ber befangen und ihn aufmerksam machen soll auf die dichterische Juweleneinfassung eines Stoffes, der unter andern Händen, als unter Homers, von jedem andern gemeinen Stoffe vielleicht nur durch den tragischen Ausgang und die Zerstörung einer blü¬ henden Stadt verschieden wäre. Und wird darum nicht Herodot, Thuzydides recht eigentlich auf Schulen gelesen, oder sollten sie nicht darum ge¬ lesen werden, um den Schülern den echten epi¬ schen Stil der Geschichte frühzeitig an so ausge¬ zeichneten Mustern vor Augen zu stellen und ihnen den Unterschied zwischen ihm und der modernen Geschichtsklitterung klar und augenfällig zu ma¬ chen? Und Platons Symposium, Phädrus nicht hauptsächlich, um ihrem Geschmack attisches Salz auf die Zunge zu legen, Besonnenheit in der Be¬ geisterung, Beherrschung des Stoffes und sokrati¬ sche Ironie zu lernen? Hat denn wirklich noch außerdem der deutsche Schulmann einen höhern Zweck bei Lesung der Alten vor Augen, oder darf und soll er ihn haben? Soll er vollkommne Grie¬ chen aus unsern deutschen Jünglingen machen, auch im besten Sinn Griechen, und nicht blos Gräculi? Einmal müßte er nothwendig in seiner Absicht scheitern, da sich der Charakter einer Na¬ tion nicht überdoziren läßt auf eine andere, und zweitens, wäre schon die Absicht ein Hochverrath
ber befangen und ihn aufmerkſam machen ſoll auf die dichteriſche Juweleneinfaſſung eines Stoffes, der unter andern Haͤnden, als unter Homers, von jedem andern gemeinen Stoffe vielleicht nur durch den tragiſchen Ausgang und die Zerſtoͤrung einer bluͤ¬ henden Stadt verſchieden waͤre. Und wird darum nicht Herodot, Thuzydides recht eigentlich auf Schulen geleſen, oder ſollten ſie nicht darum ge¬ leſen werden, um den Schuͤlern den echten epi¬ ſchen Stil der Geſchichte fruͤhzeitig an ſo ausge¬ zeichneten Muſtern vor Augen zu ſtellen und ihnen den Unterſchied zwiſchen ihm und der modernen Geſchichtsklitterung klar und augenfaͤllig zu ma¬ chen? Und Platons Sympoſium, Phaͤdrus nicht hauptſaͤchlich, um ihrem Geſchmack attiſches Salz auf die Zunge zu legen, Beſonnenheit in der Be¬ geiſterung, Beherrſchung des Stoffes und ſokrati¬ ſche Ironie zu lernen? Hat denn wirklich noch außerdem der deutſche Schulmann einen hoͤhern Zweck bei Leſung der Alten vor Augen, oder darf und ſoll er ihn haben? Soll er vollkommne Grie¬ chen aus unſern deutſchen Juͤnglingen machen, auch im beſten Sinn Griechen, und nicht blos Graͤculi? Einmal muͤßte er nothwendig in ſeiner Abſicht ſcheitern, da ſich der Charakter einer Na¬ tion nicht uͤberdoziren laͤßt auf eine andere, und zweitens, waͤre ſchon die Abſicht ein Hochverrath
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[62/0076]
ber befangen und ihn aufmerkſam machen ſoll auf
die dichteriſche Juweleneinfaſſung eines Stoffes,
der unter andern Haͤnden, als unter Homers, von
jedem andern gemeinen Stoffe vielleicht nur durch
den tragiſchen Ausgang und die Zerſtoͤrung einer bluͤ¬
henden Stadt verſchieden waͤre. Und wird darum
nicht Herodot, Thuzydides recht eigentlich auf
Schulen geleſen, oder ſollten ſie nicht darum ge¬
leſen werden, um den Schuͤlern den echten epi¬
ſchen Stil der Geſchichte fruͤhzeitig an ſo ausge¬
zeichneten Muſtern vor Augen zu ſtellen und ihnen
den Unterſchied zwiſchen ihm und der modernen
Geſchichtsklitterung klar und augenfaͤllig zu ma¬
chen? Und Platons Sympoſium, Phaͤdrus nicht
hauptſaͤchlich, um ihrem Geſchmack attiſches Salz
auf die Zunge zu legen, Beſonnenheit in der Be¬
geiſterung, Beherrſchung des Stoffes und ſokrati¬
ſche Ironie zu lernen? Hat denn wirklich noch
außerdem der deutſche Schulmann einen hoͤhern
Zweck bei Leſung der Alten vor Augen, oder darf
und ſoll er ihn haben? Soll er vollkommne Grie¬
chen aus unſern deutſchen Juͤnglingen machen,
auch im beſten Sinn Griechen, und nicht blos
Graͤculi? Einmal muͤßte er nothwendig in ſeiner
Abſicht ſcheitern, da ſich der Charakter einer Na¬
tion nicht uͤberdoziren laͤßt auf eine andere, und
zweitens, waͤre ſchon die Abſicht ein Hochverrath
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/76>, abgerufen am 25.11.2024.
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