Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.Themistokles. die geschichte des Themistokles. zu folgenreich, als dass ich an ihr vorbeigehn möchte, zumal ich schonöfter angedeutet habe, dass ich über sie etwas zu sagen hätte. jetzt ist das reif, denn ich bin so weit, dass ich jeder antiken überlieferung ihr recht lassen kann; von den modernen darf man in solchem falle schweigen. Themistokles spielt nach dem winter 479/8, wo er den mauerbauDie ge- 35) Wir kennen sie nur durch Plutarch Them. 20, und die berufung auf das verzeichnis der 31 bundesstaaten, d. h. die schlangensäule, garantirt ihre glaub- würdigkeit. erzählt wird sie zwischen dem angeblich geplanten attentat auf die flotte in Pagasai (476) und dem sturze des Themistokles. aber das ist lediglich stilistische anordnung, da erst die modernen einen zusammenhang mit dem zuge des Leotychides hineintragen, die sogar wissen, wo die nachricht herstammt, und was die tendenz des spartiatischen antrags war. dieser antrag kann lediglich bedeutet haben, dass die Spartaner den eid von 479 wahr machen wollten, den, wie Ditten- berger schön sagt, vicit mansuetudo et misericordia (Hallenser index lect. 90/91, wo er dekateuein erläutert hat). er kann beabsichtigt haben, die aufgabe des krieges in der ferne herbeizuführen, oder auch die factische aufgabe zu motiviren, zu der Sparta sich entschloss, oder etwas anderes: wo sowol die zeit wie die veranlassung unbekannt sind, ist das eine rechnung mit zwei unbekannten, für die nur eine glei- chung zur verfügung steht. 36) Es ist sünde in dieses grossartige denkmal des reinsten patriotismus
profane schmeicheleien und rankünen hineinzutragen. es ist einfach albern, in der schilderung des nahkampfes auf Psyttaleia ein compliment für den officier zu sehen, der dort commandirte, denn dass in jenem nahkampfe die vornehmsten Perser gefallen sind, ist eine tatsache, und von dem officier steht kein wort bei Aischylos. auf der Hellenenseite agirt kein einzelner ausser dem, der jenen listigen rat gab: und gegen den soll Aischylos parteiisch gewesen sein? ebensowenig kann irgend wer behaupten, dass er über den inhalt der Phoinissen des Phrynichos (deren aufführung 476 nicht fest steht) irgend etwas wisse, das des dichters sym- pathie für Themistokles oder Aristeides erkennen liesse. wenn Themistokles die choregie für dieses drama des Phrynichos geleistet hat, was ganz glaublich ist (ge- Themistokles. die geschichte des Themistokles. zu folgenreich, als daſs ich an ihr vorbeigehn möchte, zumal ich schonöfter angedeutet habe, daſs ich über sie etwas zu sagen hätte. jetzt ist das reif, denn ich bin so weit, daſs ich jeder antiken überlieferung ihr recht lassen kann; von den modernen darf man in solchem falle schweigen. Themistokles spielt nach dem winter 479/8, wo er den mauerbauDie ge- 35) Wir kennen sie nur durch Plutarch Them. 20, und die berufung auf das verzeichnis der 31 bundesstaaten, d. h. die schlangensäule, garantirt ihre glaub- würdigkeit. erzählt wird sie zwischen dem angeblich geplanten attentat auf die flotte in Pagasai (476) und dem sturze des Themistokles. aber das ist lediglich stilistische anordnung, da erst die modernen einen zusammenhang mit dem zuge des Leotychides hineintragen, die sogar wissen, wo die nachricht herstammt, und was die tendenz des spartiatischen antrags war. dieser antrag kann lediglich bedeutet haben, daſs die Spartaner den eid von 479 wahr machen wollten, den, wie Ditten- berger schön sagt, vicit mansuetudo et misericordia (Hallenser index lect. 90/91, wo er δεκατεύειν erläutert hat). er kann beabsichtigt haben, die aufgabe des krieges in der ferne herbeizuführen, oder auch die factische aufgabe zu motiviren, zu der Sparta sich entschloſs, oder etwas anderes: wo sowol die zeit wie die veranlassung unbekannt sind, ist das eine rechnung mit zwei unbekannten, für die nur eine glei- chung zur verfügung steht. 36) Es ist sünde in dieses groſsartige denkmal des reinsten patriotismus
