Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

der Hausgenossen, weil mit der Sprache der Väter auch ihre alte ehrliche und treue Sitte, ihre Herzlichkeit, Gradheit und Biederkeit sich auf die Enkel fortpflanze.

Aufrichtig, du mir immer liebe Stimme, wenn du aus schlichtem, patriotischem Herzen kommst, ich weiß nicht ob unsere Urgroßväter so ganz diesem schmeichelhaften Bilde glichen. Es ist sonderbar damit, man spricht immer von der guten alten Zeit und jedes aussterbende Geschlecht vermacht die Sage davon an das aufblühende und die gute alte Zeit selbst läßt sich vor keinem sterblichen Auge sehn und ist immer um einige Stieg Jahre älter, als die ältesten lebenden Menschen. Ich muß lächeln, wenn ich an die Verlegenheit wohlmeinender Chronisten und Geschichtschreiber denke, wenn sie, um das moralische Mährchen nicht zu Schanden werden zu lassen, sorgenvoll spähende Blicke in die Vergangenheit werfen, um auch nur einen Zipfel, einen Saum von der Schleppe der alten Guten oder guten Alten zu erhaschen. Man gebe nur Acht, wie listig sie sich dabei benehmen. Sie lassen ihr nie unmittelbar ins Gesicht sehen, sie sagen nicht, nun kommt sie, oder da ist sie; im Gegentheil wimmeln die Blätter ihrer Geschichte nicht selten eben vorher von kläglichen Zuständen, Schwächen, Lastern und Erbärmlichkeiten der menschlichen Natur, wenn sie dem Abschluß einer auserwählten, kleinen, glänzenden Periode sich nähern; dann aber, wenn der Vorhang fällt, die grellen Farben sich schwächen, die bösen Beispiele nicht mehr so lebhaft der Idee von guten Sitten entgegenarbeiten, wenn das Bild der Zeit abzieht, dann zeigen sie auf ihren bordirten Saum und rufen dem Zuschauer wehmüthig zu, da geht sie, da geht sie hin die gute alte Zeit und nun werden die jungen Zeiten anwachsen, ihre Kinder, die sind aber sehr ausgeartet und werden alle Zeit schlechter. Das man die Geschichte der Sitten von einem ganz andern Standpunkt und mehr im Großen der Welterscheinungen betrachten muß, das ahnen die guten Leute nicht.

Für jeden Einzelnen ist es freilich immer eine Sache der Pietät und ein wohlthuendes Gefühl, sich seine Vorfahren als

der Hausgenossen, weil mit der Sprache der Väter auch ihre alte ehrliche und treue Sitte, ihre Herzlichkeit, Gradheit und Biederkeit sich auf die Enkel fortpflanze.

Aufrichtig, du mir immer liebe Stimme, wenn du aus schlichtem, patriotischem Herzen kommst, ich weiß nicht ob unsere Urgroßväter so ganz diesem schmeichelhaften Bilde glichen. Es ist sonderbar damit, man spricht immer von der guten alten Zeit und jedes aussterbende Geschlecht vermacht die Sage davon an das aufblühende und die gute alte Zeit selbst läßt sich vor keinem sterblichen Auge sehn und ist immer um einige Stieg Jahre älter, als die ältesten lebenden Menschen. Ich muß lächeln, wenn ich an die Verlegenheit wohlmeinender Chronisten und Geschichtschreiber denke, wenn sie, um das moralische Mährchen nicht zu Schanden werden zu lassen, sorgenvoll spähende Blicke in die Vergangenheit werfen, um auch nur einen Zipfel, einen Saum von der Schleppe der alten Guten oder guten Alten zu erhaschen. Man gebe nur Acht, wie listig sie sich dabei benehmen. Sie lassen ihr nie unmittelbar ins Gesicht sehen, sie sagen nicht, nun kommt sie, oder da ist sie; im Gegentheil wimmeln die Blätter ihrer Geschichte nicht selten eben vorher von kläglichen Zuständen, Schwächen, Lastern und Erbärmlichkeiten der menschlichen Natur, wenn sie dem Abschluß einer auserwählten, kleinen, glänzenden Periode sich nähern; dann aber, wenn der Vorhang fällt, die grellen Farben sich schwächen, die bösen Beispiele nicht mehr so lebhaft der Idee von guten Sitten entgegenarbeiten, wenn das Bild der Zeit abzieht, dann zeigen sie auf ihren bordirten Saum und rufen dem Zuschauer wehmüthig zu, da geht sie, da geht sie hin die gute alte Zeit und nun werden die jungen Zeiten anwachsen, ihre Kinder, die sind aber sehr ausgeartet und werden alle Zeit schlechter. Das man die Geschichte der Sitten von einem ganz andern Standpunkt und mehr im Großen der Welterscheinungen betrachten muß, das ahnen die guten Leute nicht.

