in Sentimentalität, und wenn er einmal eine starke Lanze einlegte und gegen einen bestimmten Feind zu Felde zog, so war ihm dieser eher das Nach¬ druckergesindel, und sonstige deutsche Schofel und Schofeleien, als die großen Landesfeinde und Lan¬ desübel, die der Patriot aufs Korn nehmen soll. Das lag in seiner Zeit; in der unsrigen hat sich der Witz einen Kampfplatz aufgesucht, wo er mit der Freiheit vereint gegen verrostete Helme und Kaputzen zu Felde zieht und gottlob, es liegen schon Splitter und Stücke genug auf dem Boden, welche seine Schärfe und Kraft beurkunden.
Man läßt den Witz nicht mehr auf seine eigne Hand und nach den Grillen der Phantasie hinlaufen, er ist nicht mehr ein ungesatteltes flüch¬ tiges Pferd, das ohne Bahn und Steg rechts und links ausschlägt und blos mit Lust und Be¬ wunderung über seine Kühnheit erfüllt, es sitzt ihm ein Reiter auf dem Nacken, auf dessen Wink und Führung es die verhaßten Barrieren überspringt und niederreitet, welche die Dummheit und die Un¬ verschämtheit vor dem Genuß der Welt aufgeschla¬ gen hat. Der Witz unserer neuen Prosa ist nicht mehr ein reiner Phantasiewitz, sondern Charakter¬ witz, er ist unserer heutigen Prosa, ich meine, unserm heutigen Bürgerstande, unsere bürgerliche Freiheit. Der Adel hat sich oft mit der Poesie
in Sentimentalitaͤt, und wenn er einmal eine ſtarke Lanze einlegte und gegen einen beſtimmten Feind zu Felde zog, ſo war ihm dieſer eher das Nach¬ druckergeſindel, und ſonſtige deutſche Schofel und Schofeleien, als die großen Landesfeinde und Lan¬ desuͤbel, die der Patriot aufs Korn nehmen ſoll. Das lag in ſeiner Zeit; in der unſrigen hat ſich der Witz einen Kampfplatz aufgeſucht, wo er mit der Freiheit vereint gegen verroſtete Helme und Kaputzen zu Felde zieht und gottlob, es liegen ſchon Splitter und Stuͤcke genug auf dem Boden, welche ſeine Schaͤrfe und Kraft beurkunden.
Man laͤßt den Witz nicht mehr auf ſeine eigne Hand und nach den Grillen der Phantaſie hinlaufen, er iſt nicht mehr ein ungeſatteltes fluͤch¬ tiges Pferd, das ohne Bahn und Steg rechts und links ausſchlaͤgt und blos mit Luſt und Be¬ wunderung uͤber ſeine Kuͤhnheit erfuͤllt, es ſitzt ihm ein Reiter auf dem Nacken, auf deſſen Wink und Fuͤhrung es die verhaßten Barrieren uͤberſpringt und niederreitet, welche die Dummheit und die Un¬ verſchaͤmtheit vor dem Genuß der Welt aufgeſchla¬ gen hat. Der Witz unſerer neuen Proſa iſt nicht mehr ein reiner Phantaſiewitz, ſondern Charakter¬ witz, er iſt unſerer heutigen Proſa, ich meine, unſerm heutigen Buͤrgerſtande, unſere buͤrgerliche Freiheit. Der Adel hat ſich oft mit der Poeſie
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0320"n="306"/>
in Sentimentalitaͤt, und wenn er einmal eine ſtarke<lb/>
Lanze einlegte und gegen einen beſtimmten Feind<lb/>
zu Felde zog, ſo war ihm dieſer eher das Nach¬<lb/>
druckergeſindel, und ſonſtige deutſche Schofel und<lb/>
Schofeleien, als die großen Landesfeinde und Lan¬<lb/>
desuͤbel, die der Patriot aufs Korn nehmen ſoll.<lb/>
Das lag in ſeiner Zeit; in der unſrigen hat ſich<lb/>
der Witz einen Kampfplatz aufgeſucht, wo er mit<lb/>
der Freiheit vereint gegen verroſtete Helme und<lb/>
Kaputzen zu Felde zieht und gottlob, es liegen<lb/>ſchon Splitter und Stuͤcke genug auf dem Boden,<lb/>
welche ſeine Schaͤrfe und Kraft beurkunden.</p><lb/><p>Man laͤßt den Witz nicht mehr auf ſeine<lb/>
eigne Hand und nach den Grillen der Phantaſie<lb/>
hinlaufen, er iſt nicht mehr ein ungeſatteltes fluͤch¬<lb/>
tiges Pferd, das ohne Bahn und Steg rechts<lb/>
und links ausſchlaͤgt und blos mit Luſt und Be¬<lb/>
wunderung uͤber ſeine Kuͤhnheit erfuͤllt, es ſitzt ihm<lb/>
ein Reiter auf dem Nacken, auf deſſen Wink<lb/>
und Fuͤhrung es die verhaßten Barrieren uͤberſpringt<lb/>
und niederreitet, welche die Dummheit und die Un¬<lb/>
verſchaͤmtheit vor dem Genuß der Welt aufgeſchla¬<lb/>
gen hat. Der Witz unſerer neuen Proſa iſt nicht<lb/>
mehr ein reiner Phantaſiewitz, ſondern Charakter¬<lb/>
witz, er iſt unſerer heutigen Proſa, ich meine,<lb/>
unſerm heutigen Buͤrgerſtande, unſere buͤrgerliche<lb/>
Freiheit. Der Adel hat ſich oft mit der Poeſie<lb/></p></div></body></text></TEI>
[306/0320]
in Sentimentalitaͤt, und wenn er einmal eine ſtarke
Lanze einlegte und gegen einen beſtimmten Feind
zu Felde zog, ſo war ihm dieſer eher das Nach¬
druckergeſindel, und ſonſtige deutſche Schofel und
Schofeleien, als die großen Landesfeinde und Lan¬
desuͤbel, die der Patriot aufs Korn nehmen ſoll.
Das lag in ſeiner Zeit; in der unſrigen hat ſich
der Witz einen Kampfplatz aufgeſucht, wo er mit
der Freiheit vereint gegen verroſtete Helme und
Kaputzen zu Felde zieht und gottlob, es liegen
ſchon Splitter und Stuͤcke genug auf dem Boden,
welche ſeine Schaͤrfe und Kraft beurkunden.
Man laͤßt den Witz nicht mehr auf ſeine
eigne Hand und nach den Grillen der Phantaſie
hinlaufen, er iſt nicht mehr ein ungeſatteltes fluͤch¬
tiges Pferd, das ohne Bahn und Steg rechts
und links ausſchlaͤgt und blos mit Luſt und Be¬
wunderung uͤber ſeine Kuͤhnheit erfuͤllt, es ſitzt ihm
ein Reiter auf dem Nacken, auf deſſen Wink
und Fuͤhrung es die verhaßten Barrieren uͤberſpringt
und niederreitet, welche die Dummheit und die Un¬
verſchaͤmtheit vor dem Genuß der Welt aufgeſchla¬
gen hat. Der Witz unſerer neuen Proſa iſt nicht
mehr ein reiner Phantaſiewitz, ſondern Charakter¬
witz, er iſt unſerer heutigen Proſa, ich meine,
unſerm heutigen Buͤrgerſtande, unſere buͤrgerliche
Freiheit. Der Adel hat ſich oft mit der Poeſie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/320>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.