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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts.
sache, dass Kimon dem Pausanias Sestos und Byzantion genommen hat
und danach Eion und Skyros. jede dieser beiden unternehmungen ist
aber durch ein ganz unzweideutiges zeugnis auf das jahr des Phaidon
476/5 bestimmt.41) es rückt also die vertreibung des Pausanias aus By-
zantion in den sommer 476 etwa; kaum ein jahr hat er sich dort ge-

chronologie des Thukydides verwirft, steht philologisch und historisch auf der-
selben höhe.
41) Dass die eroberungen von Eion und Skyros die ersten rasch auf die grün-
dung des Reiches folgenden ereignisse sind, sagt Thukydides I 98. dann folgt die
eroberung von Karystos und nach einiger zeit die von Naxos. eine allgemeine schilde-
rung macht den eindruck einige jahre zu füllen, dann die Eurymedonschlacht und
danach einige zeit der abfall von Thasos und die schlacht bei Drabeskos, die Thuky-
dides (IV 112) selbst auf 465/4 fixirt. den archon Phaidon nennt für Eion mit vor-
züglichstem detail schol. Aisch. 2, 31, für Skyros Plut. Thes. 36, beide aus der
Atthis. es gibt keine gegeninstanz. denn es ist lediglich ein seit Bentley immer
wieder begangenes grammatisches misverständnis, wenn man meint, dass bei Plutarch
Kim. 8 die heimführung der gebeine des Theseus auf die Dionysien des jahres 468
(Apsephion) gesetzt würden. so lange ich im banne der vulgata war, verwarf ich
die geschichte, denn es ist gar zu widersinnig, dass die heimführung einer leiche auf
die Dionysien, die heimkehr eines heeres in den märz fallen, die ehre eines feld-
herrn durch den archon bestimmt und darin gesucht werden soll, dass er über das
erstlingswerk eines jungen menschen ein kunsturteil abgibt. aber es steht etwas
ganz anderes da. "wegen der heimführung des Theseus war das volk dem Kimon
sehr gewogen. sie behielten aber von ihm auch im gedächtnis den urteilsspruch
über die tragiker, der sehr berühmt wurde." ethento de eis mnemen autou kai ten
ton tragodon krisin. das ist unsinn, wenn die Athener den urteilsspruch zu
Kimons gedächtnis eingerichtet haben sollen: man ändert ja auch schon daran. eis
mnemen tithesthai heisst was es allein heissen kann, "sie legten in ihr gedächtnis".
der genetiv autou gehört zu krisin. wie sie dem Kimon nicht vergassen, dass er
den Theseus heimgeführt hatte, so behielten sie von ihm in einem feinen herzen, dass
er einmal hatte preisrichter spielen müssen; das ward darum merkwürdig, weil der
junge mensch, dem er zum siege verhalf, der beliebteste tragiker geworden ist. so
ist die sache glaublich und hübsch. das publicum ist in aufregung, weil neben dem
grossen bewährten meister ein neuling auftreten soll, ein jüngling aus begütertem
bürgerhause von berufener schönheit und liebenswürdigkeit. da vereidigt der spiel-
leitende beamte die 10 feldherrn, die vertreter der 10 phylen, die zu einem Athena-
opfer auftreten (te theo scheint überliefert. der gott, dem das opfer galt,
ist mir nicht bekannt; das opfer der strategen kommt in den rechnungen über die
hautgelder vor, CIA II 741). die strategen haben eben mehr autorität als fünf be-
liebige biedermänner. sie haben für den anfänger entschieden, der nachher nicht
nur ein grosser dichter, sondern sogar ein stratege geworden ist. zur bestätigung
der geschichte dient, dass das datum durch die parische chronik bezeugt wird. für
Kimon folgt daraus nicht mehr, als dass er auch unter Apsephion die Oineis im stra-
tegencollegium vertrat.

