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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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1. Chronologie.

Denn Aristoteles glaubt das jahr durch den namen jedem zweifel
enthoben, und so viel irgend bekannt ist, hat auch die liste der jahr-
beamten an keiner stelle geschwankt: so etwas wie die römischen dicta-
torenjahre, wie die gefälschten consulate und die differenzen zwischen
Die archon-
tenliste.
amtsjahr und kalenderjahr in Rom gibt es nicht. das war nur möglich,
wenn eine authentische liste seit alters bestand, und wenn in fällen, die
zweifel hervorrufen konnten, das gesetz eingriff. wir kannten einen
solchen fall, die bezeichnung des jahres 404/3 als anarkhia, obwol der
jahresbeamte Pythodoros ziemlich 10 monate amtirt hat; wussten auch,
dass in später zeit dieselbe praxis beliebt worden ist. durch Aristoteles
lernen wir zu, dass anarkhia schon der name von zwei jahren, 589 und 584
war; sein ausdruck anarkhian epoiesan lässt sich schon grammatisch nicht
anders verstehen 7), und ob das jahr der 10 archonten 581/0 einen namen
von einem derselben trug, bleibt ungewiss. suffecti und usurpatoren
werden in der rechnung, damit sie stimmen kann, nicht berücksichtigt,
aber die überlieferung, die dem Aristoteles vorlag, erstreckte sich auch
auf sie. so berichtet er, dass Damasias die ersten zwei monate von 581/0
factisch regierte; aber das jahr heisst nicht nach ihm, und das jahr 411/10
heisst nach Theopompos, obwol die 400 in ihrer viermonatlichen herr-
schaft einen jahreswechsel erlebt und einen der ihren, Mnesilochos, zum
archon gemacht hatten, der abgesetzt ward (33, 1); diesen namen
gibt für uns Aristoteles und lehrt so eine urkunde aus jenen zwei monaten
des Mnesilochos ergänzen (CIA IV p. 162). die reformen des Kleisthenes
fallen auf das jahr 508/7, das nach Isagoras heisst, also nach dem der
vertrieben werden musste, damit diese reformen möglich wurden. hier
ist der ersatzmann nicht in die liste gekommen, und jetzt nennt ihn
auch Aristoteles nicht. man kann nicht bezweifeln, dass es kein anderer
als Kleisthenes selbst war, da der archon damals der eigentliche exe-
cutivbeamte war, und Kleisthenes doch ein amt bekleiden musste, um
seine gewaltsamen neuerungen durchzusetzen. da die stelle der Politie
lückenhaft ist, mag es auch bei Aristoteles gestanden haben.

Wenn jedes einzelne jahr seinen individualnamen hat, so ist nichts so
störend wie homonymien, und die Athener haben sie, obwol die iteration
des amtes gesetzlich verboten war, weder als sie wählten noch als sie losten,
zu vermeiden gewusst. in den mitteln, die üblen folgen zu vermeiden,
sind sie nicht consequent gewesen und haben während des amtsjahres
einer person, von der ein namensvetter kurz vorher ein jahr benannt

7) Vgl. Dion von Prusa 21, 2 ar oun, oper Athenaioi pollakis kai emas khre
anarkhian anagraphein ton paronta kairon.
1. Chronologie.

Denn Aristoteles glaubt das jahr durch den namen jedem zweifel
enthoben, und so viel irgend bekannt ist, hat auch die liste der jahr-
beamten an keiner stelle geschwankt: so etwas wie die römischen dicta-
torenjahre, wie die gefälschten consulate und die differenzen zwischen
Die archon-
tenliste.
amtsjahr und kalenderjahr in Rom gibt es nicht. das war nur möglich,
wenn eine authentische liste seit alters bestand, und wenn in fällen, die
zweifel hervorrufen konnten, das gesetz eingriff. wir kannten einen
solchen fall, die bezeichnung des jahres 404/3 als ἀναϱχία, obwol der
jahresbeamte Pythodoros ziemlich 10 monate amtirt hat; wuſsten auch,
daſs in später zeit dieselbe praxis beliebt worden ist. durch Aristoteles
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war; sein ausdruck ἀναϱχίαν ἐποίησαν läſst sich schon grammatisch nicht
anders verstehen 7), und ob das jahr der 10 archonten 581/0 einen namen
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aber die überlieferung, die dem Aristoteles vorlag, erstreckte sich auch
auf sie. so berichtet er, daſs Damasias die ersten zwei monate von 581/0
factisch regierte; aber das jahr heiſst nicht nach ihm, und das jahr 411/10
heiſst nach Theopompos, obwol die 400 in ihrer viermonatlichen herr-
schaft einen jahreswechsel erlebt und einen der ihren, Mnesilochos, zum
archon gemacht hatten, der abgesetzt ward (33, 1); diesen namen
gibt für uns Aristoteles und lehrt so eine urkunde aus jenen zwei monaten
des Mnesilochos ergänzen (CIA IV p. 162). die reformen des Kleisthenes
fallen auf das jahr 508/7, das nach Isagoras heiſst, also nach dem der
vertrieben werden muſste, damit diese reformen möglich wurden. hier
ist der ersatzmann nicht in die liste gekommen, und jetzt nennt ihn
auch Aristoteles nicht. man kann nicht bezweifeln, daſs es kein anderer
als Kleisthenes selbst war, da der archon damals der eigentliche exe-
cutivbeamte war, und Kleisthenes doch ein amt bekleiden muſste, um
seine gewaltsamen neuerungen durchzusetzen. da die stelle der Politie
lückenhaft ist, mag es auch bei Aristoteles gestanden haben.

