Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

daß den fortlaufenden Generationen sich von selbst
und trotz aller Gegenmühe spanische Stiefel an
die Füße hängen, daß die Ausdünstungen des Le¬
bens sich nach und nach am Busen der Völker
versteinern, sich als Krusten um ihre Brust setzen
und ihnen das Athemholen schwer machen, daß
es für die Völker keine Wohlthat, sondern Plage
ist, Tausende von Jahren hinter sich her am
Schlepptau zu ziehen? Alle Ursagen der Völker
bestätigen uns, daß selbst die früheste, schöpfungs¬
junge Menschheit sich bald, sehr bald ausgelebt
und gleichsam abgenutzt habe; bildet es doch ein
Hauptstück in den hebräischen, indischen, griechi¬
schen Sagen, daß Sündfluthen das früh gealterte,
seiner eigenen Geschichte verfallene Geschlecht der
Menschen wegraffen und vom Erdboden vertilgen?
Muß nicht eine neue Jugend die Erde bevölkern,
wenn die Elohim, die Götter den Anblick der er¬
bärmlichen, sündigen und ausgearteten Söhne des
Staubes nicht länger ertragen können? Und in
der Geschichte -- man werfe nur einen Blick auf
die Römer und Griechen zur Zeit des Heilandes:
Was hatte die frühere Götter- und Heroenwelt,
die Zeit der Aristide und der Katonen ihnen zum
Erbtheil überlassen? Ihren Leichengeruch. Und
dieses weltverjüngende Christenthum, das nicht
neuen Most in alte Schläuche füllte, dieses Chri¬

daß den fortlaufenden Generationen ſich von ſelbſt
und trotz aller Gegenmuͤhe ſpaniſche Stiefel an
die Fuͤße haͤngen, daß die Ausduͤnſtungen des Le¬
bens ſich nach und nach am Buſen der Voͤlker
verſteinern, ſich als Kruſten um ihre Bruſt ſetzen
und ihnen das Athemholen ſchwer machen, daß
es fuͤr die Voͤlker keine Wohlthat, ſondern Plage
iſt, Tauſende von Jahren hinter ſich her am
Schlepptau zu ziehen? Alle Urſagen der Voͤlker
beſtaͤtigen uns, daß ſelbſt die fruͤheſte, ſchoͤpfungs¬
junge Menſchheit ſich bald, ſehr bald ausgelebt
und gleichſam abgenutzt habe; bildet es doch ein
Hauptſtuͤck in den hebraͤiſchen, indiſchen, griechi¬
ſchen Sagen, daß Suͤndfluthen das fruͤh gealterte,
ſeiner eigenen Geſchichte verfallene Geſchlecht der
Menſchen wegraffen und vom Erdboden vertilgen?
Muß nicht eine neue Jugend die Erde bevoͤlkern,
wenn die Elohim, die Goͤtter den Anblick der er¬
baͤrmlichen, ſuͤndigen und ausgearteten Soͤhne des
Staubes nicht laͤnger ertragen koͤnnen? Und in
der Geſchichte — man werfe nur einen Blick auf
die Roͤmer und Griechen zur Zeit des Heilandes:
Was hatte die fruͤhere Goͤtter- und Heroenwelt,
die Zeit der Ariſtide und der Katonen ihnen zum
Erbtheil uͤberlaſſen? Ihren Leichengeruch. Und
dieſes weltverjuͤngende Chriſtenthum, das nicht
neuen Moſt in alte Schlaͤuche fuͤllte, dieſes Chri¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0050" n="36"/>
daß den fortlaufenden Generationen &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
und trotz aller Gegenmu&#x0364;he &#x017F;pani&#x017F;che Stiefel an<lb/>
die Fu&#x0364;ße ha&#x0364;ngen, daß die Ausdu&#x0364;n&#x017F;tungen des Le¬<lb/>
bens &#x017F;ich nach und nach am Bu&#x017F;en der Vo&#x0364;lker<lb/>
ver&#x017F;teinern, &#x017F;ich als Kru&#x017F;ten um ihre Bru&#x017F;t &#x017F;etzen<lb/>
