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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts.
anklage also niederschlug.33) die überlieferung, dass seine anklage auf
grund der verurteilung des Pausanias durch Sparta erfolgte, ist entweder
ganz erfunden, oder aber Pausanias hat etwa bis 460 gelebt. da eine
denuntiation wegen landesverrates von Sparta nach Athen nur gehn
konnte, so lange der Hellenenbund bestand und beide staaten intim
standen, so kann die zurückweisung Kimons vor Messene, die sprengung
des Hellenenbundes und das bündnis zwischen Athen und Argos erst längere
zeit nach 461 fallen. nicht bloss alle leute, die Themistokles zu Xerxes
kommen lassen, sind in argem irrtum, sondern auch Stesimbrotos, der ihn
zu Hieron (+ 467) fliehen lässt, und Thukydides, der ihn bei der flotte
vorbeifahren lässt, die Naxos belagert, und Artaxerxes neosti könig ge-
worden sein lässt, als Themistokles hinkommt. denn wenn er selbst 461
im scherbengericht unterlag, so kann er wirklich nur für die unwahr-
scheinlichkeitskrämer unter den chronologen alles das erlebt haben, was
bei Thukydides steht, und innerhalb des ersten jahrzehntes des Artaxerxes
in Susa aufgetreten sein. das lebensalter von 65 jahren (Plut. 31)
und die erzeugung einer tochter in Asien, die danach Asia hiess,
ist natürlich falsch: denn da Themistokles 493/2 archon war, war
er damals eher über als unter vierzig, also ein angehender siebziger,
wenn er Athen um 460 verliess.34) aber es wird langweilig, die ab-
surditäten zu häufen. es ist verzeihlich, wenn die hübsche geschichte
in der ersten freude über die entdeckung einen moment geblendet hat.
wer aber ernsthaft behauptet, dass man sie irgendwie glauben könnte,
verwirkt den anspruch, ernsthaft genommen zu werden.

Das ist eigentlich genug; aber die Themistoklesgeschichte ist an sich
zu wichtig, und sie richtig zu beurteilen für die geschichtliche methode

33) Allein verlässlich würde danu die erzählung sein, welche von zwei denun-
tiationen und zwei processen redet, Diodor XI 54. die einfache interpretation des
Diodor führt freilich vielmehr dazu, diese verdoppelung daraus zu erklären, dass er
den ausgang des Pausanias sehr viel früher erzählt hat, auf den doch die anklage
folgen muss, und den ostrakismos des Themistokles wieder zurückgestellt bis
auf das jahr, in dem er in die verbannung gieng. wer also bei Plutarch (23) nur
eine anklage findet, die gegen den durch scherbengericht des landes verwiesenen
Themistokles erhoben wird, der wird mit Diodor leicht fertig: wird aber auch
schliessen, dass der ostrakismos des Themistokles früher fällt als der tod des
Pausanias.
34) In wahrheit ist Themistokles allerdings in die siebziger gekommen. die zahl
65 gehört in die fabel vom selbstmord, in dessen verbindung sie auftritt, und der durch
den plan eines Perserzuges gegen Hellas motivirt wird, also durch die vorbereitungen,
die zur schlacht am Eurymedon führten. damals war Themistokles wirklich etwa
so alt: das konnte man nach seiner arkhe berechnen.

I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts.
anklage also niederschlug.33) die überlieferung, daſs seine anklage auf
grund der verurteilung des Pausanias durch Sparta erfolgte, ist entweder
ganz erfunden, oder aber Pausanias hat etwa bis 460 gelebt. da eine
denuntiation wegen landesverrates von Sparta nach Athen nur gehn
konnte, so lange der Hellenenbund bestand und beide staaten intim
standen, so kann die zurückweisung Kimons vor Messene, die sprengung
des Hellenenbundes und das bündnis zwischen Athen und Argos erst längere
zeit nach 461 fallen. nicht bloſs alle leute, die Themistokles zu Xerxes
kommen lassen, sind in argem irrtum, sondern auch Stesimbrotos, der ihn
zu Hieron († 467) fliehen läſst, und Thukydides, der ihn bei der flotte
vorbeifahren läſst, die Naxos belagert, und Artaxerxes νεωστί könig ge-
worden sein läſst, als Themistokles hinkommt. denn wenn er selbst 461
im scherbengericht unterlag, so kann er wirklich nur für die unwahr-
scheinlichkeitskrämer unter den chronologen alles das erlebt haben, was
bei Thukydides steht, und innerhalb des ersten jahrzehntes des Artaxerxes
in Susa aufgetreten sein. das lebensalter von 65 jahren (Plut. 31)
und die erzeugung einer tochter in Asien, die danach Ἀσία hieſs,
ist natürlich falsch: denn da Themistokles 493/2 archon war, war
er damals eher über als unter vierzig, also ein angehender siebziger,
wenn er Athen um 460 verlieſs.34) aber es wird langweilig, die ab-
surditäten zu häufen. es ist verzeihlich, wenn die hübsche geschichte
in der ersten freude über die entdeckung einen moment geblendet hat.
wer aber ernsthaft behauptet, daſs man sie irgendwie glauben könnte,
verwirkt den anspruch, ernsthaft genommen zu werden.

