ein, wie bei dem vorigen Einwurf; man muß ihn leider grade auf den Kopf stellen und behaupten, daß die bisherige Moral, bei aller Rigorosität ih¬ rer Prinzipien in der Anwendung eben die flaue und laue ist und nicht im Stande, einen kern¬ haften Menschen zu bilden und ihn zu zwingen, um eines Höchsten willen den Genuß, den Besitz und die Güter der Welt fahren zu lassen; dage¬ gen die Kunst an Hunderten von Künstlern unse¬ rer Zeit das Beispiel gibt, zu welch anhaltendem Streben, zu wie viel durchwachten Nächten, zu welcher Menge und Größe der Opfer, Entsagun¬ gen und Entbehrungen sie ihre erwählten Lieb¬ linge anspornt. Und man lese das Leben der gro¬ ßen Maler und Dichter der Vergangenheit, und man lese, ob einer von ihnen groß geworden ist ohne den heiligen Entschluß, seinem Talent zu le¬ ben und zu sterben, und der Kunst alle Opfer zu bringen, welche mit ihrer großartigen, leidenschaft¬ lichen Ausübung verbunden sind. Freilich jene Opfer wurden entschädigt und wohl überreichlich aufgewogen durch den freudigen Genuß und die Seligkeit, die sie überströmte. Nicht der Entsa¬ gung wegen entsagten sie, nein, des Genusses wegen, sie brannten im Feuer der Begeisterung, das alles Unreine verzehrt und selbst den Schmerz in Rauch und Asche auflöset.
ein, wie bei dem vorigen Einwurf; man muß ihn leider grade auf den Kopf ſtellen und behaupten, daß die bisherige Moral, bei aller Rigoroſitaͤt ih¬ rer Prinzipien in der Anwendung eben die flaue und laue iſt und nicht im Stande, einen kern¬ haften Menſchen zu bilden und ihn zu zwingen, um eines Hoͤchſten willen den Genuß, den Beſitz und die Guͤter der Welt fahren zu laſſen; dage¬ gen die Kunſt an Hunderten von Kuͤnſtlern unſe¬ rer Zeit das Beiſpiel gibt, zu welch anhaltendem Streben, zu wie viel durchwachten Naͤchten, zu welcher Menge und Groͤße der Opfer, Entſagun¬ gen und Entbehrungen ſie ihre erwaͤhlten Lieb¬ linge anſpornt. Und man leſe das Leben der gro¬ ßen Maler und Dichter der Vergangenheit, und man leſe, ob einer von ihnen groß geworden iſt ohne den heiligen Entſchluß, ſeinem Talent zu le¬ ben und zu ſterben, und der Kunſt alle Opfer zu bringen, welche mit ihrer großartigen, leidenſchaft¬ lichen Ausuͤbung verbunden ſind. Freilich jene Opfer wurden entſchaͤdigt und wohl uͤberreichlich aufgewogen durch den freudigen Genuß und die Seligkeit, die ſie uͤberſtroͤmte. Nicht der Entſa¬ gung wegen entſagten ſie, nein, des Genuſſes wegen, ſie brannten im Feuer der Begeiſterung, das alles Unreine verzehrt und ſelbſt den Schmerz in Rauch und Aſche aufloͤſet.
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ein, wie bei dem vorigen Einwurf; man muß ihn
leider grade auf den Kopf ſtellen und behaupten,
daß die bisherige Moral, bei aller Rigoroſitaͤt ih¬
rer Prinzipien in der Anwendung eben die flaue
und laue iſt und nicht im Stande, einen kern¬
haften Menſchen zu bilden und ihn zu zwingen,
um eines Hoͤchſten willen den Genuß, den Beſitz
und die Guͤter der Welt fahren zu laſſen; dage¬
gen die Kunſt an Hunderten von Kuͤnſtlern unſe¬
rer Zeit das Beiſpiel gibt, zu welch anhaltendem
Streben, zu wie viel durchwachten Naͤchten, zu
welcher Menge und Groͤße der Opfer, Entſagun¬
gen und Entbehrungen ſie ihre erwaͤhlten Lieb¬
linge anſpornt. Und man leſe das Leben der gro¬
ßen Maler und Dichter der Vergangenheit, und
man leſe, ob einer von ihnen groß geworden iſt
ohne den heiligen Entſchluß, ſeinem Talent zu le¬
ben und zu ſterben, und der Kunſt alle Opfer zu
bringen, welche mit ihrer großartigen, leidenſchaft¬
lichen Ausuͤbung verbunden ſind. Freilich jene
Opfer wurden entſchaͤdigt und wohl uͤberreichlich
aufgewogen durch den freudigen Genuß und die
Seligkeit, die ſie uͤberſtroͤmte. Nicht der Entſa¬
gung wegen entſagten ſie, nein, des Genuſſes
wegen, ſie brannten im Feuer der Begeiſterung,
das alles Unreine verzehrt und ſelbſt den Schmerz
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/187>, abgerufen am 24.11.2024.
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