fer erörtert, als Fichte in seinen unsterblichen Re¬ den an die deutsche Nation; ich verweise Sie auf diese Stelle, wenn Sie Ihr Herz recht mit dem stolzen Gefühl durchdringen wollen, wie hoch un¬ sere deutsche Muttersprache über den neuen euro¬ päischen steht. Freilich an äußerem Reiz ist manche ihr überlegen, heitrer, anmuthiger, gesellschaftlicher ist die französische, grandiöser die spanische, sang¬ reicher die italienische, allein seelenvoller und herz¬ inniger, gestaltreicher und gedankendurchsichtiger, als alle, ist und bleibt die deutsche. Die französische und alle abgeleiteten Sprachen mehr und minder sind mehr rhetorischer, die deutsche und alle ur¬ sprünglichen Sprachen mehr poetischer Natur. In jener hat sich die Sprache abgelöst vom sprach¬ schaffenden, sprachbildenden Genius, vom Herzen, vom Bewußtsein der Nation, sie ist ein Aeußeres und Fremdes geworden, und wer sich ihrer be¬ dient, nimmt sie nicht aus sich, sondern aus dem Vorrath conventioneller Formeln und Redensarten, die für alle Zeiten gestempelt sind. In dieser, der ursprünglichen, ist Sprache und Seele eins, wer Deutsch spricht, spricht es aus seinem eignen In¬ nern heraus und bedient sich der Sprache nicht wie einer bloßen Convention, sondern als eines Naturprodukts, das in seinem eignen Lebensblute Wurzel faßt und seinen Geist vielastig mit Blü¬
Wienbarg, ästhet. Feldz. 15
fer eroͤrtert, als Fichte in ſeinen unſterblichen Re¬ den an die deutſche Nation; ich verweiſe Sie auf dieſe Stelle, wenn Sie Ihr Herz recht mit dem ſtolzen Gefuͤhl durchdringen wollen, wie hoch un¬ ſere deutſche Mutterſprache uͤber den neuen euro¬ paͤiſchen ſteht. Freilich an aͤußerem Reiz iſt manche ihr uͤberlegen, heitrer, anmuthiger, geſellſchaftlicher iſt die franzoͤſiſche, grandioͤſer die ſpaniſche, ſang¬ reicher die italieniſche, allein ſeelenvoller und herz¬ inniger, geſtaltreicher und gedankendurchſichtiger, als alle, iſt und bleibt die deutſche. Die franzoͤſiſche und alle abgeleiteten Sprachen mehr und minder ſind mehr rhetoriſcher, die deutſche und alle ur¬ ſpruͤnglichen Sprachen mehr poetiſcher Natur. In jener hat ſich die Sprache abgeloͤſt vom ſprach¬ ſchaffenden, ſprachbildenden Genius, vom Herzen, vom Bewußtſein der Nation, ſie iſt ein Aeußeres und Fremdes geworden, und wer ſich ihrer be¬ dient, nimmt ſie nicht aus ſich, ſondern aus dem Vorrath conventioneller Formeln und Redensarten, die fuͤr alle Zeiten geſtempelt ſind. In dieſer, der urſpruͤnglichen, iſt Sprache und Seele eins, wer Deutſch ſpricht, ſpricht es aus ſeinem eignen In¬ nern heraus und bedient ſich der Sprache nicht wie einer bloßen Convention, ſondern als eines Naturprodukts, das in ſeinem eignen Lebensblute Wurzel faßt und ſeinen Geiſt vielaſtig mit Bluͤ¬
Wienbarg, aͤſthet. Feldz. 15
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0239"n="225"/>
fer eroͤrtert, als Fichte in ſeinen unſterblichen Re¬<lb/>
den an die deutſche Nation; ich verweiſe Sie auf<lb/>
