tun musste, als verstünde ich den Aristoteles ganz: sie liegt mir wahr- haftig fern, und auch für den schein bitte ich um vergebung. aber ich wusste das was ich verstand schlechterdings auf keine andere weise darzustellen: und der grosse mann wird damit eher zufrieden sein, als wenn ich statt des waldes ein par bäume gesehen und gezeigt hätte.
Von dem buche und der person des Aristoteles darf ich nun wol abschied nehmen. er hat vielleicht etwas von seiner unheimlichen grösse verloren, weil er fortan nicht mehr als historiker gelten darf, und für manchen wird es auch ein verlust erscheinen, dass der philosoph nicht nur mitverstrickt in die tagespolitik, sondern auch in die vorurteile seiner zeit erschienen ist. dagegen dürfte es doch nicht an solchen fehlen, die den grossen und edlen mann, gerade weil er menschlicher erscheint, weil wir ihn auch irren sehen, nun besser begreifen und nicht minder verehren werden. alle aber, die so viel griechisch können, werden als einen bleibenden gewinn rechnen, dass wir ein so schönes buch lesen können, zu künstlerischem genusse; die chance, einen solchen frischen zuwachs des lesenswerten und zugleich künstlerisch befriedigen- den zu erhalten, ist heute zu tage immer noch grösser, wenn man in den gräbern Aegyptens sucht, als wenn man den messkatalog durchsieht.
Aber ich bin noch die antwort auf die andere frage schuldig, nachBedeutung des buches für die historie. dem relativen werte des buches für unsere kenntnis von der geschichte und der verfassung Athens. auch da ist von wichtigkeit zunächst der methodische fortschritt, dass Aristoteles kein geschichtlicher forscher ist; allein das kann zunächst vielmehr ein rückschlag scheinen. dafür ist die Atthis ungleich deutlicher geworden, und der wert der art von über- lieferung, die in Athen Atthis heisst, aber entsprechend in den meisten hellenischen städten vorhanden war, ist in ungleich helleres licht gerückt und damit ein fortschritt der methode getan, der zu sehr reichen posi- tiven ergebnissen führen muss. diese folgerung ist mir so wichtig er- schienen, dass ich ihr einen eigenen abschnitt gewidmet habe (II 1).
Dass wir so viel absolut neues erfahren, liegt nicht an dem absoluten werte der Politie. wenn wir Androtion und Philochoros lesen könnten, so würden wir in den wichtigsten partien die Politie nicht als quelle rechnen, so wenig wir es in dem tun, was sie dem Herodotos und Thukydides entnommen hat. wir würden sie dann behandeln, wie die forschung der hellenistischen zeit es getan hat. aber für uns ist es schon ein gewaltiger gewinn, dass wir die masse der grammatikercitate über die attischen ämter einfach fortwerfen können, weil wir ihr original besitzen, und wenn die erweiterte bearbeitung der attischen altertümer,
Die bedeutung des buches für die historie.
tun muſste, als verstünde ich den Aristoteles ganz: sie liegt mir wahr- haftig fern, und auch für den schein bitte ich um vergebung. aber ich wuſste das was ich verstand schlechterdings auf keine andere weise darzustellen: und der groſse mann wird damit eher zufrieden sein, als wenn ich statt des waldes ein par bäume gesehen und gezeigt hätte.
Von dem buche und der person des Aristoteles darf ich nun wol abschied nehmen. er hat vielleicht etwas von seiner unheimlichen gröſse verloren, weil er fortan nicht mehr als historiker gelten darf, und für manchen wird es auch ein verlust erscheinen, daſs der philosoph nicht nur mitverstrickt in die tagespolitik, sondern auch in die vorurteile seiner zeit erschienen ist. dagegen dürfte es doch nicht an solchen fehlen, die den groſsen und edlen mann, gerade weil er menschlicher erscheint, weil wir ihn auch irren sehen, nun besser begreifen und nicht minder verehren werden. alle aber, die so viel griechisch können, werden als einen bleibenden gewinn rechnen, daſs wir ein so schönes buch lesen können, zu künstlerischem genusse; die chance, einen solchen frischen zuwachs des lesenswerten und zugleich künstlerisch befriedigen- den zu erhalten, ist heute zu tage immer noch gröſser, wenn man in den gräbern Aegyptens sucht, als wenn man den meſskatalog durchsieht.
