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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
die in der kaiserzeit auf grund der Politie in einen onomastikon ge-
fertigt ist, erst wieder hergestellt sein wird (was wieder erst durch die
entdeckung der Politie möglich geworden ist), so werden wir erst recht
gewahr werden, wie unvergleichlich viel sicherer der boden unter unseren
füssen geworden ist. es ist auch kein geringer fortschritt, dass eine
menge irrlehren, die trotz allen widerlegungen immer wieder einmal
spukten, nun definitiv beseitigt sind. wenigstens wird man nunmehr
von niemandem mehr notiz zu nehmen brauchen, der von den vier kasten-
phylen, dem ephetenrate, der kleisthenischen einführung des loses, der
perikleischen der geschwornengerichte, der ekklesie der reifen männer,
der doppelten lesung, dem tamias tes koines prosodou u. dgl. redet.
aber auch positiv steht für uns so viel neues bei Aristoteles, und wirkt
die überraschung, eine verfassungsgeschichte Athens von seiner hand zu
lesen, an sich so stark, dass jeder, der wirklich über Athen und über
die Politie mitreden will, sich nicht sowol auf grund als im kampfe mit
Aristoteles ein eigenes bild dieser verfassungsgeschichte entwerfen muss,
und wenn er's tut, wird er erst recht fühlen, wie viel er dem neuen
buche verdankt. so habe ich es denn auch getan und stelle die skizze
meiner verfassungsgeschichte Athens (II 2--4) neben Aristoteles, ver-
einigt mit den folgenden einzelabhandlungen, deren noch unübersehbar
viele geschrieben werden müssen, unter dem gemeinsamen titel von
untersuchungen auf grund des aristotelischen buches. das will mehr
besagen, als das subjective verhältnis, dass mir Aristoteles den anstoss
gegeben hat, sie zu führen oder doch zu vollenden: ich hätte sie gar
nicht oder doch nicht so schreiben können ohne das was ich ihm
danke, sowol an positiver wie namentlich an methodischer belehrung.
das gilt mit nichten bloss subjectiv von meiner person: die entdeckung
der Politie muss überhaupt in der attischen geschichtsforschung epoche
machen.

Dass dem so sein würde, war unsere erwartung, ehe wir sie wieder
hatten, sie war es auch noch in der ersten freude. wenn man aber
die historiker reden hört, so ist das ein irrtum gewesen. sollten sie
recht behalten, ihre art die geschichte zu treiben massgebend für die
wissenschaft bleiben oder vielmehr werden, so hätte das buch freilich
in dem grabe seines besitzers weiter schlummern sollen; die letzten 20
capitel scheinen ja auch für jene kritiker noch nicht entdeckt zu sein.
in wahrheit wird die Politie dadurch epoche machen, dass die sorte
historie, die nichts mit ihr anzufangen weiss, überwunden wird. wenn
die bauleute den stein verwerfen, so wird die petra skandalou ihnen

I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
die in der kaiserzeit auf grund der Politie in einen onomastikon ge-
fertigt ist, erst wieder hergestellt sein wird (was wieder erst durch die
entdeckung der Politie möglich geworden ist), so werden wir erst recht
gewahr werden, wie unvergleichlich viel sicherer der boden unter unseren
füſsen geworden ist. es ist auch kein geringer fortschritt, daſs eine
menge irrlehren, die trotz allen widerlegungen immer wieder einmal
spukten, nun definitiv beseitigt sind. wenigstens wird man nunmehr
von niemandem mehr notiz zu nehmen brauchen, der von den vier kasten-
phylen, dem ephetenrate, der kleisthenischen einführung des loses, der
perikleischen der geschwornengerichte, der ekklesie der reifen männer,
der doppelten lesung, dem ταμίας τῆς κοινῆς πϱοσόδου u. dgl. redet.
aber auch positiv steht für uns so viel neues bei Aristoteles, und wirkt
die überraschung, eine verfassungsgeschichte Athens von seiner hand zu
lesen, an sich so stark, daſs jeder, der wirklich über Athen und über
die Politie mitreden will, sich nicht sowol auf grund als im kampfe mit
Aristoteles ein eigenes bild dieser verfassungsgeschichte entwerfen muſs,
und wenn er’s tut, wird er erst recht fühlen, wie viel er dem neuen
buche verdankt. so habe ich es denn auch getan und stelle die skizze
meiner verfassungsgeschichte Athens (II 2—4) neben Aristoteles, ver-
einigt mit den folgenden einzelabhandlungen, deren noch unübersehbar
viele geschrieben werden müssen, unter dem gemeinsamen titel von
untersuchungen auf grund des aristotelischen buches. das will mehr
besagen, als das subjective verhältnis, daſs mir Aristoteles den anstoſs
gegeben hat, sie zu führen oder doch zu vollenden: ich hätte sie gar
nicht oder doch nicht so schreiben können ohne das was ich ihm
danke, sowol an positiver wie namentlich an methodischer belehrung.
das gilt mit nichten bloſs subjectiv von meiner person: die entdeckung
der Politie muſs überhaupt in der attischen geschichtsforschung epoche
machen.