Das ist eigentlich genug; aber die Themistoklesgeschichte ist an sich
zu wichtig, und sie richtig zu beurteilen für die geschichtliche methode

33) Allein verläſslich würde danu die erzählung sein, welche von zwei denun-
tiationen und zwei processen redet, Diodor XI 54. die einfache interpretation des
Diodor führt freilich vielmehr dazu, diese verdoppelung daraus zu erklären, daſs er
den ausgang des Pausanias sehr viel früher erzählt hat, auf den doch die anklage
folgen muſs, und den ostrakismos des Themistokles wieder zurückgestellt bis
auf das jahr, in dem er in die verbannung gieng. wer also bei Plutarch (23) nur
eine anklage findet, die gegen den durch scherbengericht des landes verwiesenen
Themistokles erhoben wird, der wird mit Diodor leicht fertig: wird aber auch
schlieſsen, daſs der ostrakismos des Themistokles früher fällt als der tod des
Pausanias.
34) In wahrheit ist Themistokles allerdings in die siebziger gekommen. die zahl
65 gehört in die fabel vom selbstmord, in dessen verbindung sie auftritt, und der durch
den plan eines Perserzuges gegen Hellas motivirt wird, also durch die vorbereitungen,
die zur schlacht am Eurymedon führten. damals war Themistokles wirklich etwa
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[142/0156] I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts. anklage also niederschlug. 33) die überlieferung, daſs seine anklage auf grund der verurteilung des Pausanias durch Sparta erfolgte, ist entweder ganz erfunden, oder aber Pausanias hat etwa bis 460 gelebt. da eine denuntiation wegen landesverrates von Sparta nach Athen nur gehn konnte, so lange der Hellenenbund bestand und beide staaten intim standen, so kann die zurückweisung Kimons vor Messene, die sprengung des Hellenenbundes und das bündnis zwischen Athen und Argos erst längere zeit nach 461 fallen. nicht bloſs alle leute, die Themistokles zu Xerxes kommen lassen, sind in argem irrtum, sondern auch Stesimbrotos, der ihn zu Hieron († 467) fliehen läſst, und Thukydides, der ihn bei der flotte vorbeifahren läſst, die Naxos belagert, und Artaxerxes νεωστί könig ge- worden sein läſst, als Themistokles hinkommt. denn wenn er selbst 461 im scherbengericht unterlag, so kann er wirklich nur für die unwahr- scheinlichkeitskrämer unter den chronologen alles das erlebt haben, was bei Thukydides steht, und innerhalb des ersten jahrzehntes des Artaxerxes in Susa aufgetreten sein. das lebensalter von 65 jahren (Plut. 31) und die erzeugung einer tochter in Asien, die danach Ἀσία hieſs, ist natürlich falsch: denn da Themistokles 493/2 archon war, war er damals eher über als unter vierzig, also ein angehender siebziger, wenn er Athen um 460 verlieſs. 34) aber es wird langweilig, die ab- surditäten zu häufen. es ist verzeihlich, wenn die hübsche geschichte in der ersten freude über die entdeckung einen moment geblendet hat. wer aber ernsthaft behauptet, daſs man sie irgendwie glauben könnte, verwirkt den anspruch, ernsthaft genommen zu werden. Das ist eigentlich genug; aber die Themistoklesgeschichte ist an sich zu wichtig, und sie richtig zu beurteilen für die geschichtliche methode 33) Allein verläſslich würde danu die erzählung sein, welche von zwei denun- tiationen und zwei processen redet, Diodor XI 54. die einfache interpretation des Diodor führt freilich vielmehr dazu, diese verdoppelung daraus zu erklären, daſs er den ausgang des Pausanias sehr viel früher erzählt hat, auf den doch die anklage folgen muſs, und den ostrakismos des Themistokles wieder zurückgestellt bis auf das jahr, in dem er in die verbannung gieng. wer also bei Plutarch (23) nur eine anklage findet, die gegen den durch scherbengericht des landes verwiesenen Themistokles erhoben wird, der wird mit Diodor leicht fertig: wird aber auch schlieſsen, daſs der ostrakismos des Themistokles früher fällt als der tod des Pausanias. 34) In wahrheit ist Themistokles allerdings in die siebziger gekommen. die zahl 65 gehört in die fabel vom selbstmord, in dessen verbindung sie auftritt, und der durch den plan eines Perserzuges gegen Hellas motivirt wird, also durch die vorbereitungen, die zur schlacht am Eurymedon führten. damals war Themistokles wirklich etwa so alt: das konnte man nach seiner ἀϱχή berechnen.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/156>, abgerufen am 23.11.2024.