profane schmeicheleien und rankünen hineinzutragen. es ist einfach albern, in der schilderung des nahkampfes auf Psyttaleia ein compliment für den officier zu sehen, der dort commandirte, denn daſs in jenem nahkampfe die vornehmsten Perser gefallen sind, ist eine tatsache, und von dem officier steht kein wort bei Aischylos. auf der Hellenenseite agirt kein einzelner auſser dem, der jenen listigen rat gab: und gegen den soll Aischylos parteiisch gewesen sein? ebensowenig kann irgend wer behaupten, daſs er über den inhalt der Phoinissen des Phrynichos (deren aufführung 476 nicht fest steht) irgend etwas wisse, das des dichters sym- pathie für Themistokles oder Aristeides erkennen lieſse. wenn Themistokles die choregie für dieses drama des Phrynichos geleistet hat, was ganz glaublich ist (ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0157" n="143"/><fw place="top" type="header">Themistokles. die geschichte des Themistokles.</fw><lb/> zu folgenreich, als daſs ich an ihr vorbeigehn möchte, zumal ich schon<lb/> öfter angedeutet habe, daſs ich über sie etwas zu sagen hätte. jetzt ist<lb/> das reif, denn ich bin so weit, daſs ich jeder antiken überlieferung ihr<lb/> recht lassen kann; von den modernen darf man in solchem falle<lb/> schweigen.</p><lb/> <p>Themistokles spielt nach dem winter 479/8, wo er den mauerbau<note place="right">Die ge-<lb/> schichte des<lb/> Themi-<lb/> stokles.</note><lb/> durchsetzt, keine für uns kenntliche politische rolle mehr. er ist noch<lb/> einmal vertreter Athens bei der amphiktionie gewesen und hat da den<lb/> antrag Spartas zu fall gebracht, die staaten, die 479 mit dem Meder ge-<lb/> gangen waren, zu vernichten. aber wir können diese tatsache zeitlich<lb/> so wenig bestimmen wie wir ihre politische bedeutung verstehn.<note place="foot" n="35)">Wir kennen sie nur durch Plutarch Them. 20, und die berufung auf das<lb/> verzeichnis der 31 bundesstaaten, d. h. die schlangensäule, garantirt ihre glaub-<lb/> würdigkeit. erzählt wird sie zwischen dem angeblich geplanten attentat auf die<lb/> flotte in Pagasai (476) und dem sturze des Themistokles. aber das ist lediglich<lb/> stilistische anordnung, da erst die modernen einen zusammenhang mit dem zuge des<lb/> Leotychides hineintragen, die sogar wissen, wo die nachricht herstammt, und was<lb/> die tendenz des spartiatischen antrags war. dieser antrag kann lediglich bedeutet<lb/> haben, daſs die Spartaner den eid von 479 wahr machen wollten, den, wie Ditten-<lb/> berger schön sagt, <hi rendition="#i">vicit mansuetudo et misericordia</hi> (Hallenser index lect. 90/91,<lb/> wo er δεκατεύειν erläutert hat). er kann beabsichtigt haben, die aufgabe des krieges<lb/> in der ferne herbeizuführen, oder auch die factische aufgabe zu motiviren, zu der<lb/> Sparta sich entschloſs, oder etwas anderes: wo sowol die zeit wie die veranlassung<lb/> unbekannt sind, ist das eine rechnung mit zwei unbekannten, für die nur eine glei-<lb/> chung zur verfügung steht.</note><lb/> unter Adeimantos, frühjahr 476, hat er für Phrynichos die choregie ge-<lb/> leistet: das ist für uns das letzte zeichen seiner anwesenheit in der<lb/> heimat. unter Menon 472 hat Aischylos in den Persern die verhängnis-<lb/> volle list des hellenischen mannes gefeiert, der den Xerxes zur schlacht<lb/> bei Salamis verführte. damals kann dieser mann nicht als Perserfreund<lb/> wegen hochverrats verurteilt oder beschrieen gewesen sein.<note xml:id="note-0157" next="#note-0158" place="foot" n="36)">Es ist sünde in dieses groſsartige denkmal des reinsten patriotismus<lb/> profane schmeicheleien und rankünen hineinzutragen. es ist einfach albern, in<lb/> der schilderung des nahkampfes auf Psyttaleia ein compliment für den officier<lb/> zu sehen, der dort commandirte, denn daſs in jenem nahkampfe die vornehmsten<lb/> Perser gefallen sind, ist eine tatsache, und von dem officier steht kein wort<lb/> bei Aischylos. auf der Hellenenseite agirt kein einzelner auſser dem, der jenen<lb/> listigen rat gab: und gegen den soll Aischylos parteiisch gewesen sein? ebensowenig<lb/> kann irgend wer behaupten, daſs er über den inhalt der Phoinissen des Phrynichos<lb/> (deren aufführung 476 nicht fest steht) irgend etwas wisse, das des dichters sym-<lb/> pathie für Themistokles oder Aristeides erkennen lieſse. wenn Themistokles die<lb/> choregie für dieses drama des Phrynichos geleistet hat, was ganz glaublich ist (ge-</note> das ist<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [143/0157]
Themistokles. die geschichte des Themistokles.