Aber ich bin noch die antwort auf die andere frage schuldig, nachBedeutung des buches für die historie. dem relativen werte des buches für unsere kenntnis von der geschichte und der verfassung Athens. auch da ist von wichtigkeit zunächst der methodische fortschritt, daſs Aristoteles kein geschichtlicher forscher ist; allein das kann zunächst vielmehr ein rückschlag scheinen. dafür ist die Atthis ungleich deutlicher geworden, und der wert der art von über- lieferung, die in Athen Atthis heiſst, aber entsprechend in den meisten hellenischen städten vorhanden war, ist in ungleich helleres licht gerückt und damit ein fortschritt der methode getan, der zu sehr reichen posi- tiven ergebnissen führen muſs. diese folgerung ist mir so wichtig er- schienen, daſs ich ihr einen eigenen abschnitt gewidmet habe (II 1).
Daſs wir so viel absolut neues erfahren, liegt nicht an dem absoluten werte der Politie. wenn wir Androtion und Philochoros lesen könnten, so würden wir in den wichtigsten partien die Politie nicht als quelle rechnen, so wenig wir es in dem tun, was sie dem Herodotos und Thukydides entnommen hat. wir würden sie dann behandeln, wie die forschung der hellenistischen zeit es getan hat. aber für uns ist es schon ein gewaltiger gewinn, daſs wir die masse der grammatikercitate über die attischen ämter einfach fortwerfen können, weil wir ihr original besitzen, und wenn die erweiterte bearbeitung der attischen altertümer,
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Die bedeutung des buches für die historie.
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ich wuſste das was ich verstand schlechterdings auf keine andere weise
darzustellen: und der groſse mann wird damit eher zufrieden sein, als
wenn ich statt des waldes ein par bäume gesehen und gezeigt hätte.
Von dem buche und der person des Aristoteles darf ich nun wol
abschied nehmen. er hat vielleicht etwas von seiner unheimlichen gröſse
verloren, weil er fortan nicht mehr als historiker gelten darf, und für
manchen wird es auch ein verlust erscheinen, daſs der philosoph nicht
nur mitverstrickt in die tagespolitik, sondern auch in die vorurteile
seiner zeit erschienen ist. dagegen dürfte es doch nicht an solchen
fehlen, die den groſsen und edlen mann, gerade weil er menschlicher
erscheint, weil wir ihn auch irren sehen, nun besser begreifen und
nicht minder verehren werden. alle aber, die so viel griechisch können,
werden als einen bleibenden gewinn rechnen, daſs wir ein so schönes
buch lesen können, zu künstlerischem genusse; die chance, einen solchen
frischen zuwachs des lesenswerten und zugleich künstlerisch befriedigen-
den zu erhalten, ist heute zu tage immer noch gröſser, wenn man in
den gräbern Aegyptens sucht, als wenn man den meſskatalog durchsieht.
Aber ich bin noch die antwort auf die andere frage schuldig, nach
dem relativen werte des buches für unsere kenntnis von der geschichte
und der verfassung Athens. auch da ist von wichtigkeit zunächst der
methodische fortschritt, daſs Aristoteles kein geschichtlicher forscher ist;
allein das kann zunächst vielmehr ein rückschlag scheinen. dafür ist
die Atthis ungleich deutlicher geworden, und der wert der art von über-
lieferung, die in Athen Atthis heiſst, aber entsprechend in den meisten
hellenischen städten vorhanden war, ist in ungleich helleres licht gerückt
und damit ein fortschritt der methode getan, der zu sehr reichen posi-
tiven ergebnissen führen muſs. diese folgerung ist mir so wichtig er-
schienen, daſs ich ihr einen eigenen abschnitt gewidmet habe (II 1).
Bedeutung
des buches
für die
historie.
Daſs wir so viel absolut neues erfahren, liegt nicht an dem absoluten
werte der Politie. wenn wir Androtion und Philochoros lesen könnten,
so würden wir in den wichtigsten partien die Politie nicht als quelle
rechnen, so wenig wir es in dem tun, was sie dem Herodotos und
Thukydides entnommen hat. wir würden sie dann behandeln, wie die
forschung der hellenistischen zeit es getan hat. aber für uns ist es schon
ein gewaltiger gewinn, daſs wir die masse der grammatikercitate über
die attischen ämter einfach fortwerfen können, weil wir ihr original
besitzen, und wenn die erweiterte bearbeitung der attischen altertümer,
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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/387>, abgerufen am 17.02.2025.
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