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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Der rat. das los.
nicht befristen konnte, unter mehr als polizeilicher aufsicht stehn? da
mochten viele, die nicht in der clientel eines der stolzen adelshäupter
standen, auf die bürgerlichen rechte lieber verzichten und sich geradezu
regieren lassen. verlange man doch einmal von jedem Deutschen
nur eine jährliche dienstleistung, selbst als reichstagsmitglied, aber mit
scharfen strafen für jede versäumte sitzung statt aller emolumente: wie
viele von uns werden auf die ehre am politischen leben mitzuwirken
verzichten oder werden sie verwirken. wenn Drakon einen schritt zur
demokratie mit seinem rate tat, so war es wahrlich kein unbedachter
noch kühner.

Aber er hat das los für alle beamten eingeführt. so steht hier,Das los.
und dass das am anfange des capitels gebrauchte wort aireisthai mit
dem lose nicht unvereinbar ist, braucht nach dem obigen (s. 73) nicht
mehr bewiesen zu werden. beschränkt wird das los durch den census,
der für die wichtigsten ämter gefordert ist. mehr erfahren wir nicht;
aber es wäre voreilig, daraus positiv zu folgern, dass die losung ohne
weiteres aus der ganzen summe der berechtigten und für alle ämter
erfolgte. dass die militärischen gewählt wurden, war den Griechen aller-
zeit so selbstverständlich und darum so wenig charakteristisch, dass
Aristoteles diese ausnahme ruhig übergehn konnte. dass aber mindestens
für den rat eine vertretung der unterabteilungen des volkes, welcher
auch immer, statt fand, denen mithin die praesentation der candidaten
für die losung zufiel, ist nach der analogie des späteren rates durchaus
notwendig. und wer bedenkt, dass wir diesen modus der besetzung,
selbst für den rat und die archonten, direct erst durch Aristoteles er-
fahren haben, bei dem jedoch über den rat Solons auch nichts steht,
wird sich nicht wundern, dass diese modalität hier nicht angegeben ist.
wenn vollends Aristoteles seinen bericht einem schriftsteller verdankt,
der diese verfassung nicht zu geschichtlicher belehrung, sondern als
exempel für die praktischen vorschläge der 400 anführte, so kann man
gar nicht verlangen, dass verschollene und für die gegenwart wertlose
verhältnisse ausgeführt wären.

Aber es bleibt immer das los. das hat Solon auch; wer es dem
zutraut, wird es dem Drakon ein par jahre früher nicht abzusprechen
wagen. es verrät aber auch sehr wenig geschichtliche einsicht, wenn
man sich vor dieser extrem demokratischen institution graut. wenn
die aristokraten jener zeit sich der freien volkswahl gestellt hätten, dann
hätten sie durch eine wirklich demokratische einrichtung ihre existenz
in frage gestellt. dann entfesselten sie den ehrgeiz und den ambitus

Der rat. das los.
nicht befristen konnte, unter mehr als polizeilicher aufsicht stehn? da
mochten viele, die nicht in der clientel eines der stolzen adelshäupter
standen, auf die bürgerlichen rechte lieber verzichten und sich geradezu
regieren lassen. verlange man doch einmal von jedem Deutschen
nur eine jährliche dienstleistung, selbst als reichstagsmitglied, aber mit
scharfen strafen für jede versäumte sitzung statt aller emolumente: wie
viele von uns werden auf die ehre am politischen leben mitzuwirken
verzichten oder werden sie verwirken. wenn Drakon einen schritt zur
demokratie mit seinem rate tat, so war es wahrlich kein unbedachter
noch kühner.

