Geltung unterschieden. Beide theilen auch das¬ selbe Ziel, Organisirung der ästhetischen Elemente zu einem gebildeten Ganzen, das bei der größten Mannigfaltigkeit seiner Theile von einer Grund¬ idee durchdrungen und zur Einheit verknüpft wird. Nicht die Art und Menge dieser Theile, nicht die Art und Beschaffenheit der Grundidee ist das, was dem Ganzen Werth und Würde gibt, son¬ dern einerseits die Stärke und Mächtigkeit des zu Grunde liegenden Lebens, andererseits die mehr oder weniger durchgeführte Einigung und Durch¬ dringung der zum Ganzen gehörigen Theile. So bei Menschen, so bei Kunstwerken, so bei Einzel¬ nen, so bei ganzen Zeitaltern. Nicht tief genug kann man sich diese Wahrheit einprägen, nicht lebhaft genug kann man es fühlen und ausrufen: der Mensch ist nichts werth, der Künstler ist nichts werth, der nicht Drang und Kraft und aufsprin¬ gende Fibern im Herz und Hirn hat, Alles, was er bildet, und wär' es die vollkommenste Idee im feinsten Material, ist nichts werth vor Gott und Menschen.
Solche Kraft ist aber ein Erbtheil der Ge¬ burt und der einzige Adel, der die Probe der Zeit besteht. Sie kann nicht, wo sie fehlt, ersetzt, kann aber, wo sie ist, geschwächt, ja vertilgt wer¬ den. Welchem Geschlecht hat die Natur sie ganz
Geltung unterſchieden. Beide theilen auch daſ¬ ſelbe Ziel, Organiſirung der aͤſthetiſchen Elemente zu einem gebildeten Ganzen, das bei der groͤßten Mannigfaltigkeit ſeiner Theile von einer Grund¬ idee durchdrungen und zur Einheit verknuͤpft wird. Nicht die Art und Menge dieſer Theile, nicht die Art und Beſchaffenheit der Grundidee iſt das, was dem Ganzen Werth und Wuͤrde gibt, ſon¬ dern einerſeits die Staͤrke und Maͤchtigkeit des zu Grunde liegenden Lebens, andererſeits die mehr oder weniger durchgefuͤhrte Einigung und Durch¬ dringung der zum Ganzen gehoͤrigen Theile. So bei Menſchen, ſo bei Kunſtwerken, ſo bei Einzel¬ nen, ſo bei ganzen Zeitaltern. Nicht tief genug kann man ſich dieſe Wahrheit einpraͤgen, nicht lebhaft genug kann man es fuͤhlen und ausrufen: der Menſch iſt nichts werth, der Kuͤnſtler iſt nichts werth, der nicht Drang und Kraft und aufſprin¬ gende Fibern im Herz und Hirn hat, Alles, was er bildet, und waͤr' es die vollkommenſte Idee im feinſten Material, iſt nichts werth vor Gott und Menſchen.
Solche Kraft iſt aber ein Erbtheil der Ge¬ burt und der einzige Adel, der die Probe der Zeit beſteht. Sie kann nicht, wo ſie fehlt, erſetzt, kann aber, wo ſie iſt, geſchwaͤcht, ja vertilgt wer¬ den. Welchem Geſchlecht hat die Natur ſie ganz
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Geltung unterſchieden. Beide theilen auch daſ¬
ſelbe Ziel, Organiſirung der aͤſthetiſchen Elemente
zu einem gebildeten Ganzen, das bei der groͤßten
Mannigfaltigkeit ſeiner Theile von einer Grund¬
idee durchdrungen und zur Einheit verknuͤpft wird.
Nicht die Art und Menge dieſer Theile, nicht die
Art und Beſchaffenheit der Grundidee iſt das,
was dem Ganzen Werth und Wuͤrde gibt, ſon¬
dern einerſeits die Staͤrke und Maͤchtigkeit des zu
Grunde liegenden Lebens, andererſeits die mehr
oder weniger durchgefuͤhrte Einigung und Durch¬
dringung der zum Ganzen gehoͤrigen Theile. So
bei Menſchen, ſo bei Kunſtwerken, ſo bei Einzel¬
nen, ſo bei ganzen Zeitaltern. Nicht tief genug
kann man ſich dieſe Wahrheit einpraͤgen, nicht
lebhaft genug kann man es fuͤhlen und ausrufen:
der Menſch iſt nichts werth, der Kuͤnſtler iſt nichts
werth, der nicht Drang und Kraft und aufſprin¬
gende Fibern im Herz und Hirn hat, Alles, was
er bildet, und waͤr' es die vollkommenſte Idee im
feinſten Material, iſt nichts werth vor Gott und
Menſchen.
Solche Kraft iſt aber ein Erbtheil der Ge¬
burt und der einzige Adel, der die Probe der Zeit
beſteht. Sie kann nicht, wo ſie fehlt, erſetzt,
kann aber, wo ſie iſt, geſchwaͤcht, ja vertilgt wer¬
den. Welchem Geſchlecht hat die Natur ſie ganz
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/189>, abgerufen am 24.11.2024.
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