fast, als ob Deutschland namentlich seine größeren Dichter gegenwärtig unter den Prosaisten zählt. Wenigstens würde der Schluß vom poetischen Ge¬ halt unserer dramatischen Dichter, unserer lyrischen und epischen Dichter auf den poetischen Gehalt unserer ganzen Literatur sehr kläglich ausfallen; Platen, Immermann, Raupach u. s. w. als Re¬ präsentanten deutscher Poesie, von dieser keinen großen Begriff zu erregen im Stande sein. Viel eher möchten wir Heinrich Heine als solchen be¬ grüßen, und auch nicht seiner Verse, verfehlten Dramen und liederlichen Lieder wegen, als um die Prosa, die er in den Reisebildern zu Tage gelegt hat.
Was diesen Dichter-Prosaisten betrifft, so habe ich schon meine Absicht erklärt, ihn als ein Charakterbild der neuen Prosa in ästhetischer Rück¬ sicht eben so aufzufassen und darzustellen, wie Goethe und Byron als Charakterbilder der neueren Poesie. Man muß Heine in dieser Gesellschaft, der Zeit, wie der Ansicht nach, als den entschie¬ densten Charakterschriftsteller betrachten, indem er sich, noch stärker und rücksichtsloser als Byron, der gewöhnlichen Denk- und Empfindungsmasse der früheren Schriftstellerwelt entgegengesetzt hat. In offener Fehde mit allen Ansichten der Zeit,
faſt, als ob Deutſchland namentlich ſeine groͤßeren Dichter gegenwaͤrtig unter den Proſaiſten zaͤhlt. Wenigſtens wuͤrde der Schluß vom poetiſchen Ge¬ halt unſerer dramatiſchen Dichter, unſerer lyriſchen und epiſchen Dichter auf den poetiſchen Gehalt unſerer ganzen Literatur ſehr klaͤglich ausfallen; Platen, Immermann, Raupach u. ſ. w. als Re¬ praͤſentanten deutſcher Poeſie, von dieſer keinen großen Begriff zu erregen im Stande ſein. Viel eher moͤchten wir Heinrich Heine als ſolchen be¬ gruͤßen, und auch nicht ſeiner Verſe, verfehlten Dramen und liederlichen Lieder wegen, als um die Proſa, die er in den Reiſebildern zu Tage gelegt hat.
Was dieſen Dichter-Proſaiſten betrifft, ſo habe ich ſchon meine Abſicht erklaͤrt, ihn als ein Charakterbild der neuen Proſa in aͤſthetiſcher Ruͤck¬ ſicht eben ſo aufzufaſſen und darzuſtellen, wie Goethe und Byron als Charakterbilder der neueren Poeſie. Man muß Heine in dieſer Geſellſchaft, der Zeit, wie der Anſicht nach, als den entſchie¬ denſten Charakterſchriftſteller betrachten, indem er ſich, noch ſtaͤrker und ruͤckſichtsloſer als Byron, der gewoͤhnlichen Denk- und Empfindungsmaſſe der fruͤheren Schriftſtellerwelt entgegengeſetzt hat. In offener Fehde mit allen Anſichten der Zeit,
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faſt, als ob Deutſchland namentlich ſeine groͤßeren
Dichter gegenwaͤrtig unter den Proſaiſten zaͤhlt.
Wenigſtens wuͤrde der Schluß vom poetiſchen Ge¬
halt unſerer dramatiſchen Dichter, unſerer lyriſchen
und epiſchen Dichter auf den poetiſchen Gehalt
unſerer ganzen Literatur ſehr klaͤglich ausfallen;
Platen, Immermann, Raupach u. ſ. w. als Re¬
praͤſentanten deutſcher Poeſie, von dieſer keinen
großen Begriff zu erregen im Stande ſein. Viel
eher moͤchten wir Heinrich Heine als ſolchen be¬
gruͤßen, und auch nicht ſeiner Verſe, verfehlten
Dramen und liederlichen Lieder wegen, als um
die Proſa, die er in den Reiſebildern zu Tage
gelegt hat.
Was dieſen Dichter-Proſaiſten betrifft, ſo
habe ich ſchon meine Abſicht erklaͤrt, ihn als ein
Charakterbild der neuen Proſa in aͤſthetiſcher Ruͤck¬
ſicht eben ſo aufzufaſſen und darzuſtellen, wie
Goethe und Byron als Charakterbilder der neueren
Poeſie. Man muß Heine in dieſer Geſellſchaft,
der Zeit, wie der Anſicht nach, als den entſchie¬
denſten Charakterſchriftſteller betrachten, indem er
ſich, noch ſtaͤrker und ruͤckſichtsloſer als Byron,
der gewoͤhnlichen Denk- und Empfindungsmaſſe
der fruͤheren Schriftſtellerwelt entgegengeſetzt hat.
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/298>, abgerufen am 25.11.2024.
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