Aber er hat das los für alle beamten eingeführt. so steht hier,Das los.
und daſs das am anfange des capitels gebrauchte wort αἱϱεῖσϑαι mit
dem lose nicht unvereinbar ist, braucht nach dem obigen (s. 73) nicht
mehr bewiesen zu werden. beschränkt wird das los durch den census,
der für die wichtigsten ämter gefordert ist. mehr erfahren wir nicht;
aber es wäre voreilig, daraus positiv zu folgern, daſs die losung ohne
weiteres aus der ganzen summe der berechtigten und für alle ämter
erfolgte. daſs die militärischen gewählt wurden, war den Griechen aller-
zeit so selbstverständlich und darum so wenig charakteristisch, daſs
Aristoteles diese ausnahme ruhig übergehn konnte. daſs aber mindestens
für den rat eine vertretung der unterabteilungen des volkes, welcher
auch immer, statt fand, denen mithin die praesentation der candidaten
für die losung zufiel, ist nach der analogie des späteren rates durchaus
notwendig. und wer bedenkt, daſs wir diesen modus der besetzung,
selbst für den rat und die archonten, direct erst durch Aristoteles er-
fahren haben, bei dem jedoch über den rat Solons auch nichts steht,
wird sich nicht wundern, daſs diese modalität hier nicht angegeben ist.
wenn vollends Aristoteles seinen bericht einem schriftsteller verdankt,
der diese verfassung nicht zu geschichtlicher belehrung, sondern als
exempel für die praktischen vorschläge der 400 anführte, so kann man
gar nicht verlangen, daſs verschollene und für die gegenwart wertlose
verhältnisse ausgeführt wären.

Aber es bleibt immer das los. das hat Solon auch; wer es dem
zutraut, wird es dem Drakon ein par jahre früher nicht abzusprechen
wagen. es verrät aber auch sehr wenig geschichtliche einsicht, wenn
man sich vor dieser extrem demokratischen institution graut. wenn
die aristokraten jener zeit sich der freien volkswahl gestellt hätten, dann
hätten sie durch eine wirklich demokratische einrichtung ihre existenz
in frage gestellt. dann entfesselten sie den ehrgeiz und den ambitus

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[89/0103] Der rat. das los. nicht befristen konnte, unter mehr als polizeilicher aufsicht stehn? da mochten viele, die nicht in der clientel eines der stolzen adelshäupter standen, auf die bürgerlichen rechte lieber verzichten und sich geradezu regieren lassen. verlange man doch einmal von jedem Deutschen nur eine jährliche dienstleistung, selbst als reichstagsmitglied, aber mit scharfen strafen für jede versäumte sitzung statt aller emolumente: wie viele von uns werden auf die ehre am politischen leben mitzuwirken verzichten oder werden sie verwirken. wenn Drakon einen schritt zur demokratie mit seinem rate tat, so war es wahrlich kein unbedachter noch kühner. Aber er hat das los für alle beamten eingeführt. so steht hier, und daſs das am anfange des capitels gebrauchte wort αἱϱεῖσϑαι mit dem lose nicht unvereinbar ist, braucht nach dem obigen (s. 73) nicht mehr bewiesen zu werden. beschränkt wird das los durch den census, der für die wichtigsten ämter gefordert ist. mehr erfahren wir nicht; aber es wäre voreilig, daraus positiv zu folgern, daſs die losung ohne weiteres aus der ganzen summe der berechtigten und für alle ämter erfolgte. daſs die militärischen gewählt wurden, war den Griechen aller- zeit so selbstverständlich und darum so wenig charakteristisch, daſs Aristoteles diese ausnahme ruhig übergehn konnte. daſs aber mindestens für den rat eine vertretung der unterabteilungen des volkes, welcher auch immer, statt fand, denen mithin die praesentation der candidaten für die losung zufiel, ist nach der analogie des späteren rates durchaus notwendig. und wer bedenkt, daſs wir diesen modus der besetzung, selbst für den rat und die archonten, direct erst durch Aristoteles er- fahren haben, bei dem jedoch über den rat Solons auch nichts steht, wird sich nicht wundern, daſs diese modalität hier nicht angegeben ist. wenn vollends Aristoteles seinen bericht einem schriftsteller verdankt, der diese verfassung nicht zu geschichtlicher belehrung, sondern als exempel für die praktischen vorschläge der 400 anführte, so kann man gar nicht verlangen, daſs verschollene und für die gegenwart wertlose verhältnisse ausgeführt wären. Das los. Aber es bleibt immer das los. das hat Solon auch; wer es dem zutraut, wird es dem Drakon ein par jahre früher nicht abzusprechen wagen. es verrät aber auch sehr wenig geschichtliche einsicht, wenn man sich vor dieser extrem demokratischen institution graut. wenn die aristokraten jener zeit sich der freien volkswahl gestellt hätten, dann hätten sie durch eine wirklich demokratische einrichtung ihre existenz in frage gestellt. dann entfesselten sie den ehrgeiz und den ambitus

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/103>, abgerufen am 24.11.2024.