Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.Die geschichte des Themistokles. halten. er gieng aber von Byzantion auf persisches gebiet nach Kolonaiin der Troas, wo er eine unbestimmte zeit blieb. da Sparta im herbst 476 in Leotychides gerade den einzigen könig wegen bestechung ver- urteilen musste42), wird man sich zunächst nicht einen zweiten arche- getenprocess aufgeladen haben. als er dem rufe nach der heimat gefolgt war, beeilte man sich keineswegs mit seinem processe, und Athen hatte keine veranlassung mehr, auf die verurteilung des unschädlichen zu dringen. erst als er eine verschwörung der Heloten anzettelte, ist es zur katastrophe gekommen. wir wissen nicht wann; aber nichts hindert uns, sie gemäss dem processe des Themistokles auf 472/1 anzusetzen; sie spricht höchstens dafür diesen so früh wie möglich zu datiren. Nicht in der überlieferung von der flucht des Themistokles, son- Themistokles wagte nicht, sich dem gerichte zu stellen; wir haben 42) Über die jahre der spartanischen könige hat Busolt Gr. Gesch. II 354 richtig geurteilt. Diodor befristet die 42 jahre des Archidamos zwischen Phaidon und Krates 476 und 434. das ist falsch, da Archidamos 427 gestorben ist, und andere seinen regierungsantritt 469 setzen, was die nötige zahl von regierungsjahren ergibt. aber Diodor kennt auch keine verbannung des Leotychides, sondern lässt ihn gleich unter Phaidon sterben. folglich hat er die zeit der verbannung nicht ge- rechnet, die in der tat in den regierungsjahren des Archidamos nicht gezählt ist, hat aber die geschichte des Leotychides auf das jahr seiner flucht gesetzt, das damit bestimmt wird. wer sie mit der thronbesteigung des Archidamos 469 verbindet, lässt ende der siebziger jahre eine peloponnesische flotte in Pagasai sein: eine bare unmög- lichkeit. in jene jahre fallen offenbar die kriege Spartas mit den Arkadern und sonstige wirren im Peloponnes. datirbar ist von ihnen nur der synoikismos von Elis. 43) Dass Kimon den Epikrates von Acharnai wegen dieser hinterziehung belangte, ist dem Stesimbrotos (Plut. Them. 24) ohne weiteres zu glauben. 44) Zu Sokrates zeiten lebte der älteste sohn als leerer sportsman unbehelligt in Athen (Plat. Men. 93), und ein seitenverwandter holte sich aus Magnesia eine tochter zur ehefrau (Plut. 32). beides war ohne einen formellen gnadenact des volkes nicht möglich. 45) Der bericht des periegeten Diodoros (Plut. 32) lässt über die entstehung der fabel gar keinen zweifel. die schiffer sahen, wenn sie um die ecke der Peiraieushalbinsel 10*
Die geschichte des Themistokles. halten. er gieng aber von Byzantion auf persisches gebiet nach Kolonaiin der Troas, wo er eine unbestimmte zeit blieb. da Sparta im herbst 476 in Leotychides gerade den einzigen könig wegen bestechung ver- urteilen muſste42), wird man sich zunächst nicht einen zweiten arche- getenprocess aufgeladen haben. als er dem rufe nach der heimat gefolgt war, beeilte man sich keineswegs mit seinem processe, und Athen hatte keine veranlassung mehr, auf die verurteilung des unschädlichen zu dringen. erst als er eine verschwörung der Heloten anzettelte, ist es zur katastrophe gekommen. wir wissen nicht wann; aber nichts hindert uns, sie gemäſs dem processe des Themistokles auf 472/1 anzusetzen; sie spricht höchstens dafür diesen so früh wie möglich zu datiren. Nicht in der überlieferung von der flucht des Themistokles, son- Themistokles wagte nicht, sich dem gerichte zu stellen; wir haben 42) Über die jahre der spartanischen könige hat Busolt Gr. Gesch. II 354 richtig geurteilt. Diodor befristet die 42 jahre des Archidamos zwischen Phaidon und Krates 476 und 434. das ist falsch, da Archidamos 427 gestorben ist, und andere seinen regierungsantritt 469 setzen, was die nötige zahl von regierungsjahren ergibt. aber Diodor kennt auch keine verbannung des Leotychides, sondern läſst ihn gleich unter Phaidon sterben. folglich hat er die zeit der verbannung nicht ge- rechnet, die in der tat in den regierungsjahren des Archidamos nicht gezählt ist, hat aber die geschichte des Leotychides auf das jahr seiner flucht gesetzt, das damit bestimmt wird. wer sie mit der thronbesteigung des Archidamos 469 verbindet, läſst ende der siebziger jahre eine peloponnesische flotte in Pagasai sein: eine bare unmög- lichkeit. in jene jahre fallen offenbar die kriege Spartas mit den Arkadern und sonstige wirren im Peloponnes. datirbar ist von ihnen nur der synoikismos von Elis. 43) Daſs Kimon den Epikrates von Acharnai wegen dieser hinterziehung belangte, ist dem Stesimbrotos (Plut. Them. 24) ohne weiteres zu glauben. 