die Kunst, wie es ihr selbst, nicht wie es der Natur zukommt.
Dieses Gesetz gilt in allen Kreisen der Kunst und man erkennt eben den Pfuscher in der Ma¬ lerei, den Maler, dem die Weihe der Kunst ab¬ geht, sähe man ihn auch im Besitz vortrefflicher Kunstgriffe und mechanischer Fertigkeiten, man erkennt ihn hauptsächlich an der falschen Bestre¬ bung naturwahr statt kunstwahr zu sein, mit Früchten, Figuren, Gegenständen aller Art das Auge des Beschauers gleichsam aufzufordern, sie mit natürlichen in Vergleich zu stellen.
In der Malerei fällt dies Bestreben um so mehr auf, da sie nicht freie, rings von Luft umgebene Bilder liefert, wie die Bildhauerei, son¬ dern da man ausdrücklich ihre Bilder als Bilder ansehen soll. Sie legt ja darum auch weniger Gewicht auf die Materie, als die Plastik, will schon mehr als Seele zur Seele sprechen, dage¬ gen die Bildhauerei, dem Material nach, ganz und gar in der Sinnenwelt ruht und ein Tastba¬ res, Irdisches darstellt. Daher stammen die ver¬ schiedenen Gesetze, die der Bildhauer und der Maler in der Darstellung befolgen. Während je¬ ner sich in Acht nimmt, die Züge der Leidenschaft seinen Figuren über ein gewisses Maaß einzuprä¬ gen, ja während er sich's zum Gesetze macht, das
die Kunſt, wie es ihr ſelbſt, nicht wie es der Natur zukommt.
Dieſes Geſetz gilt in allen Kreiſen der Kunſt und man erkennt eben den Pfuſcher in der Ma¬ lerei, den Maler, dem die Weihe der Kunſt ab¬ geht, ſaͤhe man ihn auch im Beſitz vortrefflicher Kunſtgriffe und mechaniſcher Fertigkeiten, man erkennt ihn hauptſaͤchlich an der falſchen Beſtre¬ bung naturwahr ſtatt kunſtwahr zu ſein, mit Fruͤchten, Figuren, Gegenſtaͤnden aller Art das Auge des Beſchauers gleichſam aufzufordern, ſie mit natuͤrlichen in Vergleich zu ſtellen.
In der Malerei faͤllt dies Beſtreben um ſo mehr auf, da ſie nicht freie, rings von Luft umgebene Bilder liefert, wie die Bildhauerei, ſon¬ dern da man ausdruͤcklich ihre Bilder als Bilder anſehen ſoll. Sie legt ja darum auch weniger Gewicht auf die Materie, als die Plaſtik, will ſchon mehr als Seele zur Seele ſprechen, dage¬ gen die Bildhauerei, dem Material nach, ganz und gar in der Sinnenwelt ruht und ein Taſtba¬ res, Irdiſches darſtellt. Daher ſtammen die ver¬ ſchiedenen Geſetze, die der Bildhauer und der Maler in der Darſtellung befolgen. Waͤhrend je¬ ner ſich in Acht nimmt, die Zuͤge der Leidenſchaft ſeinen Figuren uͤber ein gewiſſes Maaß einzupraͤ¬ gen, ja waͤhrend er ſich's zum Geſetze macht, das
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die Kunſt, wie es ihr ſelbſt, nicht wie es der
Natur zukommt.
Dieſes Geſetz gilt in allen Kreiſen der Kunſt
und man erkennt eben den Pfuſcher in der Ma¬
lerei, den Maler, dem die Weihe der Kunſt ab¬
geht, ſaͤhe man ihn auch im Beſitz vortrefflicher
Kunſtgriffe und mechaniſcher Fertigkeiten, man
erkennt ihn hauptſaͤchlich an der falſchen Beſtre¬
bung naturwahr ſtatt kunſtwahr zu ſein,
mit Fruͤchten, Figuren, Gegenſtaͤnden aller Art
das Auge des Beſchauers gleichſam aufzufordern,
ſie mit natuͤrlichen in Vergleich zu ſtellen.
In der Malerei faͤllt dies Beſtreben um ſo
mehr auf, da ſie nicht freie, rings von Luft
umgebene Bilder liefert, wie die Bildhauerei, ſon¬
dern da man ausdruͤcklich ihre Bilder als Bilder
anſehen ſoll. Sie legt ja darum auch weniger
Gewicht auf die Materie, als die Plaſtik, will
ſchon mehr als Seele zur Seele ſprechen, dage¬
gen die Bildhauerei, dem Material nach, ganz
und gar in der Sinnenwelt ruht und ein Taſtba¬
res, Irdiſches darſtellt. Daher ſtammen die ver¬
ſchiedenen Geſetze, die der Bildhauer und der
Maler in der Darſtellung befolgen. Waͤhrend je¬
ner ſich in Acht nimmt, die Zuͤge der Leidenſchaft
ſeinen Figuren uͤber ein gewiſſes Maaß einzupraͤ¬
gen, ja waͤhrend er ſich's zum Geſetze macht, das
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/221>, abgerufen am 18.12.2024.
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