Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

Das strategem des Peisistratos.
heros in dem bezirke beisetzte, den der stadtgründer nicht wol entbehrt
haben kann, seit er zu dieser würde erhoben war 22); und wer das dem
sechsten jahrhundert trotz den sagen, z. b. der oschophorienlegende,
absprechen wollte, den widerlegen die vasenbilder. auch die erlosung
von bestimmten beamten, insbesondere des rates, im Theseion stehe ich
nicht an für so alt zu halten wie die erlosung überhaupt, da diese demo-
kratische ordnung zu dem könig, der zuerst akouete leo gerufen hat,
vorzüglich passt. so will ich denn nicht unbedingt entscheiden, welche
localisirung jener geschichte den vorzug verdient. aber ich gestehe mich
selbst viel mehr zu der bei Polyaen hingezogen zu fühlen, deren locale
näher bei einander liegen und altertümlicher sind. insbesondere meine
ich, dass die oikemata plesion tou Theseiou viel eher nach dem vierten

auch der exercierplatz verständlich, und in seiner verwendung zum appellplatz in
den veränderten verhältnissen des fünften jahrhunderts dauert die alte sitte. am
nordabhange der burg, östlich vom Agraulion, lag das prytaneion, westlich das
thesmothetenhaus, unterhalb der Apollongrotte. dieses ganze gebiet also war öffent-
licher grund, der privaten bebauung entzogen. noch in der jugend des Peisistratos
mögen die mädchen katharon ganos Eridanoio geschöpft haben, der zwischen
gärten floss (Strab. 397). dann zog sich das politische leben nach dem markte
westwärts, auf dem heiligen terrain siedelten sich die buden an (Herm. 22, 119),
und die gerbereien der Kydathenaeer machten das wasser des Eridanos selbst für
das vieh ungeniessbar. eine spätere zeit (zweite hälfte des dritten jahrhunderts) hat
durch grosse neubauten für ihre zwecke den alten öffentlichen grund besetzt und so die
physiognomie dieses stadtteils von neuem geändert. Theseus hatte an seinem tempel
genug, die Anakes, die ziemlich verschollene götter waren, erst recht. da baute
man neben dem unterirdisch geführten Eridanos auf dem alten Theseusgrunde das
gymnasium des Ptolemaios, weiter östlich das Diogenesgymnasium. wieder etliche
generationen später ward das alte gewirr der buden durch den römischen markt
mit seinen hallen und toren und der uhr ersetzt. endlich errichtete Hadrian seinen
riesenbau weiter nördlich; da war der Eridanos schon ganz vergessen, und sein
name spukte nur noch in den büchern. unter Theseion und Anakeion verstand man
die tempel, den burgaufgang durch das Agraulion, den noch die Diogenesbriefe (30)
erwähnen, kannte man auch nicht mehr.
22) Wenn eine legende den Theseus alle temene, die er als lohn für den
Kretazug erhielt, dem Herakles abtreten liess, so will sie freilich erläutern, wieso
Herakles so viel, Theseus so wenig heiligtümer hat, und sie redet, wie sich für
eine wirkungsvolle geschichte ziemt, ohne eine ausnahme zu gunsten des städtischen
Theseions zu machen. aber deswegen beabsichtigt sie dies weder für ein altes
Heraklesheiligtum noch für jung zu erklären. erst wenn die forschung sich auf die
legende erstreckt, musste man eins von beiden tun, die bestehenden Theseien für
jung erklären, oder ausnahmen von der schenkung zugeben. wirklich ist Philochoros
so verfahren (Plut. 35). er hat vier alte Theseien ausgenommen: wir werden ihm
folgen und das städtische vor allen darunter suchen.

Das strategem des Peisistratos.
heros in dem bezirke beisetzte, den der stadtgründer nicht wol entbehrt
haben kann, seit er zu dieser würde erhoben war 22); und wer das dem
sechsten jahrhundert trotz den sagen, z. b. der oschophorienlegende,
absprechen wollte, den widerlegen die vasenbilder. auch die erlosung
von bestimmten beamten, insbesondere des rates, im Theseion stehe ich
nicht an für so alt zu halten wie die erlosung überhaupt, da diese demo-
kratische ordnung zu dem könig, der zuerst ἀκούετε λεῴ gerufen hat,
vorzüglich paſst. so will ich denn nicht unbedingt entscheiden, welche
localisirung jener geschichte den vorzug verdient. aber ich gestehe mich
selbst viel mehr zu der bei Polyaen hingezogen zu fühlen, deren locale
näher bei einander liegen und altertümlicher sind. insbesondere meine
ich, daſs die οἰκήματα πλησίον τοῦ Θησείου viel eher nach dem vierten

auch der exercierplatz verständlich, und in seiner verwendung zum appellplatz in
den veränderten verhältnissen des fünften jahrhunderts dauert die alte sitte. am
nordabhange der burg, östlich vom Agraulion, lag das prytaneion, westlich das
thesmothetenhaus, unterhalb der Apollongrotte. dieses ganze gebiet also war öffent-
licher grund, der privaten bebauung entzogen. noch in der jugend des Peisistratos
mögen die mädchen καϑαϱὸν γάνος Ἠϱιδάνοιο geschöpft haben, der zwischen
gärten floſs (Strab. 397). dann zog sich das politische leben nach dem markte
westwärts, auf dem heiligen terrain siedelten sich die buden an (Herm. 22, 119),
und die gerbereien der Kydathenaeer machten das wasser des Eridanos selbst für
das vieh ungenieſsbar. eine spätere zeit (zweite hälfte des dritten jahrhunderts) hat
durch groſse neubauten für ihre zwecke den alten öffentlichen grund besetzt und so die
physiognomie dieses stadtteils von neuem geändert. Theseus hatte an seinem tempel
genug, die Anakes, die ziemlich verschollene götter waren, erst recht. da baute
man neben dem unterirdisch geführten Eridanos auf dem alten Theseusgrunde das
gymnasium des Ptolemaios, weiter östlich das Diogenesgymnasium. wieder etliche
generationen später ward das alte gewirr der buden durch den römischen markt
mit seinen hallen und toren und der uhr ersetzt. endlich errichtete Hadrian seinen
riesenbau weiter nördlich; da war der Eridanos schon ganz vergessen, und sein
name spukte nur noch in den büchern. unter Theseion und Anakeion verstand man
die tempel, den burgaufgang durch das Agraulion, den noch die Diogenesbriefe (30)
erwähnen, kannte man auch nicht mehr.
22) Wenn eine legende den Theseus alle τεμένη, die er als lohn für den
Kretazug erhielt, dem Herakles abtreten lieſs, so will sie freilich erläutern, wieso
Herakles so viel, Theseus so wenig heiligtümer hat, und sie redet, wie sich für
eine wirkungsvolle geschichte ziemt, ohne eine ausnahme zu gunsten des städtischen
Theseions zu machen. aber deswegen beabsichtigt sie dies weder für ein altes
Heraklesheiligtum noch für jung zu erklären. erst wenn die forschung sich auf die
legende erstreckt, muſste man eins von beiden tun, die bestehenden Theseien für
jung erklären, oder ausnahmen von der schenkung zugeben. wirklich ist Philochoros
so verfahren (Plut. 35). er hat vier alte Theseien ausgenommen: wir werden ihm
folgen und das städtische vor allen darunter suchen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0285" n="271"/><fw place="top" type="header">Das strategem des Peisistratos.</fw><lb/>
heros in dem bezirke beisetzte, den der stadtgründer nicht wol entbehrt<lb/>
haben kann, seit er zu dieser würde erhoben war <note place="foot" n="22)">Wenn eine legende den Theseus alle &#x03C4;&#x03B5;&#x03BC;&#x03AD;&#x03BD;&#x03B7;, die er als lohn für den<lb/>
Kretazug erhielt, dem Herakles abtreten lie&#x017F;s, so will sie freilich erläutern, wieso<lb/>
Herakles so viel, Theseus so wenig heiligtümer hat, und sie redet, wie sich für<lb/>
eine wirkungsvolle geschichte ziemt, ohne eine ausnahme zu gunsten des städtischen<lb/>
Theseions zu machen. aber deswegen beabsichtigt sie dies weder für ein altes<lb/>
Heraklesheiligtum noch für jung zu erklären. erst wenn die forschung sich auf die<lb/>
legende erstreckt, mu&#x017F;ste man eins von beiden tun, die bestehenden Theseien für<lb/>
jung erklären, oder ausnahmen von der schenkung zugeben. wirklich ist Philochoros<lb/>
so verfahren (Plut. 35). er hat vier alte Theseien ausgenommen: wir werden ihm<lb/>
folgen und das städtische vor allen darunter suchen.</note>; und wer das dem<lb/>
sechsten jahrhundert trotz den sagen, z. b. der oschophorienlegende,<lb/>
absprechen wollte, den widerlegen die vasenbilder. auch die erlosung<lb/>
von bestimmten beamten, insbesondere des rates, im Theseion stehe ich<lb/>
nicht an für so alt zu halten wie die erlosung überhaupt, da diese demo-<lb/>
kratische ordnung zu dem könig, der zuerst &#x1F00;&#x03BA;&#x03BF;&#x03CD;&#x03B5;&#x03C4;&#x03B5; &#x03BB;&#x03B5;&#x1FF4; gerufen hat,<lb/>
vorzüglich pa&#x017F;st. so will ich denn nicht unbedingt entscheiden, welche<lb/>
localisirung jener geschichte den vorzug verdient. aber ich gestehe mich<lb/>
selbst viel mehr zu der bei Polyaen hingezogen zu fühlen, deren locale<lb/>
näher bei einander liegen und altertümlicher sind. insbesondere meine<lb/>
ich, da&#x017F;s die &#x03BF;&#x1F30;&#x03BA;&#x03AE;&#x03BC;&#x03B1;&#x03C4;&#x03B1; &#x03C0;&#x03BB;&#x03B7;&#x03C3;&#x03AF;&#x03BF;&#x03BD; &#x03C4;&#x03BF;&#x1FE6; &#x0398;&#x03B7;&#x03C3;&#x03B5;&#x03AF;&#x03BF;&#x03C5; viel eher nach dem vierten<lb/><note xml:id="note-0285" prev="#note-0284a" place="foot" n="21)">auch der exercierplatz verständlich, und in seiner verwendung zum appellplatz in<lb/>
den veränderten verhältnissen des fünften jahrhunderts dauert die alte sitte. am<lb/>
nordabhange der burg, östlich vom Agraulion, lag das prytaneion, westlich das<lb/>
thesmothetenhaus, unterhalb der Apollongrotte. dieses ganze gebiet also war öffent-<lb/>
licher grund, der privaten bebauung entzogen. noch in der jugend des Peisistratos<lb/>
mögen die mädchen &#x03BA;&#x03B1;&#x03D1;&#x03B1;&#x03F1;&#x1F78;&#x03BD; &#x03B3;&#x03AC;&#x03BD;&#x03BF;&#x03C2; &#x1F28;&#x03F1;&#x03B9;&#x03B4;&#x03AC;&#x03BD;&#x03BF;&#x03B9;&#x03BF; geschöpft haben, der zwischen<lb/>
gärten flo&#x017F;s (Strab. 397). dann zog sich das politische leben nach dem markte<lb/>
westwärts, auf dem heiligen terrain siedelten sich die buden an (Herm. 22, 119),<lb/>
und die gerbereien der Kydathenaeer machten das wasser des Eridanos selbst für<lb/>
das vieh ungenie&#x017F;sbar. eine spätere zeit (zweite hälfte des dritten jahrhunderts) hat<lb/>
durch gro&#x017F;se neubauten für ihre zwecke den alten öffentlichen grund besetzt und so die<lb/>
physiognomie dieses stadtteils von neuem geändert. Theseus hatte an seinem tempel<lb/>
genug, die Anakes, die ziemlich verschollene götter waren, erst recht. da baute<lb/>
man neben dem unterirdisch geführten Eridanos auf dem alten Theseusgrunde das<lb/>
gymnasium des Ptolemaios, weiter östlich das Diogenesgymnasium. wieder etliche<lb/>
generationen später ward das alte gewirr der buden durch den römischen markt<lb/>
mit seinen hallen und toren und der uhr ersetzt. endlich errichtete Hadrian seinen<lb/>
riesenbau weiter nördlich; da war der Eridanos schon ganz vergessen, und sein<lb/>
name spukte nur noch in den büchern. unter Theseion und Anakeion verstand man<lb/>
die tempel, den burgaufgang durch das Agraulion, den noch die Diogenesbriefe (30)<lb/>
erwähnen, kannte man auch nicht mehr.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[271/0285] Das strategem des Peisistratos. heros in dem bezirke beisetzte, den der stadtgründer nicht wol entbehrt haben kann, seit er zu dieser würde erhoben war 22); und wer das dem sechsten jahrhundert trotz den sagen, z. b. der oschophorienlegende, absprechen wollte, den widerlegen die vasenbilder. auch die erlosung von bestimmten beamten, insbesondere des rates, im Theseion stehe ich nicht an für so alt zu halten wie die erlosung überhaupt, da diese demo- kratische ordnung zu dem könig, der zuerst ἀκούετε λεῴ gerufen hat, vorzüglich paſst. so will ich denn nicht unbedingt entscheiden, welche localisirung jener geschichte den vorzug verdient. aber ich gestehe mich selbst viel mehr zu der bei Polyaen hingezogen zu fühlen, deren locale näher bei einander liegen und altertümlicher sind. insbesondere meine ich, daſs die οἰκήματα πλησίον τοῦ Θησείου viel eher nach dem vierten 21) 22) Wenn eine legende den Theseus alle τεμένη, die er als lohn für den Kretazug erhielt, dem Herakles abtreten lieſs, so will sie freilich erläutern, wieso Herakles so viel, Theseus so wenig heiligtümer hat, und sie redet, wie sich für eine wirkungsvolle geschichte ziemt, ohne eine ausnahme zu gunsten des städtischen Theseions zu machen. aber deswegen beabsichtigt sie dies weder für ein altes Heraklesheiligtum noch für jung zu erklären. erst wenn die forschung sich auf die legende erstreckt, muſste man eins von beiden tun, die bestehenden Theseien für jung erklären, oder ausnahmen von der schenkung zugeben. wirklich ist Philochoros so verfahren (Plut. 35). er hat vier alte Theseien ausgenommen: wir werden ihm folgen und das städtische vor allen darunter suchen. 21) auch der exercierplatz verständlich, und in seiner verwendung zum appellplatz in den veränderten verhältnissen des fünften jahrhunderts dauert die alte sitte. am nordabhange der burg, östlich vom Agraulion, lag das prytaneion, westlich das thesmothetenhaus, unterhalb der Apollongrotte. dieses ganze gebiet also war öffent- licher grund, der privaten bebauung entzogen. noch in der jugend des Peisistratos mögen die mädchen καϑαϱὸν γάνος Ἠϱιδάνοιο geschöpft haben, der zwischen gärten floſs (Strab. 397). dann zog sich das politische leben nach dem markte westwärts, auf dem heiligen terrain siedelten sich die buden an (Herm. 22, 119), und die gerbereien der Kydathenaeer machten das wasser des Eridanos selbst für das vieh ungenieſsbar. eine spätere zeit (zweite hälfte des dritten jahrhunderts) hat durch groſse neubauten für ihre zwecke den alten öffentlichen grund besetzt und so die physiognomie dieses stadtteils von neuem geändert. Theseus hatte an seinem tempel genug, die Anakes, die ziemlich verschollene götter waren, erst recht. da baute man neben dem unterirdisch geführten Eridanos auf dem alten Theseusgrunde das gymnasium des Ptolemaios, weiter östlich das Diogenesgymnasium. wieder etliche generationen später ward das alte gewirr der buden durch den römischen markt mit seinen hallen und toren und der uhr ersetzt. endlich errichtete Hadrian seinen riesenbau weiter nördlich; da war der Eridanos schon ganz vergessen, und sein name spukte nur noch in den büchern. unter Theseion und Anakeion verstand man die tempel, den burgaufgang durch das Agraulion, den noch die Diogenesbriefe (30) erwähnen, kannte man auch nicht mehr.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/285
Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/285>, abgerufen am 22.11.2024.