44) Zu Sokrates zeiten lebte der älteste sohn als leerer sportsman unbehelligt in Athen (Plat. Men. 93), und ein seitenverwandter holte sich aus Magnesia eine tochter zur ehefrau (Plut. 32). beides war ohne einen formellen gnadenact des volkes nicht möglich. 45) Der bericht des periegeten Diodoros (Plut. 32) läſst über die entstehung der fabel gar keinen zweifel. die schiffer sahen, wenn sie um die ecke der Peiraieushalbinsel 10*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0161" n="147"/><fw place="top" type="header">Die geschichte des Themistokles.</fw><lb/> halten. er gieng aber von Byzantion auf persisches gebiet nach Kolonai<lb/> in der Troas, wo er eine unbestimmte zeit blieb. da Sparta im herbst<lb/> 476 in Leotychides gerade den einzigen könig wegen bestechung ver-<lb/> urteilen muſste<note place="foot" n="42)">Über die jahre der spartanischen könige hat Busolt Gr. Gesch. II 354<lb/> richtig geurteilt. Diodor befristet die 42 jahre des Archidamos zwischen Phaidon<lb/> und Krates 476 und 434. das ist falsch, da Archidamos 427 gestorben ist, und<lb/> andere seinen regierungsantritt 469 setzen, was die nötige zahl von regierungsjahren<lb/> ergibt. aber Diodor kennt auch keine verbannung des Leotychides, sondern läſst<lb/> ihn gleich unter Phaidon sterben. folglich hat er die zeit der verbannung nicht ge-<lb/> rechnet, die in der tat in den regierungsjahren des Archidamos nicht gezählt ist, hat aber<lb/> die geschichte des Leotychides auf das jahr seiner flucht gesetzt, das damit bestimmt<lb/> wird. wer sie mit der thronbesteigung des Archidamos 469 verbindet, läſst ende<lb/> der siebziger jahre eine peloponnesische flotte in Pagasai sein: eine bare unmög-<lb/> lichkeit. in jene jahre fallen offenbar die kriege Spartas mit den Arkadern und<lb/> sonstige wirren im Peloponnes. datirbar ist von ihnen nur der synoikismos von Elis.</note>, wird man sich zunächst nicht einen zweiten arche-<lb/> getenprocess aufgeladen haben. als er dem rufe nach der heimat gefolgt<lb/> war, beeilte man sich keineswegs mit seinem processe, und Athen hatte<lb/> keine veranlassung mehr, auf die verurteilung des unschädlichen zu<lb/> dringen. erst als er eine verschwörung der Heloten anzettelte, ist es<lb/> zur katastrophe gekommen. wir wissen nicht wann; aber nichts hindert<lb/> uns, sie gemäſs dem processe des Themistokles auf 472/1 anzusetzen; sie<lb/> spricht höchstens dafür diesen so früh wie möglich zu datiren.</p><lb/> <p>Nicht in der überlieferung von der flucht des Themistokles, son-<lb/> dern in der von seinen weiteren schicksalen liegt für viele die ver-<lb/> lockung tiefer hinab zu gehn. diese überlieferung richtig zu würdigen,<lb/> wollen wir uns in das Hellas der sechziger jahre versetzen.</p><lb/> <p>Themistokles wagte nicht, sich dem gerichte zu stellen; wir haben<lb/> kein recht zu bezweifeln, daſs er wirklich compromittirt war. natürlich<lb/> wurde er nun verurteilt; verfehmt war er im ganzen Hellenenlande; sein<lb/> vermögen verfiel dem staate; doch gelang es seinen freunden, einen<lb/> groſsen teil des unredlich erworbenen gutes später in das ausland zu<lb/> retten.<note place="foot" n="43)">Daſs Kimon den Epikrates von Acharnai wegen dieser hinterziehung belangte,<lb/> ist dem Stesimbrotos (Plut. Them. 24) ohne weiteres zu glauben.</note> seine kinder erbten die ehrlosigkeit; doch sind sie irgend wann<lb/> restituirt<note place="foot" n="44)">Zu Sokrates zeiten lebte der älteste sohn als leerer sportsman unbehelligt<lb/> in Athen (Plat. Men. 93), und ein seitenverwandter holte sich aus Magnesia eine<lb/> tochter zur ehefrau (Plut. 32). beides war ohne einen formellen gnadenact des<lb/> volkes nicht möglich.</note>; er ist es rechtlich nie: daher die fabeln über sein grab.<note xml:id="note-0161" next="#note-0162" place="foot" n="45)">Der bericht des periegeten Diodoros (Plut. 32) läſst über die entstehung der<lb/> fabel gar keinen zweifel. die schiffer sahen, wenn sie um die ecke der Peiraieushalbinsel</note></p><lb/> <fw place="bottom" type="sig">10*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [147/0161]
Die geschichte des Themistokles.
