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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts.

Aus Argos war er schleunigst an die westküste geflohen; das musste
man bald erfahren; von da nach Kerkyra, wo er auf asylrecht anspruch
hatte, da er den charakter als euergetes von der insel besass. aber
auch dort war seines bleibens nicht, da die insel nicht wünschte, dem
Hellenenbunde eine auslieferungsforderung abschlagen zu müssen, und nun
war jede spur von dem verloren, der zehn jahre früher Hellas gerettet
hatte. wie sollte die phantasie des volkes sich nicht mit ihm beschäf-
tigen, dem listenreichen und gewissenlosen, wie sollte sie nicht die lücken
des wissens ergänzen, die man peinlich empfand? es war ja noch die
zeit, wo die sage ihre ranken um jede hervorragende person schlang,
und jede ungeheure tat auf die einfach grossen motive des epos und des
dramas zurückgeführt ward. damals musste sich die Themistokleslegende
bilden. wer 464 erzählte, Themistokles sei in Susa, der fand eben so
leicht oder schwer glauben wie wenn er ihn in den fernen westen ver-
setzte. dass er zu Hieron geflohen wäre, ist noch von Stesimbrotos er-
zählt worden, und da er den weg nach westen eingeschlagen hatte,
musste das lange sehr wahrscheinlich klingen. endlich ward man sicher,
dass er als herr von Magnesia am Maiandros vom grosskönig belehnt war,
mit ansprüchen auf Myus und Lampsakos, städte des Reiches, also eine
gefährliche person, von der man sich arger dinge versehen musste. er
war wirklich ein tyrann und schlug auf eignen namen münze, auch
falsche. aber er war alt und satt. seinem vaterlande tat er nichts zu
liebe noch zu leide und liess die weltgeschichte gehn wie sie wollte.
auch ihm störte niemand seine kreise. schliesslich starb er irgendwann;
für Hellas war er lange tot.

Aber seine grossen taten lebten, und sein über verdienst dankbares
volk ruhte nicht, bis es für seine taten einen andern abschluss gefunden
hatte als den schrillen misklang der flucht des geächteten oder den
schlimmeren der faulen paschaexistenz. da er ihnen das gefürchtete leid
nicht antat, erzählten sie, er wäre freiwillig gestorben, als er sich nicht
anders der forderung des barbaren entziehen konnte, wider Hellas zu

(der akte) umbogen, unter wasser einen 'altarähnlichen felsen', den sie schon zu des
komikers Platon zeiten als das grab des stifters des hafens begrüssten, in den sie
einfuhren -- natürlich, weil dieser grosse mann kein grab noch ehrendenkmal hatte.
dass man dann den ort Themistokleion nannte, ist begreiflich. später gab es übrigens,
wie es scheint in der nähe des 'alten' theaters und der 'anlagen (psuktrai)', irgend
ein heiligtum o idrusato Themistokles pro tes peri Salamina naumakhias (inschrift
vorsullanischer zeit Eph. arkh. 1884, 170, 24). aber das alte theater ist natürlich,
wie auch die ordnung der inschrift lehrt, das von Munichia.
I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts.

Aus Argos war er schleunigst an die westküste geflohen; das muſste
man bald erfahren; von da nach Kerkyra, wo er auf asylrecht anspruch
hatte, da er den charakter als εὐεϱγέτης von der insel besaſs. aber
auch dort war seines bleibens nicht, da die insel nicht wünschte, dem
Hellenenbunde eine auslieferungsforderung abschlagen zu müssen, und nun
war jede spur von dem verloren, der zehn jahre früher Hellas gerettet
hatte. wie sollte die phantasie des volkes sich nicht mit ihm beschäf-
tigen, dem listenreichen und gewissenlosen, wie sollte sie nicht die lücken
des wissens ergänzen, die man peinlich empfand? es war ja noch die
zeit, wo die sage ihre ranken um jede hervorragende person schlang,
und jede ungeheure tat auf die einfach groſsen motive des epos und des
dramas zurückgeführt ward. damals muſste sich die Themistokleslegende
bilden. wer 464 erzählte, Themistokles sei in Susa, der fand eben so
leicht oder schwer glauben wie wenn er ihn in den fernen westen ver-
setzte. daſs er zu Hieron geflohen wäre, ist noch von Stesimbrotos er-
zählt worden, und da er den weg nach westen eingeschlagen hatte,
muſste das lange sehr wahrscheinlich klingen. endlich ward man sicher,
daſs er als herr von Magnesia am Maiandros vom groſskönig belehnt war,
mit ansprüchen auf Myus und Lampsakos, städte des Reiches, also eine
gefährliche person, von der man sich arger dinge versehen muſste. er
war wirklich ein tyrann und schlug auf eignen namen münze, auch
falsche. aber er war alt und satt. seinem vaterlande tat er nichts zu
liebe noch zu leide und lieſs die weltgeschichte gehn wie sie wollte.
auch ihm störte niemand seine kreise. schlieſslich starb er irgendwann;
für Hellas war er lange tot.