Daſs dem so sein würde, war unsere erwartung, ehe wir sie wieder
hatten, sie war es auch noch in der ersten freude. wenn man aber
die historiker reden hört, so ist das ein irrtum gewesen. sollten sie
recht behalten, ihre art die geschichte zu treiben maſsgebend für die
wissenschaft bleiben oder vielmehr werden, so hätte das buch freilich
in dem grabe seines besitzers weiter schlummern sollen; die letzten 20
capitel scheinen ja auch für jene kritiker noch nicht entdeckt zu sein.
in wahrheit wird die Politie dadurch epoche machen, daſs die sorte
historie, die nichts mit ihr anzufangen weiſs, überwunden wird. wenn
die bauleute den stein verwerfen, so wird die πέτϱα σκανδάλου ihnen

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[374/0388] I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches. die in der kaiserzeit auf grund der Politie in einen onomastikon ge- fertigt ist, erst wieder hergestellt sein wird (was wieder erst durch die entdeckung der Politie möglich geworden ist), so werden wir erst recht gewahr werden, wie unvergleichlich viel sicherer der boden unter unseren füſsen geworden ist. es ist auch kein geringer fortschritt, daſs eine menge irrlehren, die trotz allen widerlegungen immer wieder einmal spukten, nun definitiv beseitigt sind. wenigstens wird man nunmehr von niemandem mehr notiz zu nehmen brauchen, der von den vier kasten- phylen, dem ephetenrate, der kleisthenischen einführung des loses, der perikleischen der geschwornengerichte, der ekklesie der reifen männer, der doppelten lesung, dem ταμίας τῆς κοινῆς πϱοσόδου u. dgl. redet. aber auch positiv steht für uns so viel neues bei Aristoteles, und wirkt die überraschung, eine verfassungsgeschichte Athens von seiner hand zu lesen, an sich so stark, daſs jeder, der wirklich über Athen und über die Politie mitreden will, sich nicht sowol auf grund als im kampfe mit Aristoteles ein eigenes bild dieser verfassungsgeschichte entwerfen muſs, und wenn er’s tut, wird er erst recht fühlen, wie viel er dem neuen buche verdankt. so habe ich es denn auch getan und stelle die skizze meiner verfassungsgeschichte Athens (II 2—4) neben Aristoteles, ver- einigt mit den folgenden einzelabhandlungen, deren noch unübersehbar viele geschrieben werden müssen, unter dem gemeinsamen titel von untersuchungen auf grund des aristotelischen buches. das will mehr besagen, als das subjective verhältnis, daſs mir Aristoteles den anstoſs gegeben hat, sie zu führen oder doch zu vollenden: ich hätte sie gar nicht oder doch nicht so schreiben können ohne das was ich ihm danke, sowol an positiver wie namentlich an methodischer belehrung. das gilt mit nichten bloſs subjectiv von meiner person: die entdeckung der Politie muſs überhaupt in der attischen geschichtsforschung epoche machen. Daſs dem so sein würde, war unsere erwartung, ehe wir sie wieder hatten, sie war es auch noch in der ersten freude. wenn man aber die historiker reden hört, so ist das ein irrtum gewesen. sollten sie recht behalten, ihre art die geschichte zu treiben maſsgebend für die wissenschaft bleiben oder vielmehr werden, so hätte das buch freilich in dem grabe seines besitzers weiter schlummern sollen; die letzten 20 capitel scheinen ja auch für jene kritiker noch nicht entdeckt zu sein. in wahrheit wird die Politie dadurch epoche machen, daſs die sorte historie, die nichts mit ihr anzufangen weiſs, überwunden wird. wenn die bauleute den stein verwerfen, so wird die πέτϱα σκανδάλου ihnen

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/388>, abgerufen am 27.11.2024.