halten. er gieng aber von Byzantion auf persisches gebiet nach Kolonai
in der Troas, wo er eine unbestimmte zeit blieb. da Sparta im herbst
476 in Leotychides gerade den einzigen könig wegen bestechung ver-
urteilen muſste 42), wird man sich zunächst nicht einen zweiten arche-
getenprocess aufgeladen haben. als er dem rufe nach der heimat gefolgt
war, beeilte man sich keineswegs mit seinem processe, und Athen hatte
keine veranlassung mehr, auf die verurteilung des unschädlichen zu
dringen. erst als er eine verschwörung der Heloten anzettelte, ist es
zur katastrophe gekommen. wir wissen nicht wann; aber nichts hindert
uns, sie gemäſs dem processe des Themistokles auf 472/1 anzusetzen; sie
spricht höchstens dafür diesen so früh wie möglich zu datiren.
Nicht in der überlieferung von der flucht des Themistokles, son-
dern in der von seinen weiteren schicksalen liegt für viele die ver-
lockung tiefer hinab zu gehn. diese überlieferung richtig zu würdigen,
wollen wir uns in das Hellas der sechziger jahre versetzen.
Themistokles wagte nicht, sich dem gerichte zu stellen; wir haben
kein recht zu bezweifeln, daſs er wirklich compromittirt war. natürlich
wurde er nun verurteilt; verfehmt war er im ganzen Hellenenlande; sein
vermögen verfiel dem staate; doch gelang es seinen freunden, einen
groſsen teil des unredlich erworbenen gutes später in das ausland zu
retten. 43) seine kinder erbten die ehrlosigkeit; doch sind sie irgend wann
restituirt 44); er ist es rechtlich nie: daher die fabeln über sein grab. 45)
42) Über die jahre der spartanischen könige hat Busolt Gr. Gesch. II 354
richtig geurteilt. Diodor befristet die 42 jahre des Archidamos zwischen Phaidon
und Krates 476 und 434. das ist falsch, da Archidamos 427 gestorben ist, und
andere seinen regierungsantritt 469 setzen, was die nötige zahl von regierungsjahren
ergibt. aber Diodor kennt auch keine verbannung des Leotychides, sondern läſst
ihn gleich unter Phaidon sterben. folglich hat er die zeit der verbannung nicht ge-
rechnet, die in der tat in den regierungsjahren des Archidamos nicht gezählt ist, hat aber
die geschichte des Leotychides auf das jahr seiner flucht gesetzt, das damit bestimmt
wird. wer sie mit der thronbesteigung des Archidamos 469 verbindet, läſst ende
der siebziger jahre eine peloponnesische flotte in Pagasai sein: eine bare unmög-
lichkeit. in jene jahre fallen offenbar die kriege Spartas mit den Arkadern und
sonstige wirren im Peloponnes. datirbar ist von ihnen nur der synoikismos von Elis.
43) Daſs Kimon den Epikrates von Acharnai wegen dieser hinterziehung belangte,
ist dem Stesimbrotos (Plut. Them. 24) ohne weiteres zu glauben.
44) Zu Sokrates zeiten lebte der älteste sohn als leerer sportsman unbehelligt
in Athen (Plat. Men. 93), und ein seitenverwandter holte sich aus Magnesia eine
tochter zur ehefrau (Plut. 32). beides war ohne einen formellen gnadenact des
volkes nicht möglich.
45) Der bericht des periegeten Diodoros (Plut. 32) läſst über die entstehung der
fabel gar keinen zweifel. die schiffer sahen, wenn sie um die ecke der Peiraieushalbinsel
10*
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |