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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Der erste heilige krieg.
6 jahre gehalten. andererseits ist es schlechthin undenkbar, dass Solon
unmittelbar nachdem er über sein amt rechnung gelegt hatte, 593 auf
reisen gegangen ist. im gegenteil, es muss ihm doch erst zum be-
wusstsein gekommen sein, dass der parteihader durch die gesetze mit
nichten beendet war, die zumutung der gesetzesinterpretation muss ihm
oft gemacht sein, ehe er die stadt verliess. die gedichte, in denen er sein
werk verteidigt, die iamben, die trochaeen an Phokos, die elegie, aus
der demo men gar edoka stammt, sind offenbar nach dem amtsjahr,
aber vor der reise gedichtet. also einen teil der ruhigen jahre 593--90
dürfen wir uns Solon in Athen denken, und dass man ihn nach Delphi
als deputirten schickte, erscheint durchaus passend für den gewesenen
diallaktes, wie es auch passend für den ist, dem kurz darauf diese
rolle übertragen wird. wieder scheint Aristoteles zu widersprechen, der
Solonos apodemesantos epi ete tettara diegon en esukhia von
den jahren 593--90 sagt. aber das ist nur bequeme ausdrucksweise,
berechtigt, weil die frist zwischen dem ende des amtes und dem an-
tritte der reise sich nicht berechnen liess, am wenigsten für eine chrono-
logische übersicht, die natürlich immer an das letzte feste datum ansetzt.
woher wusste denn auch Aristoteles von der reise, ihren motiven und
ihrer befristung? dafür gab es schlechthin keine überlieferung als
Solons gedichte. gerade so wie Aristoteles die stimmung der parteien
gegenüber Solon den gedichten nacherzählt, die er zum teil selbst an-
führt (11, 2), so hat ihm ein gedicht vorgelegen, in dem Solon sagte
"ich will als kaufmann und aus wissensdrang nach Aegypten auf zehn
jahre verreisen. denn es ist nicht recht, dass ich hier die gesetze selbst
auslege, denen vielmehr jedermann gehorchen soll." dieses gedicht para-
phrasirt Aristoteles 11, 1 22), ihm schliesst er mit ama de (11, 2) die

hause gehn, und dann die aufgebote der einzelnen staaten sich sammeln; darüber ver-
giengen auch 432 monate; und wenn es, wie die gewöhnliche überlieferung ist, zu
einer belagerung Krisas kam, so ist wieder nach den analogien des fünften jahr-
hunderts keine schleunige entscheidung zu erwarten. die zehnjährige dauer des
Krieges, die Kallisthenes (Ath. 560c) berichtete, kann also ganz wol zutreffen, wenn
man sich auch auf diese zahl bei diesem schriftsteller nicht verlassen kann.
22) Dasselbe gedicht paraphrasirt ahnlich Herodot I 29 Solon -- Athenaioisi
nomous keleusasi poiesas apedemesen etea deka kata theories prophasin ekplosas
ina de me tina ton nomon anagkasthe lusai ton etheto. autoi gar ouk oioi
t esan auto poiesai Athenaioi; orkioisi gar megaloisi kateikhonto deka etea
khresesthai nomoisi tous an sphi Solon thetai. darin hat Herodot die zehnjährige
abwesenheit Solons, die im gedicht als seine absicht ausgesprochen war, und die
ebendort stehende zuversicht, dass die Athener zunächst gehalten wären, sich in die

Der erste heilige krieg.
6 jahre gehalten. andererseits ist es schlechthin undenkbar, daſs Solon
unmittelbar nachdem er über sein amt rechnung gelegt hatte, 593 auf
reisen gegangen ist. im gegenteil, es muſs ihm doch erst zum be-
wuſstsein gekommen sein, daſs der parteihader durch die gesetze mit
nichten beendet war, die zumutung der gesetzesinterpretation muſs ihm
oft gemacht sein, ehe er die stadt verlieſs. die gedichte, in denen er sein
werk verteidigt, die iamben, die trochaeen an Phokos, die elegie, aus
der δήμῳ μὲν γὰϱ ἔδωκα stammt, sind offenbar nach dem amtsjahr,
aber vor der reise gedichtet. also einen teil der ruhigen jahre 593—90
dürfen wir uns Solon in Athen denken, und daſs man ihn nach Delphi
als deputirten schickte, erscheint durchaus passend für den gewesenen
διαλλακτής, wie es auch passend für den ist, dem kurz darauf diese
rolle übertragen wird. wieder scheint Aristoteles zu widersprechen, der
Σόλωνος ἀποδημήσαντος ἐπὶ ἔτη τέτταϱα διῆγον ἐν ἡσυχίᾳ von
den jahren 593—90 sagt. aber das ist nur bequeme ausdrucksweise,
berechtigt, weil die frist zwischen dem ende des amtes und dem an-
tritte der reise sich nicht berechnen lieſs, am wenigsten für eine chrono-
logische übersicht, die natürlich immer an das letzte feste datum ansetzt.
woher wuſste denn auch Aristoteles von der reise, ihren motiven und
ihrer befristung? dafür gab es schlechthin keine überlieferung als
Solons gedichte. gerade so wie Aristoteles die stimmung der parteien
gegenüber Solon den gedichten nacherzählt, die er zum teil selbst an-
führt (11, 2), so hat ihm ein gedicht vorgelegen, in dem Solon sagte
“ich will als kaufmann und aus wissensdrang nach Aegypten auf zehn
jahre verreisen. denn es ist nicht recht, daſs ich hier die gesetze selbst
auslege, denen vielmehr jedermann gehorchen soll.” dieses gedicht para-
phrasirt Aristoteles 11, 1 22), ihm schlieſst er mit ἅμα δέ (11, 2) die

