höchsten Anmuth zusammenfiel. Man kann sogar darauf anspielen, daß die älteste Malerei und Bildhauerei von Thiersymbolen ausging und all¬ mählig erst sich zur Darstellung des Menschlichen steigerte, dieses selbst aber Jahrhunderte lang noch sehr unvollkommen blieb, steife, eckige Umrisse, ge¬ schlossene Arme und Beine, kaum bemerklichen Unterschied der Geschlechter beibehielt, bis nach der Sage Dädalus die Bildsäulen wandeln ließ, das heißt getrennte Beine, fortschreitende Füße, freie Arme, offene Augen, entschiedene Geschlechts¬ charakter am Marmorblocke ausführte.
So ward auch für die Kunst das Bedeu¬ tende immer mehr Grundsatz und da die Zeich¬ nung der festen Theile, der Knochenbau als der Träger des Bedeutsamsten an der menschlichen Fi¬ gur anerkannt werden mußte, so gab es in der griechischen, wie in jeder andern nationalen Kunst¬ geschichte, einen Zeitraum, wo die Bildung der festen Theile, des Charakters in seinem starren Typus, in seinen stark ausgedrückten Grundzügen, das überwiegende Prinzip war und den sogenann¬ ten Stil ausmachte. Winckelmann bezeichnet die¬ sen zweiten Zeitraum als den großen und ho¬ hen Stil der griechischen Kunst, in dem Phidias, Zeitgenosse des Miltiades und Themistokles, der ausgezeichnetste Meister war. Erst im dritten Zeit¬
hoͤchſten Anmuth zuſammenfiel. Man kann ſogar darauf anſpielen, daß die aͤlteſte Malerei und Bildhauerei von Thierſymbolen ausging und all¬ maͤhlig erſt ſich zur Darſtellung des Menſchlichen ſteigerte, dieſes ſelbſt aber Jahrhunderte lang noch ſehr unvollkommen blieb, ſteife, eckige Umriſſe, ge¬ ſchloſſene Arme und Beine, kaum bemerklichen Unterſchied der Geſchlechter beibehielt, bis nach der Sage Daͤdalus die Bildſaͤulen wandeln ließ, das heißt getrennte Beine, fortſchreitende Fuͤße, freie Arme, offene Augen, entſchiedene Geſchlechts¬ charakter am Marmorblocke ausfuͤhrte.
So ward auch fuͤr die Kunſt das Bedeu¬ tende immer mehr Grundſatz und da die Zeich¬ nung der feſten Theile, der Knochenbau als der Traͤger des Bedeutſamſten an der menſchlichen Fi¬ gur anerkannt werden mußte, ſo gab es in der griechiſchen, wie in jeder andern nationalen Kunſt¬ geſchichte, einen Zeitraum, wo die Bildung der feſten Theile, des Charakters in ſeinem ſtarren Typus, in ſeinen ſtark ausgedruͤckten Grundzuͤgen, das uͤberwiegende Prinzip war und den ſogenann¬ ten Stil ausmachte. Winckelmann bezeichnet die¬ ſen zweiten Zeitraum als den großen und ho¬ hen Stil der griechiſchen Kunſt, in dem Phidias, Zeitgenoſſe des Miltiades und Themiſtokles, der ausgezeichnetſte Meiſter war. Erſt im dritten Zeit¬
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hoͤchſten Anmuth zuſammenfiel. Man kann ſogar
darauf anſpielen, daß die aͤlteſte Malerei und
Bildhauerei von Thierſymbolen ausging und all¬
maͤhlig erſt ſich zur Darſtellung des Menſchlichen
ſteigerte, dieſes ſelbſt aber Jahrhunderte lang noch
ſehr unvollkommen blieb, ſteife, eckige Umriſſe, ge¬
ſchloſſene Arme und Beine, kaum bemerklichen
Unterſchied der Geſchlechter beibehielt, bis nach
der Sage Daͤdalus die Bildſaͤulen wandeln ließ,
das heißt getrennte Beine, fortſchreitende Fuͤße,
freie Arme, offene Augen, entſchiedene Geſchlechts¬
charakter am Marmorblocke ausfuͤhrte.
So ward auch fuͤr die Kunſt das Bedeu¬
tende immer mehr Grundſatz und da die Zeich¬
nung der feſten Theile, der Knochenbau als der
Traͤger des Bedeutſamſten an der menſchlichen Fi¬
gur anerkannt werden mußte, ſo gab es in der
griechiſchen, wie in jeder andern nationalen Kunſt¬
geſchichte, einen Zeitraum, wo die Bildung der
feſten Theile, des Charakters in ſeinem ſtarren
Typus, in ſeinen ſtark ausgedruͤckten Grundzuͤgen,
das uͤberwiegende Prinzip war und den ſogenann¬
ten Stil ausmachte. Winckelmann bezeichnet die¬
ſen zweiten Zeitraum als den großen und ho¬
hen Stil der griechiſchen Kunſt, in dem Phidias,
Zeitgenoſſe des Miltiades und Themiſtokles, der
ausgezeichnetſte Meiſter war. Erſt im dritten Zeit¬
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/208>, abgerufen am 24.11.2024.
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