zu folgenreich, als daſs ich an ihr vorbeigehn möchte, zumal ich schon
öfter angedeutet habe, daſs ich über sie etwas zu sagen hätte. jetzt ist
das reif, denn ich bin so weit, daſs ich jeder antiken überlieferung ihr
recht lassen kann; von den modernen darf man in solchem falle
schweigen.
Themistokles spielt nach dem winter 479/8, wo er den mauerbau
durchsetzt, keine für uns kenntliche politische rolle mehr. er ist noch
einmal vertreter Athens bei der amphiktionie gewesen und hat da den
antrag Spartas zu fall gebracht, die staaten, die 479 mit dem Meder ge-
gangen waren, zu vernichten. aber wir können diese tatsache zeitlich
so wenig bestimmen wie wir ihre politische bedeutung verstehn. 35)
unter Adeimantos, frühjahr 476, hat er für Phrynichos die choregie ge-
leistet: das ist für uns das letzte zeichen seiner anwesenheit in der
heimat. unter Menon 472 hat Aischylos in den Persern die verhängnis-
volle list des hellenischen mannes gefeiert, der den Xerxes zur schlacht
bei Salamis verführte. damals kann dieser mann nicht als Perserfreund
wegen hochverrats verurteilt oder beschrieen gewesen sein. 36) das ist
Die ge-
schichte des
Themi-
stokles.
35) Wir kennen sie nur durch Plutarch Them. 20, und die berufung auf das
verzeichnis der 31 bundesstaaten, d. h. die schlangensäule, garantirt ihre glaub-
würdigkeit. erzählt wird sie zwischen dem angeblich geplanten attentat auf die
flotte in Pagasai (476) und dem sturze des Themistokles. aber das ist lediglich
stilistische anordnung, da erst die modernen einen zusammenhang mit dem zuge des
Leotychides hineintragen, die sogar wissen, wo die nachricht herstammt, und was
die tendenz des spartiatischen antrags war. dieser antrag kann lediglich bedeutet
haben, daſs die Spartaner den eid von 479 wahr machen wollten, den, wie Ditten-
berger schön sagt, vicit mansuetudo et misericordia (Hallenser index lect. 90/91,
wo er δεκατεύειν erläutert hat). er kann beabsichtigt haben, die aufgabe des krieges
in der ferne herbeizuführen, oder auch die factische aufgabe zu motiviren, zu der
Sparta sich entschloſs, oder etwas anderes: wo sowol die zeit wie die veranlassung
unbekannt sind, ist das eine rechnung mit zwei unbekannten, für die nur eine glei-
chung zur verfügung steht.
36) Es ist sünde in dieses groſsartige denkmal des reinsten patriotismus
profane schmeicheleien und rankünen hineinzutragen. es ist einfach albern, in
der schilderung des nahkampfes auf Psyttaleia ein compliment für den officier
zu sehen, der dort commandirte, denn daſs in jenem nahkampfe die vornehmsten
Perser gefallen sind, ist eine tatsache, und von dem officier steht kein wort
bei Aischylos. auf der Hellenenseite agirt kein einzelner auſser dem, der jenen
listigen rat gab: und gegen den soll Aischylos parteiisch gewesen sein? ebensowenig
kann irgend wer behaupten, daſs er über den inhalt der Phoinissen des Phrynichos
(deren aufführung 476 nicht fest steht) irgend etwas wisse, das des dichters sym-
pathie für Themistokles oder Aristeides erkennen lieſse. wenn Themistokles die
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