dieſe Stelle, wenn Sie Ihr Herz recht mit dem<lb/>ſtolzen Gefuͤhl durchdringen wollen, wie hoch un¬<lb/>ſere deutſche Mutterſprache uͤber den neuen euro¬<lb/>
paͤiſchen ſteht. Freilich an aͤußerem Reiz iſt manche<lb/>
ihr uͤberlegen, heitrer, anmuthiger, geſellſchaftlicher<lb/>
iſt die franzoͤſiſche, grandioͤſer die ſpaniſche, ſang¬<lb/>
reicher die italieniſche, allein ſeelenvoller und herz¬<lb/>
inniger, geſtaltreicher und gedankendurchſichtiger,<lb/>
als alle, iſt und bleibt die deutſche. Die franzoͤſiſche<lb/>
und alle abgeleiteten Sprachen mehr und minder<lb/>ſind mehr rhetoriſcher, die deutſche und alle ur¬<lb/>ſpruͤnglichen Sprachen mehr poetiſcher Natur. In<lb/>
jener hat ſich die Sprache abgeloͤſt vom ſprach¬<lb/>ſchaffenden, ſprachbildenden Genius, vom Herzen,<lb/>
vom Bewußtſein der Nation, ſie iſt ein Aeußeres<lb/>
und Fremdes geworden, und wer ſich ihrer be¬<lb/>
dient, nimmt ſie nicht aus ſich, ſondern aus dem<lb/>
Vorrath conventioneller Formeln und Redensarten,<lb/>
die fuͤr alle Zeiten geſtempelt ſind. In dieſer, der<lb/>
urſpruͤnglichen, iſt Sprache und Seele eins, wer<lb/>
Deutſch ſpricht, ſpricht es aus ſeinem eignen In¬<lb/>
nern heraus und bedient ſich der Sprache nicht<lb/>
wie einer bloßen Convention, ſondern als eines<lb/>
Naturprodukts, das in ſeinem eignen Lebensblute<lb/>
Wurzel faßt und ſeinen Geiſt vielaſtig mit Bluͤ¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Wienbarg, aͤſthet. Feldz. 15<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[225/0239]
fer eroͤrtert, als Fichte in ſeinen unſterblichen Re¬
den an die deutſche Nation; ich verweiſe Sie auf
dieſe Stelle, wenn Sie Ihr Herz recht mit dem
ſtolzen Gefuͤhl durchdringen wollen, wie hoch un¬
ſere deutſche Mutterſprache uͤber den neuen euro¬
paͤiſchen ſteht. Freilich an aͤußerem Reiz iſt manche
ihr uͤberlegen, heitrer, anmuthiger, geſellſchaftlicher
iſt die franzoͤſiſche, grandioͤſer die ſpaniſche, ſang¬
reicher die italieniſche, allein ſeelenvoller und herz¬
inniger, geſtaltreicher und gedankendurchſichtiger,
als alle, iſt und bleibt die deutſche. Die franzoͤſiſche
und alle abgeleiteten Sprachen mehr und minder
ſind mehr rhetoriſcher, die deutſche und alle ur¬
ſpruͤnglichen Sprachen mehr poetiſcher Natur. In
jener hat ſich die Sprache abgeloͤſt vom ſprach¬
ſchaffenden, ſprachbildenden Genius, vom Herzen,
vom Bewußtſein der Nation, ſie iſt ein Aeußeres
und Fremdes geworden, und wer ſich ihrer be¬
dient, nimmt ſie nicht aus ſich, ſondern aus dem
Vorrath conventioneller Formeln und Redensarten,
die fuͤr alle Zeiten geſtempelt ſind. In dieſer, der
urſpruͤnglichen, iſt Sprache und Seele eins, wer
Deutſch ſpricht, ſpricht es aus ſeinem eignen In¬
nern heraus und bedient ſich der Sprache nicht
wie einer bloßen Convention, ſondern als eines
Naturprodukts, das in ſeinem eignen Lebensblute
Wurzel faßt und ſeinen Geiſt vielaſtig mit Bluͤ¬
Wienbarg, aͤſthet. Feldz. 15
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/239>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.