Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.uns ist der Ausdruck und die Wahrheit nur be¬ Daher, klein genug sind wir, aber wo bleibt Das Leben ist des Lebens höchster Zweck und 5 * *
uns iſt der Ausdruck und die Wahrheit nur be¬ Daher, klein genug ſind wir, aber wo bleibt Das Leben iſt des Lebens hoͤchſter Zweck und 5 * *
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0087" n="73"/> uns iſt der Ausdruck und die Wahrheit nur be¬<lb/> ſchaͤmend, wir ahnen, was wir ſein ſollten und<lb/> fuͤhlen, was wir nicht ſind. Wir repraͤſentiren<lb/> nicht unſere eigene Welt, wir tragen nur eine<lb/> fremde zur Schau, unſere Gebildeten, unſere<lb/> Dichter und Denker begnuͤgen ſich damit, die<lb/> Welt in kalter Geſchliffenheit wieder abzuſpiegeln,<lb/> unſere Gelehrten duͤnken ſich eine Welt zu ſein,<lb/> wenn ſie ſich eine Welt von Gedanken, Sachen,<lb/> Zahlen und Woͤrtern in den Kopf gelernt haben.</p><lb/> <p>Daher, klein genug ſind wir, aber wo bleibt<lb/> unſere Welt, die lebendig organiſche Ganzheit, die<lb/> geſunde, vollbluͤhende Gegenwart? Die kleinſte<lb/> Alpenroſe beſchaͤmt uns. Sie hat ein pulſirendes<lb/> Herz, Lebenseinheit, ſie gleicht einer Welt im<lb/> Kleinen. Was uns geiſtig zuſammenhaͤlt, iſt<lb/> nicht innerer Hauch, nicht polariſche Attraktion,<lb/> ſondern gemeine Kohaͤſion. Die Alpenroſe mit<lb/> ihren klaren, klugen Augen iſt auf ihre Weiſe auch<lb/> nicht ungelehrt, ſie iſt eine kleine Studentin, hoͤrt<lb/> Kollegia uͤber Felserde, Wetterkunde, Thautro¬<lb/> pfen, Fruͤhlingsathem, aber ſie weiß Alles beſſer<lb/><hi rendition="#aq">in succum et sanguinem</hi> zu vertiren, das iſt bei<lb/> uns nur eine ſchulfuͤchſiſche Redensart, womit wir<lb/> unſer oͤdes, lateiniſches Treiben ſelbſt verſpotten.</p><lb/> <p>Das Leben iſt des Lebens hoͤchſter Zweck und<lb/> hoͤher kann es kein Menſch bringen, als den leben¬<lb/> <fw place="bottom" type="sig">5 * *<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [73/0087]
uns iſt der Ausdruck und die Wahrheit nur be¬
ſchaͤmend, wir ahnen, was wir ſein ſollten und
fuͤhlen, was wir nicht ſind. Wir repraͤſentiren
nicht unſere eigene Welt, wir tragen nur eine
fremde zur Schau, unſere Gebildeten, unſere
Dichter und Denker begnuͤgen ſich damit, die
Welt in kalter Geſchliffenheit wieder abzuſpiegeln,
unſere Gelehrten duͤnken ſich eine Welt zu ſein,
wenn ſie ſich eine Welt von Gedanken, Sachen,
Zahlen und Woͤrtern in den Kopf gelernt haben.
Daher, klein genug ſind wir, aber wo bleibt
unſere Welt, die lebendig organiſche Ganzheit, die
geſunde, vollbluͤhende Gegenwart? Die kleinſte
Alpenroſe beſchaͤmt uns. Sie hat ein pulſirendes
Herz, Lebenseinheit, ſie gleicht einer Welt im
Kleinen. Was uns geiſtig zuſammenhaͤlt, iſt
nicht innerer Hauch, nicht polariſche Attraktion,
ſondern gemeine Kohaͤſion. Die Alpenroſe mit
ihren klaren, klugen Augen iſt auf ihre Weiſe auch
nicht ungelehrt, ſie iſt eine kleine Studentin, hoͤrt
Kollegia uͤber Felserde, Wetterkunde, Thautro¬
pfen, Fruͤhlingsathem, aber ſie weiß Alles beſſer
in succum et sanguinem zu vertiren, das iſt bei
uns nur eine ſchulfuͤchſiſche Redensart, womit wir
unſer oͤdes, lateiniſches Treiben ſelbſt verſpotten.
Das Leben iſt des Lebens hoͤchſter Zweck und
hoͤher kann es kein Menſch bringen, als den leben¬
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