Wenn jedes einzelne jahr seinen individualnamen hat, so ist nichts so
störend wie homonymien, und die Athener haben sie, obwol die iteration
des amtes gesetzlich verboten war, weder als sie wählten noch als sie losten,
zu vermeiden gewuſst. in den mitteln, die üblen folgen zu vermeiden,
sind sie nicht consequent gewesen und haben während des amtsjahres
einer person, von der ein namensvetter kurz vorher ein jahr benannt

7) Vgl. Dion von Prusa 21, 2 ἆϱ̕ οὖν, ὅπεϱ Ἀϑηναῖοι πολλάκις καὶ ἡμᾶς χϱὴ
ἀναϱχίαν ἀναγϱάφειν τὸν παϱόντα καιϱόν.
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[6/0020] 1. Chronologie. Denn Aristoteles glaubt das jahr durch den namen jedem zweifel enthoben, und so viel irgend bekannt ist, hat auch die liste der jahr- beamten an keiner stelle geschwankt: so etwas wie die römischen dicta- torenjahre, wie die gefälschten consulate und die differenzen zwischen amtsjahr und kalenderjahr in Rom gibt es nicht. das war nur möglich, wenn eine authentische liste seit alters bestand, und wenn in fällen, die zweifel hervorrufen konnten, das gesetz eingriff. wir kannten einen solchen fall, die bezeichnung des jahres 404/3 als ἀναϱχία, obwol der jahresbeamte Pythodoros ziemlich 10 monate amtirt hat; wuſsten auch, daſs in später zeit dieselbe praxis beliebt worden ist. durch Aristoteles lernen wir zu, daſs ἀναϱχία schon der name von zwei jahren, 589 und 584 war; sein ausdruck ἀναϱχίαν ἐποίησαν läſst sich schon grammatisch nicht anders verstehen 7), und ob das jahr der 10 archonten 581/0 einen namen von einem derselben trug, bleibt ungewiſs. suffecti und usurpatoren werden in der rechnung, damit sie stimmen kann, nicht berücksichtigt, aber die überlieferung, die dem Aristoteles vorlag, erstreckte sich auch auf sie. so berichtet er, daſs Damasias die ersten zwei monate von 581/0 factisch regierte; aber das jahr heiſst nicht nach ihm, und das jahr 411/10 heiſst nach Theopompos, obwol die 400 in ihrer viermonatlichen herr- schaft einen jahreswechsel erlebt und einen der ihren, Mnesilochos, zum archon gemacht hatten, der abgesetzt ward (33, 1); diesen namen gibt für uns Aristoteles und lehrt so eine urkunde aus jenen zwei monaten des Mnesilochos ergänzen (CIA IV p. 162). die reformen des Kleisthenes fallen auf das jahr 508/7, das nach Isagoras heiſst, also nach dem der vertrieben werden muſste, damit diese reformen möglich wurden. hier ist der ersatzmann nicht in die liste gekommen, und jetzt nennt ihn auch Aristoteles nicht. man kann nicht bezweifeln, daſs es kein anderer als Kleisthenes selbst war, da der archon damals der eigentliche exe- cutivbeamte war, und Kleisthenes doch ein amt bekleiden muſste, um seine gewaltsamen neuerungen durchzusetzen. da die stelle der Politie lückenhaft ist, mag es auch bei Aristoteles gestanden haben. Die archon- tenliste. Wenn jedes einzelne jahr seinen individualnamen hat, so ist nichts so störend wie homonymien, und die Athener haben sie, obwol die iteration des amtes gesetzlich verboten war, weder als sie wählten noch als sie losten, zu vermeiden gewuſst. in den mitteln, die üblen folgen zu vermeiden, sind sie nicht consequent gewesen und haben während des amtsjahres einer person, von der ein namensvetter kurz vorher ein jahr benannt 7) Vgl. Dion von Prusa 21, 2 ἆϱ̕ οὖν, ὅπεϱ Ἀϑηναῖοι πολλάκις καὶ ἡμᾶς χϱὴ ἀναϱχίαν ἀναγϱάφειν τὸν παϱόντα καιϱόν.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/20>, abgerufen am 30.12.2024.