aus lyrischen Charakter, wie seine spätern den epi¬ schen. Wie es nun der Lyrik eigenthümlich, daß sie des Dichters innerstes Wesen herauskehrt, und die ewigen Laute der Natur vernehmen läßt, die sich in ihrer Unterdrückung durch Gesang und Töne Luft verschafft, so zückt auch durch Goethe's jugendliche Dramen und Romane der lyrisch revo¬ lutionaire Schrei der Natur hindurch und bildet die schrillendsten Mißlaute mit den Satzungen einer abgelebten Geschichte, mit der Schwäche und Un¬ natur seines Zeitalters. Von Pietät keine Spur, unbarmherzig und schonungslos läßt er seinem Spott den Zügel schießen, keck und ritterlich ge¬ sinnt stellt er in Götz eine derbe Persönlichkeit dem aufgelösten charakterlosen Wesen seiner Zeit gegenüber, in Faust einen genialen Denker, dem Nachbetertroß der Wagner und aller der tausend und aber tausend Gewohnheitsmenschen, die vor einem selbstständigen Gedanken, vor einer frischen und freien That erschrecken und sich lieber für ihr ganzes Leben, wie Ungeziefer auf dem Kada¬ ver der Vergangenheit ernähren, als den Muth fassen, die Geburtswehen einer neuen Zeit aus¬ zuhalten und diese mit ihrem Mark und Blut groß zu säugen. Goethe's Spott traf nicht allein die Satzungen der Moral, Theologie, Metaphysik, der äußern Konvenienz, sondern auch die Satzun¬
aus lyriſchen Charakter, wie ſeine ſpaͤtern den epi¬ ſchen. Wie es nun der Lyrik eigenthuͤmlich, daß ſie des Dichters innerſtes Weſen herauskehrt, und die ewigen Laute der Natur vernehmen laͤßt, die ſich in ihrer Unterdruͤckung durch Geſang und Toͤne Luft verſchafft, ſo zuͤckt auch durch Goethe's jugendliche Dramen und Romane der lyriſch revo¬ lutionaire Schrei der Natur hindurch und bildet die ſchrillendſten Mißlaute mit den Satzungen einer abgelebten Geſchichte, mit der Schwaͤche und Un¬ natur ſeines Zeitalters. Von Pietaͤt keine Spur, unbarmherzig und ſchonungslos laͤßt er ſeinem Spott den Zuͤgel ſchießen, keck und ritterlich ge¬ ſinnt ſtellt er in Goͤtz eine derbe Perſoͤnlichkeit dem aufgeloͤſten charakterloſen Weſen ſeiner Zeit gegenuͤber, in Fauſt einen genialen Denker, dem Nachbetertroß der Wagner und aller der tauſend und aber tauſend Gewohnheitsmenſchen, die vor einem ſelbſtſtaͤndigen Gedanken, vor einer friſchen und freien That erſchrecken und ſich lieber fuͤr ihr ganzes Leben, wie Ungeziefer auf dem Kada¬ ver der Vergangenheit ernaͤhren, als den Muth faſſen, die Geburtswehen einer neuen Zeit aus¬ zuhalten und dieſe mit ihrem Mark und Blut groß zu ſaͤugen. Goethe's Spott traf nicht allein die Satzungen der Moral, Theologie, Metaphyſik, der aͤußern Konvenienz, ſondern auch die Satzun¬
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aus lyriſchen Charakter, wie ſeine ſpaͤtern den epi¬
ſchen. Wie es nun der Lyrik eigenthuͤmlich, daß
ſie des Dichters innerſtes Weſen herauskehrt, und
die ewigen Laute der Natur vernehmen laͤßt, die
ſich in ihrer Unterdruͤckung durch Geſang und
Toͤne Luft verſchafft, ſo zuͤckt auch durch Goethe's
jugendliche Dramen und Romane der lyriſch revo¬
lutionaire Schrei der Natur hindurch und bildet
die ſchrillendſten Mißlaute mit den Satzungen einer
abgelebten Geſchichte, mit der Schwaͤche und Un¬
natur ſeines Zeitalters. Von Pietaͤt keine Spur,
unbarmherzig und ſchonungslos laͤßt er ſeinem
Spott den Zuͤgel ſchießen, keck und ritterlich ge¬
ſinnt ſtellt er in Goͤtz eine derbe Perſoͤnlichkeit
dem aufgeloͤſten charakterloſen Weſen ſeiner Zeit
gegenuͤber, in Fauſt einen genialen Denker, dem
Nachbetertroß der Wagner und aller der tauſend
und aber tauſend Gewohnheitsmenſchen, die vor
einem ſelbſtſtaͤndigen Gedanken, vor einer friſchen
und freien That erſchrecken und ſich lieber fuͤr
ihr ganzes Leben, wie Ungeziefer auf dem Kada¬
ver der Vergangenheit ernaͤhren, als den Muth
faſſen, die Geburtswehen einer neuen Zeit aus¬
zuhalten und dieſe mit ihrem Mark und Blut
groß zu ſaͤugen. Goethe's Spott traf nicht allein
die Satzungen der Moral, Theologie, Metaphyſik,
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/284>, abgerufen am 22.11.2024.
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