhange heraus, trotz dem archon der chronik, unter dem natür-
lich das factum der gesetzgebung stand. auf das gericht über die mörder
Kylons, das so spät erst gehalten ward, daſs die eigentlichen täter schon
im grabe lagen, folgt eine lange zeit des zwistes zwischen adel und
volk (2,1). der schriftsteller setzt sehr passend an diese stelle eine
schilderung der ältesten verfassung, denn sie bedingte die gesellschafts-
ordnung die das volk nicht mehr ertragen konnte, die aber erst Solon
gestürzt hat. man erwartet, daſs nun der retter auftritt. aber nein,
“danach gab nach verlauf von kurzer zeit Drakon seine gesetze” heiſst
es 4, 1. μετὰ ταῦτα χϱόνου τινὸς οὐ πολλοῦ διελϑόντος: wonach denn?
nach dem gericht über die mörder oder nach dem ‘langen zwiste’?.
gemeint kann nur das erste sein, weil wir wenigstens wissen, daſs Alkmeon,
der sohn des zur zeit jenes gerichtes schon verstorbenen Megakles um
590 selbst noch rüstig war, aber einen heiratsfähigen sohn hatte. aber
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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/71>, abgerufen am 16.02.2025.
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