und alles Malerische und Dichterische ohne Aus¬ nahme in ihr unnatürlich erweitertes Gebiet auf¬ nahm.
Allerdings, meine Herren, ist nicht zu ver¬ kennen, daß Poesie und Musik innig verwandte Künste sind, die in ihrer Vereinigung z. B. in der Oper, im Liede, die wunderbarsten Wirkungen auf unser Gemüth äußern. Allein, man erkläre sich den Umstand, daß die Sprache und die Mu¬ sik so selten, ja fast nie selbstständig zusammenwir¬ ken, daß bald die Sprache der Musik, bald die Musik der Sprache untergeordnet erscheint, jenes in unsern heutigen Opern, wo der Text nur so mitläuft, dieses in den Schau- und Trauerspielen der Alten, wo Text die Hauptsache, Musik und Tanz nur als Begleiterinnen auftraten. Woher diese Schwierigkeit, beide Künste in ihrer Selbst¬ ständigkeit mit einander zu verbinden? Die Ant¬ wort gab schon Lessing. Die Musik bedient sich natürlicher, die Poesie willkührlicher Zeichen, die Musik der Töne, die Poesie der Buchstaben. Beide Zeichen wirken allerdings in der Folge der Zeit, allein das Zeitmaaß ist verschieden. Ein einziger Laut der Sprache, als willkührliches Zei¬ chen, kann in einem flüchtigen Augenblick so viel Gedanken und Empfindungen ausdrücken, als die Musik nur in einer langen Reihe von Tönen nach
und alles Maleriſche und Dichteriſche ohne Aus¬ nahme in ihr unnatuͤrlich erweitertes Gebiet auf¬ nahm.
Allerdings, meine Herren, iſt nicht zu ver¬ kennen, daß Poeſie und Muſik innig verwandte Kuͤnſte ſind, die in ihrer Vereinigung z. B. in der Oper, im Liede, die wunderbarſten Wirkungen auf unſer Gemuͤth aͤußern. Allein, man erklaͤre ſich den Umſtand, daß die Sprache und die Mu¬ ſik ſo ſelten, ja faſt nie ſelbſtſtaͤndig zuſammenwir¬ ken, daß bald die Sprache der Muſik, bald die Muſik der Sprache untergeordnet erſcheint, jenes in unſern heutigen Opern, wo der Text nur ſo mitlaͤuft, dieſes in den Schau- und Trauerſpielen der Alten, wo Text die Hauptſache, Muſik und Tanz nur als Begleiterinnen auftraten. Woher dieſe Schwierigkeit, beide Kuͤnſte in ihrer Selbſt¬ ſtaͤndigkeit mit einander zu verbinden? Die Ant¬ wort gab ſchon Leſſing. Die Muſik bedient ſich natuͤrlicher, die Poeſie willkuͤhrlicher Zeichen, die Muſik der Toͤne, die Poeſie der Buchſtaben. Beide Zeichen wirken allerdings in der Folge der Zeit, allein das Zeitmaaß iſt verſchieden. Ein einziger Laut der Sprache, als willkuͤhrliches Zei¬ chen, kann in einem fluͤchtigen Augenblick ſo viel Gedanken und Empfindungen ausdruͤcken, als die Muſik nur in einer langen Reihe von Toͤnen nach
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und alles Maleriſche und Dichteriſche ohne Aus¬
nahme in ihr unnatuͤrlich erweitertes Gebiet auf¬
nahm.
Allerdings, meine Herren, iſt nicht zu ver¬
kennen, daß Poeſie und Muſik innig verwandte
Kuͤnſte ſind, die in ihrer Vereinigung z. B. in
der Oper, im Liede, die wunderbarſten Wirkungen
auf unſer Gemuͤth aͤußern. Allein, man erklaͤre
ſich den Umſtand, daß die Sprache und die Mu¬
ſik ſo ſelten, ja faſt nie ſelbſtſtaͤndig zuſammenwir¬
ken, daß bald die Sprache der Muſik, bald die
Muſik der Sprache untergeordnet erſcheint, jenes
in unſern heutigen Opern, wo der Text nur ſo
mitlaͤuft, dieſes in den Schau- und Trauerſpielen
der Alten, wo Text die Hauptſache, Muſik und
Tanz nur als Begleiterinnen auftraten. Woher
dieſe Schwierigkeit, beide Kuͤnſte in ihrer Selbſt¬
ſtaͤndigkeit mit einander zu verbinden? Die Ant¬
wort gab ſchon Leſſing. Die Muſik bedient ſich
natuͤrlicher, die Poeſie willkuͤhrlicher Zeichen, die
Muſik der Toͤne, die Poeſie der Buchſtaben.
Beide Zeichen wirken allerdings in der Folge der
Zeit, allein das Zeitmaaß iſt verſchieden. Ein
einziger Laut der Sprache, als willkuͤhrliches Zei¬
chen, kann in einem fluͤchtigen Augenblick ſo viel
Gedanken und Empfindungen ausdruͤcken, als die
Muſik nur in einer langen Reihe von Toͤnen nach
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/228>, abgerufen am 24.11.2024.
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