I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts.
sache, daſs Kimon dem Pausanias Sestos und Byzantion genommen hat
und danach Eion und Skyros. jede dieser beiden unternehmungen ist
aber durch ein ganz unzweideutiges zeugnis auf das jahr des Phaidon
476/5 bestimmt.41) es rückt also die vertreibung des Pausanias aus By-
zantion in den sommer 476 etwa; kaum ein jahr hat er sich dort ge-

chronologie des Thukydides verwirft, steht philologisch und historisch auf der-
selben höhe.
41) Daſs die eroberungen von Eion und Skyros die ersten rasch auf die grün-
dung des Reiches folgenden ereignisse sind, sagt Thukydides I 98. dann folgt die
eroberung von Karystos und nach einiger zeit die von Naxos. eine allgemeine schilde-
rung macht den eindruck einige jahre zu füllen, dann die Eurymedonschlacht und
danach einige zeit der abfall von Thasos und die schlacht bei Drabeskos, die Thuky-
dides (IV 112) selbst auf 465/4 fixirt. den archon Phaidon nennt für Eion mit vor-
züglichstem detail schol. Aisch. 2, 31, für Skyros Plut. Thes. 36, beide aus der
Atthis. es gibt keine gegeninstanz. denn es ist lediglich ein seit Bentley immer
wieder begangenes grammatisches misverständnis, wenn man meint, daſs bei Plutarch
Kim. 8 die heimführung der gebeine des Theseus auf die Dionysien des jahres 468
(Apsephion) gesetzt würden. so lange ich im banne der vulgata war, verwarf ich
die geschichte, denn es ist gar zu widersinnig, daſs die heimführung einer leiche auf
die Dionysien, die heimkehr eines heeres in den märz fallen, die ehre eines feld-
herrn durch den archon bestimmt und darin gesucht werden soll, daſs er über das
erstlingswerk eines jungen menschen ein kunsturteil abgibt. aber es steht etwas
ganz anderes da. “wegen der heimführung des Theseus war das volk dem Kimon
sehr gewogen. sie behielten aber von ihm auch im gedächtnis den urteilsspruch
über die tragiker, der sehr berühmt wurde.” ἔϑεντο δὲ εἰς μνήμην αὐτοῦ καὶ τὴν
τῶν τϱαγῳδῶν κϱίσιν. das ist unsinn, wenn die Athener den urteilsspruch zu
Kimons gedächtnis eingerichtet haben sollen: man ändert ja auch schon daran. εἰς
μνήμην τίϑεσϑαι heiſst was es allein heiſsen kann, “sie legten in ihr gedächtnis”.
der genetiv αὐτοῦ gehört zu κϱίσιν. wie sie dem Kimon nicht vergaſsen, daſs er
den Theseus heimgeführt hatte, so behielten sie von ihm in einem feinen herzen, daſs
er einmal hatte preisrichter spielen müssen; das ward darum merkwürdig, weil der
junge mensch, dem er zum siege verhalf, der beliebteste tragiker geworden ist. so
ist die sache glaublich und hübsch. das publicum ist in aufregung, weil neben dem
groſsen bewährten meister ein neuling auftreten soll, ein jüngling aus begütertem
bürgerhause von berufener schönheit und liebenswürdigkeit. da vereidigt der spiel-
leitende beamte die 10 feldherrn, die vertreter der 10 phylen, die zu einem Athena-
opfer auftreten (τῇ ϑεῷ scheint überliefert. der gott, dem das opfer galt,
ist mir nicht bekannt; das opfer der strategen kommt in den rechnungen über die
hautgelder vor, CIA II 741). die strategen haben eben mehr autorität als fünf be-
liebige biedermänner. sie haben für den anfänger entschieden, der nachher nicht
nur ein groſser dichter, sondern sogar ein stratege geworden ist. zur bestätigung
der geschichte dient, daſs das datum durch die parische chronik bezeugt wird. für
Kimon folgt daraus nicht mehr, als daſs er auch unter Apsephion die Oineis im stra-
tegencollegium vertrat.