Aber seine groſsen taten lebten, und sein über verdienst dankbares
volk ruhte nicht, bis es für seine taten einen andern abschluſs gefunden
hatte als den schrillen misklang der flucht des geächteten oder den
schlimmeren der faulen paschaexistenz. da er ihnen das gefürchtete leid
nicht antat, erzählten sie, er wäre freiwillig gestorben, als er sich nicht
anders der forderung des barbaren entziehen konnte, wider Hellas zu

(der ἀκτή) umbogen, unter wasser einen ‘altarähnlichen felsen’, den sie schon zu des
komikers Platon zeiten als das grab des stifters des hafens begrüſsten, in den sie
einfuhren — natürlich, weil dieser groſse mann kein grab noch ehrendenkmal hatte.
daſs man dann den ort Θεμιστοκλεῖον nannte, ist begreiflich. später gab es übrigens,
wie es scheint in der nähe des ‘alten’ theaters und der ‘anlagen (ψύκτϱαι)’, irgend
ein heiligtum ὃ ἱδϱύσατο Θεμιστοκλῆς πϱὸ τῆς πεϱὶ Σαλαμῖνα ναυμαχίας (inschrift
vorsullanischer zeit Ἐφ. ἀϱχ. 1884, 170, 24). aber das alte theater ist natürlich,
wie auch die ordnung der inschrift lehrt, das von Munichia.
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[148/0162] I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts. Aus Argos war er schleunigst an die westküste geflohen; das muſste man bald erfahren; von da nach Kerkyra, wo er auf asylrecht anspruch hatte, da er den charakter als εὐεϱγέτης von der insel besaſs. aber auch dort war seines bleibens nicht, da die insel nicht wünschte, dem Hellenenbunde eine auslieferungsforderung abschlagen zu müssen, und nun war jede spur von dem verloren, der zehn jahre früher Hellas gerettet hatte. wie sollte die phantasie des volkes sich nicht mit ihm beschäf- tigen, dem listenreichen und gewissenlosen, wie sollte sie nicht die lücken des wissens ergänzen, die man peinlich empfand? es war ja noch die zeit, wo die sage ihre ranken um jede hervorragende person schlang, und jede ungeheure tat auf die einfach groſsen motive des epos und des dramas zurückgeführt ward. damals muſste sich die Themistokleslegende bilden. wer 464 erzählte, Themistokles sei in Susa, der fand eben so leicht oder schwer glauben wie wenn er ihn in den fernen westen ver- setzte. daſs er zu Hieron geflohen wäre, ist noch von Stesimbrotos er- zählt worden, und da er den weg nach westen eingeschlagen hatte, muſste das lange sehr wahrscheinlich klingen. endlich ward man sicher, daſs er als herr von Magnesia am Maiandros vom groſskönig belehnt war, mit ansprüchen auf Myus und Lampsakos, städte des Reiches, also eine gefährliche person, von der man sich arger dinge versehen muſste. er war wirklich ein tyrann und schlug auf eignen namen münze, auch falsche. aber er war alt und satt. seinem vaterlande tat er nichts zu liebe noch zu leide und lieſs die weltgeschichte gehn wie sie wollte. auch ihm störte niemand seine kreise. schlieſslich starb er irgendwann; für Hellas war er lange tot. Aber seine groſsen taten lebten, und sein über verdienst dankbares volk ruhte nicht, bis es für seine taten einen andern abschluſs gefunden hatte als den schrillen misklang der flucht des geächteten oder den schlimmeren der faulen paschaexistenz. da er ihnen das gefürchtete leid nicht antat, erzählten sie, er wäre freiwillig gestorben, als er sich nicht anders der forderung des barbaren entziehen konnte, wider Hellas zu 45) 45) (der ἀκτή) umbogen, unter wasser einen ‘altarähnlichen felsen’, den sie schon zu des komikers Platon zeiten als das grab des stifters des hafens begrüſsten, in den sie einfuhren — natürlich, weil dieser groſse mann kein grab noch ehrendenkmal hatte. daſs man dann den ort Θεμιστοκλεῖον nannte, ist begreiflich. später gab es übrigens, wie es scheint in der nähe des ‘alten’ theaters und der ‘anlagen (ψύκτϱαι)’, irgend ein heiligtum ὃ ἱδϱύσατο Θεμιστοκλῆς πϱὸ τῆς πεϱὶ Σαλαμῖνα ναυμαχίας (inschrift vorsullanischer zeit Ἐφ. ἀϱχ. 1884, 170, 24). aber das alte theater ist natürlich, wie auch die ordnung der inschrift lehrt, das von Munichia.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/162>, abgerufen am 28.11.2024.