then und Früchten durchwächst. Goethe vergleicht daher sehr richtig die französische Sprache mit ausgeprägter Scheidemünze, die Jeder in der Tasche bei sich trägt und der er sich auf das Schnellste im Handel und Wandel bedienen kann, die deutsche aber mit einer Goldbarre, die sich ein Jeder erst münzen und prägen muß; woher es auch ein gewöhnlicher Fall, daß der gemeinste Franzose rasch und fließend spricht, da er seine Wörter ungezählt nur so ausgibt, der Deutsche aber, selbst der gebildete, sich nur selten so rund und voll auszudrücken vermag, als er wohl wünscht. Demselben Umstande hat die französische Prosa ihre Vollkommenheit zu verdanken und sie, die Prosa, ist es vor allen Dingen, was den Ruhm und auch den Werth der französischen Literatur ge¬ gründet hat, obwohl darüber noch Manche im Unklaren sind und die französische Poesie, die Trauerspiele eines Corneille, Racine, die gereimten Lustspiele eines Moliere, die Henriade eines Vol¬ taire u. s. w. für die einflußreichsten und am mei¬ sten klassischen Produkte der französischen Literatur erachten. Ich weiß nicht, ob die Franzosen ein rein poetisches Produkt zu Stande gebracht haben, ich wüßte keins, wo nicht der Redner den Poe¬ ten überwöge, oder wenigstens ihm den Rang ab¬ zulaufen versuchte; selbst in der neuesten roman¬
then und Fruͤchten durchwaͤchſt. Goethe vergleicht daher ſehr richtig die franzoͤſiſche Sprache mit ausgepraͤgter Scheidemuͤnze, die Jeder in der Taſche bei ſich traͤgt und der er ſich auf das Schnellſte im Handel und Wandel bedienen kann, die deutſche aber mit einer Goldbarre, die ſich ein Jeder erſt muͤnzen und praͤgen muß; woher es auch ein gewoͤhnlicher Fall, daß der gemeinſte Franzoſe raſch und fließend ſpricht, da er ſeine Woͤrter ungezaͤhlt nur ſo ausgibt, der Deutſche aber, ſelbſt der gebildete, ſich nur ſelten ſo rund und voll auszudruͤcken vermag, als er wohl wuͤnſcht. Demſelben Umſtande hat die franzoͤſiſche Proſa ihre Vollkommenheit zu verdanken und ſie, die Proſa, iſt es vor allen Dingen, was den Ruhm und auch den Werth der franzoͤſiſchen Literatur ge¬ gruͤndet hat, obwohl daruͤber noch Manche im Unklaren ſind und die franzoͤſiſche Poeſie, die Trauerſpiele eines Corneille, Racine, die gereimten Luſtſpiele eines Moliere, die Henriade eines Vol¬ taire u. ſ. w. fuͤr die einflußreichſten und am mei¬ ſten klaſſiſchen Produkte der franzoͤſiſchen Literatur erachten. Ich weiß nicht, ob die Franzoſen ein rein poetiſches Produkt zu Stande gebracht haben, ich wuͤßte keins, wo nicht der Redner den Poe¬ ten uͤberwoͤge, oder wenigſtens ihm den Rang ab¬ zulaufen verſuchte; ſelbſt in der neueſten roman¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0240"n="226"/>
then und Fruͤchten durchwaͤchſt. Goethe vergleicht<lb/>
daher ſehr richtig die franzoͤſiſche Sprache mit<lb/>
ausgepraͤgter Scheidemuͤnze, die Jeder in der<lb/>
Taſche bei ſich traͤgt und der er ſich auf das<lb/>
Schnellſte im Handel und Wandel bedienen kann,<lb/>
die deutſche aber mit einer Goldbarre, die ſich ein<lb/>
Jeder erſt muͤnzen und praͤgen muß; woher es<lb/>
auch ein gewoͤhnlicher Fall, daß der gemeinſte<lb/>
Franzoſe raſch und fließend ſpricht, da er ſeine<lb/>
Woͤrter ungezaͤhlt nur ſo ausgibt, der Deutſche<lb/>
aber, ſelbſt der gebildete, ſich nur ſelten ſo rund<lb/>
und voll auszudruͤcken vermag, als er wohl wuͤnſcht.<lb/>
Demſelben Umſtande hat die franzoͤſiſche Proſa<lb/>
ihre Vollkommenheit zu verdanken und ſie, die<lb/>
Proſa, iſt es vor allen Dingen, was den Ruhm<lb/>
und auch den Werth der franzoͤſiſchen Literatur ge¬<lb/>
gruͤndet hat, obwohl daruͤber noch Manche im<lb/>
Unklaren ſind und die franzoͤſiſche Poeſie, die<lb/>
Trauerſpiele eines Corneille, Racine, die gereimten<lb/>
Luſtſpiele eines Moliere, die Henriade eines Vol¬<lb/>
taire u. ſ. w. fuͤr die einflußreichſten und am mei¬<lb/>ſten klaſſiſchen Produkte der franzoͤſiſchen Literatur<lb/>
erachten. Ich weiß nicht, ob die Franzoſen ein<lb/>
rein poetiſches Produkt zu Stande gebracht haben,<lb/>
ich wuͤßte keins, wo nicht der Redner den Poe¬<lb/>
ten uͤberwoͤge, oder wenigſtens ihm den Rang ab¬<lb/>
zulaufen verſuchte; ſelbſt in der neueſten roman¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[226/0240]
then und Fruͤchten durchwaͤchſt. Goethe vergleicht
daher ſehr richtig die franzoͤſiſche Sprache mit
ausgepraͤgter Scheidemuͤnze, die Jeder in der
Taſche bei ſich traͤgt und der er ſich auf das
Schnellſte im Handel und Wandel bedienen kann,
die deutſche aber mit einer Goldbarre, die ſich ein
Jeder erſt muͤnzen und praͤgen muß; woher es
auch ein gewoͤhnlicher Fall, daß der gemeinſte
Franzoſe raſch und fließend ſpricht, da er ſeine
Woͤrter ungezaͤhlt nur ſo ausgibt, der Deutſche
aber, ſelbſt der gebildete, ſich nur ſelten ſo rund
und voll auszudruͤcken vermag, als er wohl wuͤnſcht.
Demſelben Umſtande hat die franzoͤſiſche Proſa
ihre Vollkommenheit zu verdanken und ſie, die
Proſa, iſt es vor allen Dingen, was den Ruhm
und auch den Werth der franzoͤſiſchen Literatur ge¬
gruͤndet hat, obwohl daruͤber noch Manche im
Unklaren ſind und die franzoͤſiſche Poeſie, die
Trauerſpiele eines Corneille, Racine, die gereimten
Luſtſpiele eines Moliere, die Henriade eines Vol¬
taire u. ſ. w. fuͤr die einflußreichſten und am mei¬
ſten klaſſiſchen Produkte der franzoͤſiſchen Literatur
erachten. Ich weiß nicht, ob die Franzoſen ein
rein poetiſches Produkt zu Stande gebracht haben,
ich wuͤßte keins, wo nicht der Redner den Poe¬
ten uͤberwoͤge, oder wenigſtens ihm den Rang ab¬
zulaufen verſuchte; ſelbſt in der neueſten roman¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/240>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.