hause gehn, und dann die aufgebote der einzelnen staaten sich sammeln; darüber ver-
giengen auch 432 monate; und wenn es, wie die gewöhnliche überlieferung ist, zu
einer belagerung Krisas kam, so ist wieder nach den analogien des fünften jahr-
hunderts keine schleunige entscheidung zu erwarten. die zehnjährige dauer des
Krieges, die Kallisthenes (Ath. 560c) berichtete, kann also ganz wol zutreffen, wenn
man sich auch auf diese zahl bei diesem schriftsteller nicht verlassen kann.
22) Dasselbe gedicht paraphrasirt ahnlich Herodot I 29 Σόλων — Ἀϑηναίοισι
νόμους κελεύσασι ποιήσας ἀπεδήμησεν ἔτεα δέκα κατὰ ϑεωϱίης πϱόφασιν ἐκπλώσας
ἵνα δὴ μή τινα τῶν νόμων ἀναγκασϑῇ λῦσαι τῶν ἔϑετο. αὐτοὶ γὰϱ οὐκ οἷοί
τ̕ ἦσαν αὐτὸ ποιῆσαι Ἀϑηναῖοι· ὁϱκίοισι γὰϱ μεγάλοισι κατείχοντο δέκα ἔτεα
χϱήσεσϑαι νόμοισι τοὺς ἄν σφι Σόλων ϑῆται. darin hat Herodot die zehnjährige
abwesenheit Solons, die im gedicht als seine absicht ausgesprochen war, und die
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[15/0029] Der erste heilige krieg. 6 jahre gehalten. andererseits ist es schlechthin undenkbar, daſs Solon unmittelbar nachdem er über sein amt rechnung gelegt hatte, 593 auf reisen gegangen ist. im gegenteil, es muſs ihm doch erst zum be- wuſstsein gekommen sein, daſs der parteihader durch die gesetze mit nichten beendet war, die zumutung der gesetzesinterpretation muſs ihm oft gemacht sein, ehe er die stadt verlieſs. die gedichte, in denen er sein werk verteidigt, die iamben, die trochaeen an Phokos, die elegie, aus der δήμῳ μὲν γὰϱ ἔδωκα stammt, sind offenbar nach dem amtsjahr, aber vor der reise gedichtet. also einen teil der ruhigen jahre 593—90 dürfen wir uns Solon in Athen denken, und daſs man ihn nach Delphi als deputirten schickte, erscheint durchaus passend für den gewesenen διαλλακτής, wie es auch passend für den ist, dem kurz darauf diese rolle übertragen wird. wieder scheint Aristoteles zu widersprechen, der Σόλωνος ἀποδημήσαντος ἐπὶ ἔτη τέτταϱα διῆγον ἐν ἡσυχίᾳ von den jahren 593—90 sagt. aber das ist nur bequeme ausdrucksweise, berechtigt, weil die frist zwischen dem ende des amtes und dem an- tritte der reise sich nicht berechnen lieſs, am wenigsten für eine chrono- logische übersicht, die natürlich immer an das letzte feste datum ansetzt. woher wuſste denn auch Aristoteles von der reise, ihren motiven und ihrer befristung? dafür gab es schlechthin keine überlieferung als Solons gedichte. gerade so wie Aristoteles die stimmung der parteien gegenüber Solon den gedichten nacherzählt, die er zum teil selbst an- führt (11, 2), so hat ihm ein gedicht vorgelegen, in dem Solon sagte “ich will als kaufmann und aus wissensdrang nach Aegypten auf zehn jahre verreisen. denn es ist nicht recht, daſs ich hier die gesetze selbst auslege, denen vielmehr jedermann gehorchen soll.” dieses gedicht para- phrasirt Aristoteles 11, 1 22), ihm schlieſst er mit ἅμα δέ (11, 2) die 21) 22) Dasselbe gedicht paraphrasirt ahnlich Herodot I 29 Σόλων — Ἀϑηναίοισι νόμους κελεύσασι ποιήσας ἀπεδήμησεν ἔτεα δέκα κατὰ ϑεωϱίης πϱόφασιν ἐκπλώσας ἵνα δὴ μή τινα τῶν νόμων ἀναγκασϑῇ λῦσαι τῶν ἔϑετο. αὐτοὶ γὰϱ οὐκ οἷοί τ̕ ἦσαν αὐτὸ ποιῆσαι Ἀϑηναῖοι· ὁϱκίοισι γὰϱ μεγάλοισι κατείχοντο δέκα ἔτεα χϱήσεσϑαι νόμοισι τοὺς ἄν σφι Σόλων ϑῆται. darin hat Herodot die zehnjährige abwesenheit Solons, die im gedicht als seine absicht ausgesprochen war, und die ebendort stehende zuversicht, daſs die Athener zunächst gehalten wären, sich in die 21) hause gehn, und dann die aufgebote der einzelnen staaten sich sammeln; darüber ver- giengen auch 432 monate; und wenn es, wie die gewöhnliche überlieferung ist, zu einer belagerung Krisas kam, so ist wieder nach den analogien des fünften jahr- hunderts keine schleunige entscheidung zu erwarten. die zehnjährige dauer des Krieges, die Kallisthenes (Ath. 560c) berichtete, kann also ganz wol zutreffen, wenn man sich auch auf diese zahl bei diesem schriftsteller nicht verlassen kann.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/29>, abgerufen am 23.11.2024.