vom Schönen, ja es steht eben die Einseitigkeit im graden Widerspruch mit der Schönheit, welche die freie Entfaltung liebt und nur im Elemente der Freiheit sowohl gedeihen, als verstanden wer¬ den kann. Wenn in der Philosophie, in der Wissenschaft eine große einseitige Schärfe des Ver¬ standes, der Abstraktion, wenn in Sachen der Ge¬ lehrsamkeit eine gewisse einseitige Stärke des Ge¬ dächtnisses, bedeutenden Leistungen nicht nur nicht hinderlich, sondern förderlich scheint -- eine Be¬ merkung, die sich Ihnen bei der Geschichte der Philosophie und der Gelehrsamkeit aufdringen wird -- so ist dies der umgekehrte Fall bei den Lehren des Geschmacks, welche bei einseitigen Rich¬ tungen der darstellenden Individuen und ganzer Zeitalter um desto geschmackloser und den Sinn für das Schöne um desto weniger erregend und bildend sind, je naturwidriger und unharmonischer, das heißt, je einseitiger die Bildung ihrer Urheber war. Ich möchte noch immer, nach Allem, was bisher in Deutschland Aesthetisches und über Aest¬ hetik geschrieben worden, so viele Goldkörner Les¬ sing, Herder, Jean Paul, Schiller, selbst Bou¬ terwek auf diesen dürren Boden hingestreut haben, ich möchte noch immer dem Jünger des Schönen und dem Freund seiner eigenen harmonischen Aus¬ bildung den Rath geben, sich seinem eigenen Ge¬
vom Schoͤnen, ja es ſteht eben die Einſeitigkeit im graden Widerſpruch mit der Schoͤnheit, welche die freie Entfaltung liebt und nur im Elemente der Freiheit ſowohl gedeihen, als verſtanden wer¬ den kann. Wenn in der Philoſophie, in der Wiſſenſchaft eine große einſeitige Schaͤrfe des Ver¬ ſtandes, der Abſtraktion, wenn in Sachen der Ge¬ lehrſamkeit eine gewiſſe einſeitige Staͤrke des Ge¬ daͤchtniſſes, bedeutenden Leiſtungen nicht nur nicht hinderlich, ſondern foͤrderlich ſcheint — eine Be¬ merkung, die ſich Ihnen bei der Geſchichte der Philoſophie und der Gelehrſamkeit aufdringen wird — ſo iſt dies der umgekehrte Fall bei den Lehren des Geſchmacks, welche bei einſeitigen Rich¬ tungen der darſtellenden Individuen und ganzer Zeitalter um deſto geſchmackloſer und den Sinn fuͤr das Schoͤne um deſto weniger erregend und bildend ſind, je naturwidriger und unharmoniſcher, das heißt, je einſeitiger die Bildung ihrer Urheber war. Ich moͤchte noch immer, nach Allem, was bisher in Deutſchland Aeſthetiſches und uͤber Aeſt¬ hetik geſchrieben worden, ſo viele Goldkoͤrner Leſ¬ ſing, Herder, Jean Paul, Schiller, ſelbſt Bou¬ terwek auf dieſen duͤrren Boden hingeſtreut haben, ich moͤchte noch immer dem Juͤnger des Schoͤnen und dem Freund ſeiner eigenen harmoniſchen Aus¬ bildung den Rath geben, ſich ſeinem eigenen Ge¬
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vom Schoͤnen, ja es ſteht eben die Einſeitigkeit
im graden Widerſpruch mit der Schoͤnheit, welche
die freie Entfaltung liebt und nur im Elemente
der Freiheit ſowohl gedeihen, als verſtanden wer¬
den kann. Wenn in der Philoſophie, in der
Wiſſenſchaft eine große einſeitige Schaͤrfe des Ver¬
ſtandes, der Abſtraktion, wenn in Sachen der Ge¬
lehrſamkeit eine gewiſſe einſeitige Staͤrke des Ge¬
daͤchtniſſes, bedeutenden Leiſtungen nicht nur nicht
hinderlich, ſondern foͤrderlich ſcheint — eine Be¬
merkung, die ſich Ihnen bei der Geſchichte der
Philoſophie und der Gelehrſamkeit aufdringen
wird — ſo iſt dies der umgekehrte Fall bei den
Lehren des Geſchmacks, welche bei einſeitigen Rich¬
tungen der darſtellenden Individuen und ganzer
Zeitalter um deſto geſchmackloſer und den Sinn
fuͤr das Schoͤne um deſto weniger erregend und
bildend ſind, je naturwidriger und unharmoniſcher,
das heißt, je einſeitiger die Bildung ihrer Urheber
war. Ich moͤchte noch immer, nach Allem, was
bisher in Deutſchland Aeſthetiſches und uͤber Aeſt¬
hetik geſchrieben worden, ſo viele Goldkoͤrner Leſ¬
ſing, Herder, Jean Paul, Schiller, ſelbſt Bou¬
terwek auf dieſen duͤrren Boden hingeſtreut haben,
ich moͤchte noch immer dem Juͤnger des Schoͤnen
und dem Freund ſeiner eigenen harmoniſchen Aus¬
bildung den Rath geben, ſich ſeinem eigenen Ge¬
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/26>, abgerufen am 23.11.2024.
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