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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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Federn und Haaren besetzt, sondern nach Außen
sich ablöst, ein künstlerisches Residuum zurückläßt,
einen Gesang, ein Gespinnst, ein Nest und der¬
gleichen zu Tage fördert. Das ist dieselbe bildende
Kraft, die den Arm des Michel Angelo bewegte,
die sich zum menschlichen Genius verklärt und zu¬
gleich mit dämonischer Unwiderstehlichkeit, mit un¬
bewußtem Drang wie mit menschlich bewußter
Freiheit Meißel und Pinsel ergreift und eine zweite
höhere Schöpfung in der Schöpfung hervorbringt.

Nur auf den höchsten Stufen der Individua¬
lität wirkt die unbewußte Natur seelische Schön¬
heit und Anmuth, der bewußte Mensch steht schon
oder sollte schon auf dieser stehen, er findet das
Gesetz der Schönheit in sich, außer sich, die
Wahl des Schönsten steht seiner Künstlerhand
offen und wenn er sich vergreift, wenn er statt
Seelen nur Leiber, statt Edelm Unedles bildet,
so fällt die Schuld einzig und allein auf sein
Haupt, er hat seine Freiheit gemißbraucht, den
Beruf der Kunst, sein schönstes Vorrecht vor der
blind und nothdürftig waltenden Natur, ungehin¬
derte Bildung des Schönsten im Charakter des
Individuellen, verkannt.

Diese glückliche Lage der Kunst zur Natur
sollte man richtig einsehen und fleißig bedenken,
will man über den Werth der verschiedenen Kunst¬

Federn und Haaren beſetzt, ſondern nach Außen
ſich abloͤſt, ein kuͤnſtleriſches Reſiduum zuruͤcklaͤßt,
einen Geſang, ein Geſpinnſt, ein Neſt und der¬
gleichen zu Tage foͤrdert. Das iſt dieſelbe bildende
Kraft, die den Arm des Michel Angelo bewegte,
die ſich zum menſchlichen Genius verklaͤrt und zu¬
gleich mit daͤmoniſcher Unwiderſtehlichkeit, mit un¬
bewußtem Drang wie mit menſchlich bewußter
Freiheit Meißel und Pinſel ergreift und eine zweite
hoͤhere Schoͤpfung in der Schoͤpfung hervorbringt.

Nur auf den hoͤchſten Stufen der Individua¬
litaͤt wirkt die unbewußte Natur ſeeliſche Schoͤn¬
heit und Anmuth, der bewußte Menſch ſteht ſchon
oder ſollte ſchon auf dieſer ſtehen, er findet das
Geſetz der Schoͤnheit in ſich, außer ſich, die
Wahl des Schoͤnſten ſteht ſeiner Kuͤnſtlerhand
offen und wenn er ſich vergreift, wenn er ſtatt
Seelen nur Leiber, ſtatt Edelm Unedles bildet,
ſo faͤllt die Schuld einzig und allein auf ſein
Haupt, er hat ſeine Freiheit gemißbraucht, den
Beruf der Kunſt, ſein ſchoͤnſtes Vorrecht vor der
blind und nothduͤrftig waltenden Natur, ungehin¬
derte Bildung des Schoͤnſten im Charakter des
Individuellen, verkannt.

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[202/0216] Federn und Haaren beſetzt, ſondern nach Außen ſich abloͤſt, ein kuͤnſtleriſches Reſiduum zuruͤcklaͤßt, einen Geſang, ein Geſpinnſt, ein Neſt und der¬ gleichen zu Tage foͤrdert. Das iſt dieſelbe bildende Kraft, die den Arm des Michel Angelo bewegte, die ſich zum menſchlichen Genius verklaͤrt und zu¬ gleich mit daͤmoniſcher Unwiderſtehlichkeit, mit un¬ bewußtem Drang wie mit menſchlich bewußter Freiheit Meißel und Pinſel ergreift und eine zweite hoͤhere Schoͤpfung in der Schoͤpfung hervorbringt. Nur auf den hoͤchſten Stufen der Individua¬ litaͤt wirkt die unbewußte Natur ſeeliſche Schoͤn¬ heit und Anmuth, der bewußte Menſch ſteht ſchon oder ſollte ſchon auf dieſer ſtehen, er findet das Geſetz der Schoͤnheit in ſich, außer ſich, die Wahl des Schoͤnſten ſteht ſeiner Kuͤnſtlerhand offen und wenn er ſich vergreift, wenn er ſtatt Seelen nur Leiber, ſtatt Edelm Unedles bildet, ſo faͤllt die Schuld einzig und allein auf ſein Haupt, er hat ſeine Freiheit gemißbraucht, den Beruf der Kunſt, ſein ſchoͤnſtes Vorrecht vor der blind und nothduͤrftig waltenden Natur, ungehin¬ derte Bildung des Schoͤnſten im Charakter des Individuellen, verkannt. Dieſe gluͤckliche Lage der Kunſt zur Natur ſollte man richtig einſehen und fleißig bedenken, will man uͤber den Werth der verſchiedenen Kunſt¬

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/216>, abgerufen am 24.11.2024.