und ihnen das Athemholen &#x017F;chwer machen, daß<lb/>
es fu&#x0364;r die Vo&#x0364;lker keine Wohlthat, &#x017F;ondern Plage<lb/>
i&#x017F;t, Tau&#x017F;ende von Jahren hinter &#x017F;ich her am<lb/>
Schlepptau zu ziehen? Alle Ur&#x017F;agen der Vo&#x0364;lker<lb/>
be&#x017F;ta&#x0364;tigen uns, daß &#x017F;elb&#x017F;t die fru&#x0364;he&#x017F;te, &#x017F;cho&#x0364;pfungs¬<lb/>
junge Men&#x017F;chheit &#x017F;ich bald, &#x017F;ehr bald ausgelebt<lb/>
und gleich&#x017F;am abgenutzt habe; bildet es doch ein<lb/>
Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck in den hebra&#x0364;i&#x017F;chen, indi&#x017F;chen, griechi¬<lb/>
&#x017F;chen Sagen, daß Su&#x0364;ndfluthen das fru&#x0364;h gealterte,<lb/>
&#x017F;einer eigenen Ge&#x017F;chichte verfallene Ge&#x017F;chlecht der<lb/>
Men&#x017F;chen wegraffen und vom Erdboden vertilgen?<lb/>
Muß nicht eine neue Jugend die Erde bevo&#x0364;lkern,<lb/>
wenn die Elohim, die Go&#x0364;tter den Anblick der er¬<lb/>
ba&#x0364;rmlichen, &#x017F;u&#x0364;ndigen und ausgearteten So&#x0364;hne des<lb/>
Staubes nicht la&#x0364;nger ertragen ko&#x0364;nnen? Und in<lb/>
der Ge&#x017F;chichte &#x2014; man werfe nur einen Blick auf<lb/>
die Ro&#x0364;mer und Griechen zur Zeit des Heilandes:<lb/>
Was hatte die fru&#x0364;here Go&#x0364;tter- und Heroenwelt,<lb/>
die Zeit der Ari&#x017F;tide und der Katonen ihnen zum<lb/>
Erbtheil u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en? Ihren Leichengeruch. Und<lb/>
die&#x017F;es weltverju&#x0364;ngende Chri&#x017F;tenthum, das nicht<lb/>
neuen Mo&#x017F;t in alte Schla&#x0364;uche fu&#x0364;llte, die&#x017F;es Chri¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0050] daß den fortlaufenden Generationen ſich von ſelbſt und trotz aller Gegenmuͤhe ſpaniſche Stiefel an die Fuͤße haͤngen, daß die Ausduͤnſtungen des Le¬ bens ſich nach und nach am Buſen der Voͤlker verſteinern, ſich als Kruſten um ihre Bruſt ſetzen und ihnen das Athemholen ſchwer machen, daß es fuͤr die Voͤlker keine Wohlthat, ſondern Plage iſt, Tauſende von Jahren hinter ſich her am Schlepptau zu ziehen? Alle Urſagen der Voͤlker beſtaͤtigen uns, daß ſelbſt die fruͤheſte, ſchoͤpfungs¬ junge Menſchheit ſich bald, ſehr bald ausgelebt und gleichſam abgenutzt habe; bildet es doch ein Hauptſtuͤck in den hebraͤiſchen, indiſchen, griechi¬ ſchen Sagen, daß Suͤndfluthen das fruͤh gealterte, ſeiner eigenen Geſchichte verfallene Geſchlecht der Menſchen wegraffen und vom Erdboden vertilgen? Muß nicht eine neue Jugend die Erde bevoͤlkern, wenn die Elohim, die Goͤtter den Anblick der er¬ baͤrmlichen, ſuͤndigen und ausgearteten Soͤhne des Staubes nicht laͤnger ertragen koͤnnen? Und in der Geſchichte — man werfe nur einen Blick auf die Roͤmer und Griechen zur Zeit des Heilandes: Was hatte die fruͤhere Goͤtter- und Heroenwelt, die Zeit der Ariſtide und der Katonen ihnen zum Erbtheil uͤberlaſſen? Ihren Leichengeruch. Und dieſes weltverjuͤngende Chriſtenthum, das nicht neuen Moſt in alte Schlaͤuche fuͤllte, dieſes Chri¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/50
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/50>, abgerufen am 27.11.2024.