Für jeden Einzelnen ist es freilich immer eine Sache der Pietät und ein wohlthuendes Gefühl, sich seine Vorfahren als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0030" n="30"/>
der Hausgenossen, weil mit der Sprache der Väter auch ihre alte ehrliche und treue Sitte, ihre Herzlichkeit, Gradheit und Biederkeit sich auf die Enkel fortpflanze.</p>
        <p>Aufrichtig, du mir immer liebe Stimme, wenn du aus schlichtem, patriotischem Herzen kommst, ich weiß nicht ob unsere Urgroßväter so ganz diesem schmeichelhaften Bilde glichen. Es ist sonderbar damit, man spricht immer von der guten alten Zeit und jedes aussterbende Geschlecht vermacht die Sage davon an das aufblühende und die gute alte Zeit selbst läßt sich vor keinem sterblichen Auge sehn und ist immer um einige Stieg Jahre älter, als die ältesten lebenden Menschen. Ich muß lächeln, wenn ich an die Verlegenheit wohlmeinender Chronisten und Geschichtschreiber denke, wenn sie, um das moralische Mährchen nicht zu Schanden werden zu lassen, sorgenvoll spähende Blicke in die Vergangenheit werfen, um auch nur einen Zipfel, einen Saum von der Schleppe der alten Guten oder guten Alten zu erhaschen. Man gebe nur Acht, wie listig sie sich dabei benehmen. Sie lassen ihr nie unmittelbar ins Gesicht sehen, sie sagen nicht, nun kommt sie, oder da ist sie; im Gegentheil wimmeln die Blätter ihrer Geschichte nicht selten eben vorher von kläglichen Zuständen, Schwächen, Lastern und Erbärmlichkeiten der menschlichen Natur, wenn sie dem Abschluß einer auserwählten, kleinen, glänzenden Periode sich nähern; dann aber, wenn der Vorhang fällt, die grellen Farben sich schwächen, die bösen Beispiele nicht mehr so lebhaft der Idee von guten Sitten entgegenarbeiten, wenn das Bild der Zeit abzieht, dann zeigen sie auf ihren bordirten Saum und rufen dem Zuschauer wehmüthig zu, da geht sie, da geht sie hin die gute alte Zeit und nun werden die jungen Zeiten anwachsen, ihre Kinder, die sind aber sehr ausgeartet und werden alle Zeit schlechter. Das man die Geschichte der Sitten von einem ganz andern Standpunkt und mehr im Großen der Welterscheinungen betrachten muß, das ahnen die guten Leute nicht.</p>
        <p>Für jeden Einzelnen ist es freilich immer eine Sache der Pietät und ein wohlthuendes Gefühl, sich seine Vorfahren als
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0030] der Hausgenossen, weil mit der Sprache der Väter auch ihre alte ehrliche und treue Sitte, ihre Herzlichkeit, Gradheit und Biederkeit sich auf die Enkel fortpflanze. Aufrichtig, du mir immer liebe Stimme, wenn du aus schlichtem, patriotischem Herzen kommst, ich weiß nicht ob unsere Urgroßväter so ganz diesem schmeichelhaften Bilde glichen. Es ist sonderbar damit, man spricht immer von der guten alten Zeit und jedes aussterbende Geschlecht vermacht die Sage davon an das aufblühende und die gute alte Zeit selbst läßt sich vor keinem sterblichen Auge sehn und ist immer um einige Stieg Jahre älter, als die ältesten lebenden Menschen. Ich muß lächeln, wenn ich an die Verlegenheit wohlmeinender Chronisten und Geschichtschreiber denke, wenn sie, um das moralische Mährchen nicht zu Schanden werden zu lassen, sorgenvoll spähende Blicke in die Vergangenheit werfen, um auch nur einen Zipfel, einen Saum von der Schleppe der alten Guten oder guten Alten zu erhaschen. Man gebe nur Acht, wie listig sie sich dabei benehmen. Sie lassen ihr nie unmittelbar ins Gesicht sehen, sie sagen nicht, nun kommt sie, oder da ist sie; im Gegentheil wimmeln die Blätter ihrer Geschichte nicht selten eben vorher von kläglichen Zuständen, Schwächen, Lastern und Erbärmlichkeiten der menschlichen Natur, wenn sie dem Abschluß einer auserwählten, kleinen, glänzenden Periode sich nähern; dann aber, wenn der Vorhang fällt, die grellen Farben sich schwächen, die bösen Beispiele nicht mehr so lebhaft der Idee von guten Sitten entgegenarbeiten, wenn das Bild der Zeit abzieht, dann zeigen sie auf ihren bordirten Saum und rufen dem Zuschauer wehmüthig zu, da geht sie, da geht sie hin die gute alte Zeit und nun werden die jungen Zeiten anwachsen, ihre Kinder, die sind aber sehr ausgeartet und werden alle Zeit schlechter. Das man die Geschichte der Sitten von einem ganz andern Standpunkt und mehr im Großen der Welterscheinungen betrachten muß, das ahnen die guten Leute nicht. Für jeden Einzelnen ist es freilich immer eine Sache der Pietät und ein wohlthuendes Gefühl, sich seine Vorfahren als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-21T08:45:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-21T08:45:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-21T08:45:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_plattdeutsch_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_plattdeutsch_1834/30
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_plattdeutsch_1834/30>, abgerufen am 18.12.2024.