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[146/0160] I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts. sache, daſs Kimon dem Pausanias Sestos und Byzantion genommen hat und danach Eion und Skyros. jede dieser beiden unternehmungen ist aber durch ein ganz unzweideutiges zeugnis auf das jahr des Phaidon 476/5 bestimmt. 41) es rückt also die vertreibung des Pausanias aus By- zantion in den sommer 476 etwa; kaum ein jahr hat er sich dort ge- 40) 41) Daſs die eroberungen von Eion und Skyros die ersten rasch auf die grün- dung des Reiches folgenden ereignisse sind, sagt Thukydides I 98. dann folgt die eroberung von Karystos und nach einiger zeit die von Naxos. eine allgemeine schilde- rung macht den eindruck einige jahre zu füllen, dann die Eurymedonschlacht und danach einige zeit der abfall von Thasos und die schlacht bei Drabeskos, die Thuky- dides (IV 112) selbst auf 465/4 fixirt. den archon Phaidon nennt für Eion mit vor- züglichstem detail schol. Aisch. 2, 31, für Skyros Plut. Thes. 36, beide aus der Atthis. es gibt keine gegeninstanz. denn es ist lediglich ein seit Bentley immer wieder begangenes grammatisches misverständnis, wenn man meint, daſs bei Plutarch Kim. 8 die heimführung der gebeine des Theseus auf die Dionysien des jahres 468 (Apsephion) gesetzt würden. so lange ich im banne der vulgata war, verwarf ich die geschichte, denn es ist gar zu widersinnig, daſs die heimführung einer leiche auf die Dionysien, die heimkehr eines heeres in den märz fallen, die ehre eines feld- herrn durch den archon bestimmt und darin gesucht werden soll, daſs er über das erstlingswerk eines jungen menschen ein kunsturteil abgibt. aber es steht etwas ganz anderes da. “wegen der heimführung des Theseus war das volk dem Kimon sehr gewogen. sie behielten aber von ihm auch im gedächtnis den urteilsspruch über die tragiker, der sehr berühmt wurde.” ἔϑεντο δὲ εἰς μνήμην αὐτοῦ καὶ τὴν τῶν τϱαγῳδῶν κϱίσιν. das ist unsinn, wenn die Athener den urteilsspruch zu Kimons gedächtnis eingerichtet haben sollen: man ändert ja auch schon daran. εἰς μνήμην τίϑεσϑαι heiſst was es allein heiſsen kann, “sie legten in ihr gedächtnis”. der genetiv αὐτοῦ gehört zu κϱίσιν. wie sie dem Kimon nicht vergaſsen, daſs er den Theseus heimgeführt hatte, so behielten sie von ihm in einem feinen herzen, daſs er einmal hatte preisrichter spielen müssen; das ward darum merkwürdig, weil der junge mensch, dem er zum siege verhalf, der beliebteste tragiker geworden ist. so ist die sache glaublich und hübsch. das publicum ist in aufregung, weil neben dem groſsen bewährten meister ein neuling auftreten soll, ein jüngling aus begütertem bürgerhause von berufener schönheit und liebenswürdigkeit. da vereidigt der spiel- leitende beamte die 10 feldherrn, die vertreter der 10 phylen, die zu einem Athena- opfer auftreten (τῇ ϑεῷ scheint überliefert. der gott, dem das opfer galt, ist mir nicht bekannt; das opfer der strategen kommt in den rechnungen über die hautgelder vor, CIA II 741). die strategen haben eben mehr autorität als fünf be- liebige biedermänner. sie haben für den anfänger entschieden, der nachher nicht nur ein groſser dichter, sondern sogar ein stratege geworden ist. zur bestätigung der geschichte dient, daſs das datum durch die parische chronik bezeugt wird. für Kimon folgt daraus nicht mehr, als daſs er auch unter Apsephion die Oineis im stra- tegencollegium vertrat. 40) chronologie des Thukydides verwirft, steht philologisch und historisch auf der- selben höhe.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/160>, abgerufen am 22.11.2024.