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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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König.
könig in Athen mit den königen der phylen am prytaneion abhielt, macht
den schluss; die worte sind verstümmelt.140)

In dieser darstellung, die die spuren der kürzung überall trägt,
ist doch an zwei stellen latente polemik kenntlich. es wird betont, dass
der könig es ist, der durch öffentliche proclamation den mordes be-
schuldigten anweist, sich von iera und osia fern zu halten. dass sich
die mordrächer selbst dieses recht vindicirten, zeigte Antiphon 6, 34 u. ö.,
ohne dass darin eine ungesetzlichkeit gefunden wird. also war der be-
richterstatter, den Aristoteles bekämpft, in seinem rechte, sei es dass
die sitte mittlerweile gewechselt hatte, sei es dass das gesetz die eigne
action des bluträchers noch weiter zu gunsten des staates beschränkt
hatte.141) ferner betont Aristoteles, dass nur noch phonou traumatos

absetzen, das opfer vollziehn. eigentlich darf der könig sich durch den verkehr mit
dem blutbefleckten gar nicht besudeln; aber es ist ein zwang, so gut wie dass dieser
in den heiligen bezirk tritt: diesen zwang symbolisirt das absetzen des kranzes, es ist
ein schönes symbol; so etwas ist echt attisch. wenn Demosthenes, während er selbst
noch trauer hat, sich den kranz aufsetzt, weil Philippos ermordet ist, so ist das an sich
ein ausbruch wilden hasses, unschön, unattisch, unfromm, aber in der zeit und an
dem menschen begreiflich und vielleicht entschuldbar, weil die liebe zum vaterlande
ihn einseitig beherrschte. aber keine entschuldigung verdient, wer sich gebärdet,
als wäre das ein angeblich antikes, 'heidnisches' empfinden: es ist gottlos zu allen
zeiten, einerlei mit welchem namen gott gerade genannt wird; wenn es aber wider
eine religion besonders verstösst, so ist es nicht die der christlichen kirchen, son-
dern die welche die begriffe der nemesis und der ubris ausgebildet hat. Odysseus
hat es schon der Eurykleia gesagt, und Archilochos auch, der doch rechtschaffen zu
hassen wusste.
140) Es scheint dass Blass dem Aristoteles zutraut, gesagt zu haben otan de
me eide ton poiesanta, to drasanti lagkhanei, dikazei d o basileus kai oi phulo-
basileis. darin mag man die auslassung der subjects im ersten satze vielleicht er-
tragen, weil es nicht indefinit ist, sondern den nächst verpflichteten bezeichnet.
aber es ist beispiellos hart. unerträglich ist, dass der gerichtshof fehlt. und
noch ärger wird es, wenn zu den folgenden worten kai tas ton apsukhon kai ton
allon zoon das ganze letzte satzglied supplirt werden soll. das interpungiren
ist hier ein sehr unantikes hilfsmittel, weil jeder zunächst praedicat und object in
eins ziehen muss.
141) Bei phonos adelos, wo die prorresis des bluträchers, die ladung des
angeschuldigten, fortfiel, konnte natürlich der könig allein die proagoreusis
vornehmen. so tut könig Oidipus in seiner proclamation, die sofort verständlich
ist, sobald man dem attischen rechte folgt. und so heisst es in den trefflichen
patmischen scholien zur Aristokratea (Bull. Corr. Hell. I 139) epi prutaneio
dikazetai (cod. dikazontai) phonou, `'tan o men aneremenos delos e, zetetai
(zeteitai cod.) de o ton phonon drasas. kai apopherei ten graphen pros ton basilea,
kai o basileus keruttei dia tou kerukos kai apagoreuei tonde ton anelonta

König.
könig in Athen mit den königen der phylen am prytaneion abhielt, macht
den schluſs; die worte sind verstümmelt.140)

In dieser darstellung, die die spuren der kürzung überall trägt,
ist doch an zwei stellen latente polemik kenntlich. es wird betont, daſs
der könig es ist, der durch öffentliche proclamation den mordes be-
schuldigten anweist, sich von ἱεϱά und ὅσια fern zu halten. daſs sich
die mordrächer selbst dieses recht vindicirten, zeigte Antiphon 6, 34 u. ö.,
ohne daſs darin eine ungesetzlichkeit gefunden wird. also war der be-
richterstatter, den Aristoteles bekämpft, in seinem rechte, sei es daſs
die sitte mittlerweile gewechselt hatte, sei es daſs das gesetz die eigne
action des bluträchers noch weiter zu gunsten des staates beschränkt
hatte.141) ferner betont Aristoteles, daſs nur noch φόνου τϱαύματος

absetzen, das opfer vollziehn. eigentlich darf der könig sich durch den verkehr mit
dem blutbefleckten gar nicht besudeln; aber es ist ein zwang, so gut wie daſs dieser
in den heiligen bezirk tritt: diesen zwang symbolisirt das absetzen des kranzes, es ist
ein schönes symbol; so etwas ist echt attisch. wenn Demosthenes, während er selbst
noch trauer hat, sich den kranz aufsetzt, weil Philippos ermordet ist, so ist das an sich
ein ausbruch wilden hasses, unschön, unattisch, unfromm, aber in der zeit und an
dem menschen begreiflich und vielleicht entschuldbar, weil die liebe zum vaterlande
ihn einseitig beherrschte. aber keine entschuldigung verdient, wer sich gebärdet,
als wäre das ein angeblich antikes, ‘heidnisches’ empfinden: es ist gottlos zu allen
zeiten, einerlei mit welchem namen gott gerade genannt wird; wenn es aber wider
eine religion besonders verstöſst, so ist es nicht die der christlichen kirchen, son-
dern die welche die begriffe der νέμεσις und der ὕβϱις ausgebildet hat. Odysseus
hat es schon der Eurykleia gesagt, und Archilochos auch, der doch rechtschaffen zu
hassen wuſste.
140) Es scheint daſs Blaſs dem Aristoteles zutraut, gesagt zu haben ὅταν δὲ
μὴ εἰδῇ τὸν ποιήσαντα, τῷ δϱάσαντι λαγχάνει, δικάζει δ̕ ὁ βασιλεὺς καὶ οἱ φυλο-
βασιλεῖς. darin mag man die auslassung der subjects im ersten satze vielleicht er-
tragen, weil es nicht indefinit ist, sondern den nächst verpflichteten bezeichnet.
aber es ist beispiellos hart. unerträglich ist, daſs der gerichtshof fehlt. und
noch ärger wird es, wenn zu den folgenden worten καὶ τὰς τῶν ἀψύχων καὶ τῶν
ἄλλων ζῴων das ganze letzte satzglied supplirt werden soll. das interpungiren
ist hier ein sehr unantikes hilfsmittel, weil jeder zunächst praedicat und object in
eins ziehen muſs.
141) Bei φόνος ἄδηλος, wo die πϱόϱϱησις des bluträchers, die ladung des
angeschuldigten, fortfiel, konnte natürlich der könig allein die πϱοαγόϱευσις
vornehmen. so tut könig Oidipus in seiner proclamation, die sofort verständlich
ist, sobald man dem attischen rechte folgt. und so heiſst es in den trefflichen
patmischen scholien zur Aristokratea (Bull. Corr. Hell. I 139) ἐπὶ πϱυτανείῳ
δικάζεται (cod. δικάζονται) φόνου, ῞ταν ὁ μὲν ἀνῃϱημένος δῆλος ᾖ, ζητῆται
(ζητεῖται cod.) δὲ ὁ τὸν φόνον δϱάσας. καὶ ἀποφέϱει τὴν γϱαφὴν πϱὸς τὸν βασιλέα,
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[253/0267] König. könig in Athen mit den königen der phylen am prytaneion abhielt, macht den schluſs; die worte sind verstümmelt. 140) In dieser darstellung, die die spuren der kürzung überall trägt, ist doch an zwei stellen latente polemik kenntlich. es wird betont, daſs der könig es ist, der durch öffentliche proclamation den mordes be- schuldigten anweist, sich von ἱεϱά und ὅσια fern zu halten. daſs sich die mordrächer selbst dieses recht vindicirten, zeigte Antiphon 6, 34 u. ö., ohne daſs darin eine ungesetzlichkeit gefunden wird. also war der be- richterstatter, den Aristoteles bekämpft, in seinem rechte, sei es daſs die sitte mittlerweile gewechselt hatte, sei es daſs das gesetz die eigne action des bluträchers noch weiter zu gunsten des staates beschränkt hatte. 141) ferner betont Aristoteles, daſs nur noch φόνου τϱαύματος 139) 140) Es scheint daſs Blaſs dem Aristoteles zutraut, gesagt zu haben ὅταν δὲ μὴ εἰδῇ τὸν ποιήσαντα, τῷ δϱάσαντι λαγχάνει, δικάζει δ̕ ὁ βασιλεὺς καὶ οἱ φυλο- βασιλεῖς. darin mag man die auslassung der subjects im ersten satze vielleicht er- tragen, weil es nicht indefinit ist, sondern den nächst verpflichteten bezeichnet. aber es ist beispiellos hart. unerträglich ist, daſs der gerichtshof fehlt. und noch ärger wird es, wenn zu den folgenden worten καὶ τὰς τῶν ἀψύχων καὶ τῶν ἄλλων ζῴων das ganze letzte satzglied supplirt werden soll. das interpungiren ist hier ein sehr unantikes hilfsmittel, weil jeder zunächst praedicat und object in eins ziehen muſs. 141) Bei φόνος ἄδηλος, wo die πϱόϱϱησις des bluträchers, die ladung des angeschuldigten, fortfiel, konnte natürlich der könig allein die πϱοαγόϱευσις vornehmen. so tut könig Oidipus in seiner proclamation, die sofort verständlich ist, sobald man dem attischen rechte folgt. und so heiſst es in den trefflichen patmischen scholien zur Aristokratea (Bull. Corr. Hell. I 139) ἐπὶ πϱυτανείῳ δικάζεται (cod. δικάζονται) φόνου, ῞ταν ὁ μὲν ἀνῃϱημένος δῆλος ᾖ, ζητῆται (ζητεῖται cod.) δὲ ὁ τὸν φόνον δϱάσας. καὶ ἀποφέϱει τὴν γϱαφὴν πϱὸς τὸν βασιλέα, καὶ ὁ βασιλεὺς κηϱύττει διὰ τοῦ κήϱυκος καὶ ἀπαγοϱεύει τόνδε τὸν ἀνελόντα 139) absetzen, das opfer vollziehn. eigentlich darf der könig sich durch den verkehr mit dem blutbefleckten gar nicht besudeln; aber es ist ein zwang, so gut wie daſs dieser in den heiligen bezirk tritt: diesen zwang symbolisirt das absetzen des kranzes, es ist ein schönes symbol; so etwas ist echt attisch. wenn Demosthenes, während er selbst noch trauer hat, sich den kranz aufsetzt, weil Philippos ermordet ist, so ist das an sich ein ausbruch wilden hasses, unschön, unattisch, unfromm, aber in der zeit und an dem menschen begreiflich und vielleicht entschuldbar, weil die liebe zum vaterlande ihn einseitig beherrschte. aber keine entschuldigung verdient, wer sich gebärdet, als wäre das ein angeblich antikes, ‘heidnisches’ empfinden: es ist gottlos zu allen zeiten, einerlei mit welchem namen gott gerade genannt wird; wenn es aber wider eine religion besonders verstöſst, so ist es nicht die der christlichen kirchen, son- dern die welche die begriffe der νέμεσις und der ὕβϱις ausgebildet hat. Odysseus hat es schon der Eurykleia gesagt, und Archilochos auch, der doch rechtschaffen zu hassen wuſste.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/267>, abgerufen am 22.11.2024.