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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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über die Welt zu raisonniren, um Philosophen,
Naturforscher, Aerzte und Politiker zu sein. Die
Welt geht ihren Gang ohne uns, wir sollten nur
mehr unsern eigenen Gang gehen, die Sinne schär¬
fen, die Kraft ausbilden und Kraft gegen Kraft
abreiben. Um das Denken und die humane Bil¬
dung ist es eine schöne Sache, aber fehlt ihr der
Mittelpunkt, fehlt ihr das Herz, das Leben, der
ungebrochene starke Wille, so ist das Denken nur
ein Spiel und die Bildung ohne Gehalt. Denke
dir den Blitz und fühle ihn, sagt ein Schwede,
und das Wort ist selbst ein Blitz, das man den¬
kend fühlt.

Das Leben ist des Lebens höchster Zweck,
kein Wissen und keine Wissenschaft, keine Bil¬
dung ersetzt den Fond des Lebens, könnte sie auch
ohne Voraussetzung des Letzteren im naturgemäßen
Zustande gedacht werden.

Allein, meine Herren, das kann keine Wis¬
senschaft. Nur im Element des Lebens bilden sie
sich naturgemäß, außer diesem sind es künstliche
Gewächse, die mehr oder minder die Flecken und
Gebrechen der Willkür, der Unnatur, der Ge¬
schmacklosigkeit an sich tragen. Das Leben rächt
sich an seinen Verächtern und seine Rache besteht
darin, daß es die großen, einfachen Wahrheiten,
die sonst Jedermann einleuchten, mit einem Nebel

uͤber die Welt zu raiſonniren, um Philoſophen,
Naturforſcher, Aerzte und Politiker zu ſein. Die
Welt geht ihren Gang ohne uns, wir ſollten nur
mehr unſern eigenen Gang gehen, die Sinne ſchaͤr¬
fen, die Kraft ausbilden und Kraft gegen Kraft
abreiben. Um das Denken und die humane Bil¬
dung iſt es eine ſchoͤne Sache, aber fehlt ihr der
Mittelpunkt, fehlt ihr das Herz, das Leben, der
ungebrochene ſtarke Wille, ſo iſt das Denken nur
ein Spiel und die Bildung ohne Gehalt. Denke
dir den Blitz und fuͤhle ihn, ſagt ein Schwede,
und das Wort iſt ſelbſt ein Blitz, das man den¬
kend fuͤhlt.

Das Leben iſt des Lebens hoͤchſter Zweck,
kein Wiſſen und keine Wiſſenſchaft, keine Bil¬
dung erſetzt den Fond des Lebens, koͤnnte ſie auch
ohne Vorausſetzung des Letzteren im naturgemaͤßen
Zuſtande gedacht werden.

Allein, meine Herren, das kann keine Wiſ¬
ſenſchaft. Nur im Element des Lebens bilden ſie
ſich naturgemaͤß, außer dieſem ſind es kuͤnſtliche
Gewaͤchſe, die mehr oder minder die Flecken und
Gebrechen der Willkuͤr, der Unnatur, der Ge¬
ſchmackloſigkeit an ſich tragen. Das Leben raͤcht
ſich an ſeinen Veraͤchtern und ſeine Rache beſteht
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die ſonſt Jedermann einleuchten, mit einem Nebel

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[79/0093] uͤber die Welt zu raiſonniren, um Philoſophen, Naturforſcher, Aerzte und Politiker zu ſein. Die Welt geht ihren Gang ohne uns, wir ſollten nur mehr unſern eigenen Gang gehen, die Sinne ſchaͤr¬ fen, die Kraft ausbilden und Kraft gegen Kraft abreiben. Um das Denken und die humane Bil¬ dung iſt es eine ſchoͤne Sache, aber fehlt ihr der Mittelpunkt, fehlt ihr das Herz, das Leben, der ungebrochene ſtarke Wille, ſo iſt das Denken nur ein Spiel und die Bildung ohne Gehalt. Denke dir den Blitz und fuͤhle ihn, ſagt ein Schwede, und das Wort iſt ſelbſt ein Blitz, das man den¬ kend fuͤhlt. Das Leben iſt des Lebens hoͤchſter Zweck, kein Wiſſen und keine Wiſſenſchaft, keine Bil¬ dung erſetzt den Fond des Lebens, koͤnnte ſie auch ohne Vorausſetzung des Letzteren im naturgemaͤßen Zuſtande gedacht werden. Allein, meine Herren, das kann keine Wiſ¬ ſenſchaft. Nur im Element des Lebens bilden ſie ſich naturgemaͤß, außer dieſem ſind es kuͤnſtliche Gewaͤchſe, die mehr oder minder die Flecken und Gebrechen der Willkuͤr, der Unnatur, der Ge¬ ſchmackloſigkeit an ſich tragen. Das Leben raͤcht ſich an ſeinen Veraͤchtern und ſeine Rache beſteht darin, daß es die großen, einfachen Wahrheiten, die ſonſt Jedermann einleuchten, mit einem Nebel

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/93>, abgerufen am 23.11.2024.