Hasse, diese strebt eben so oft das Häßlichste, als das Schönste an, diese, wie sie die Erzeugerin alles Großen in der Weltgeschichte ist, war auch die Mutter aller Gewaltthaten und Gräuel, die nicht vom kalten Blut und der vertrockneten Bosheit diktirt wurden. Nicht allein die Liebe, die auf dem Schönheitsgefühl beruht, hat ihre Leidenschaf¬ ten, auch die Religion hat die ihrigen und die liebevollste unter allen, die christliche, hat sich mit den furchtbarsten gesellt und ist durch sie in die blindeste Befangenheit trauriger Irrthümer gestürzt. Ja noch mehr, selbst diese kalte Pflichtenlehre, welche das moralische Gesetz mit eiserner Ruthe über das Gewissen ihrer Unterthanen walten läßt, selbst diese kann sich leidenschaftlich äußern, und es ist mir von einem Kantianer erzählt, der mit einer Art kaltphilosophischer Wuth alle Blumen der Lust und Poesie aus seinem Herzen riß und nach den Trommel- und Taktschlägen des Kanti¬ schen Moralprinzips so eifrig, wie ein neuange¬ worbener Rekrut, auf dem Felde der Sittlichkeit sich einexerzirte. Können wir uns nicht an der Stelle des Schillerschen Beispiels ein anderes den¬ ken, wo grade das zur höchsten Einseitigkeit aus¬ gebildete sogenannte Pflichtgefühl in Kollision mit den schönern Gewalten der Liebe, sei's nun durch Begehen oder Unterlassen empörend und abscheu¬
Haſſe, dieſe ſtrebt eben ſo oft das Haͤßlichſte, als das Schoͤnſte an, dieſe, wie ſie die Erzeugerin alles Großen in der Weltgeſchichte iſt, war auch die Mutter aller Gewaltthaten und Graͤuel, die nicht vom kalten Blut und der vertrockneten Bosheit diktirt wurden. Nicht allein die Liebe, die auf dem Schoͤnheitsgefuͤhl beruht, hat ihre Leidenſchaf¬ ten, auch die Religion hat die ihrigen und die liebevollſte unter allen, die chriſtliche, hat ſich mit den furchtbarſten geſellt und iſt durch ſie in die blindeſte Befangenheit trauriger Irrthuͤmer geſtuͤrzt. Ja noch mehr, ſelbſt dieſe kalte Pflichtenlehre, welche das moraliſche Geſetz mit eiſerner Ruthe uͤber das Gewiſſen ihrer Unterthanen walten laͤßt, ſelbſt dieſe kann ſich leidenſchaftlich aͤußern, und es iſt mir von einem Kantianer erzaͤhlt, der mit einer Art kaltphiloſophiſcher Wuth alle Blumen der Luſt und Poeſie aus ſeinem Herzen riß und nach den Trommel- und Taktſchlaͤgen des Kanti¬ ſchen Moralprinzips ſo eifrig, wie ein neuange¬ worbener Rekrut, auf dem Felde der Sittlichkeit ſich einexerzirte. Koͤnnen wir uns nicht an der Stelle des Schillerſchen Beiſpiels ein anderes den¬ ken, wo grade das zur hoͤchſten Einſeitigkeit aus¬ gebildete ſogenannte Pflichtgefuͤhl in Kolliſion mit den ſchoͤnern Gewalten der Liebe, ſei's nun durch Begehen oder Unterlaſſen empoͤrend und abſcheu¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0173"n="159"/>
Haſſe, dieſe ſtrebt eben ſo oft das Haͤßlichſte, als das<lb/>
Schoͤnſte an, dieſe, wie ſie die Erzeugerin alles<lb/>
Großen in der Weltgeſchichte iſt, war auch die<lb/>
Mutter aller Gewaltthaten und Graͤuel, die nicht<lb/>
vom kalten Blut und der vertrockneten Bosheit<lb/>
diktirt wurden. Nicht allein die Liebe, die auf<lb/>
dem Schoͤnheitsgefuͤhl beruht, hat ihre Leidenſchaf¬<lb/>
ten, auch die Religion hat die ihrigen und die<lb/>
liebevollſte unter allen, die chriſtliche, hat ſich mit<lb/>
den furchtbarſten geſellt und iſt durch ſie in die<lb/>
blindeſte Befangenheit trauriger Irrthuͤmer geſtuͤrzt.<lb/>
Ja noch mehr, ſelbſt dieſe kalte Pflichtenlehre,<lb/>
welche das moraliſche Geſetz mit eiſerner Ruthe<lb/>
uͤber das Gewiſſen ihrer Unterthanen walten laͤßt,<lb/>ſelbſt dieſe kann ſich leidenſchaftlich aͤußern, und<lb/>
es iſt mir von einem Kantianer erzaͤhlt, der mit<lb/>
einer Art kaltphiloſophiſcher Wuth alle Blumen<lb/>
der Luſt und Poeſie aus ſeinem Herzen riß und<lb/>
nach den Trommel- und Taktſchlaͤgen des Kanti¬<lb/>ſchen Moralprinzips ſo eifrig, wie ein neuange¬<lb/>
worbener Rekrut, auf dem Felde der Sittlichkeit<lb/>ſich einexerzirte. Koͤnnen wir uns nicht an der<lb/>
Stelle des Schillerſchen Beiſpiels ein anderes den¬<lb/>
ken, wo grade das zur hoͤchſten Einſeitigkeit aus¬<lb/>
gebildete ſogenannte Pflichtgefuͤhl in Kolliſion mit<lb/>
den ſchoͤnern Gewalten der Liebe, ſei's nun durch<lb/>
Begehen oder Unterlaſſen empoͤrend und abſcheu¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[159/0173]
Haſſe, dieſe ſtrebt eben ſo oft das Haͤßlichſte, als das
Schoͤnſte an, dieſe, wie ſie die Erzeugerin alles
Großen in der Weltgeſchichte iſt, war auch die
Mutter aller Gewaltthaten und Graͤuel, die nicht
vom kalten Blut und der vertrockneten Bosheit
diktirt wurden. Nicht allein die Liebe, die auf
dem Schoͤnheitsgefuͤhl beruht, hat ihre Leidenſchaf¬
ten, auch die Religion hat die ihrigen und die
liebevollſte unter allen, die chriſtliche, hat ſich mit
den furchtbarſten geſellt und iſt durch ſie in die
blindeſte Befangenheit trauriger Irrthuͤmer geſtuͤrzt.
Ja noch mehr, ſelbſt dieſe kalte Pflichtenlehre,
welche das moraliſche Geſetz mit eiſerner Ruthe
uͤber das Gewiſſen ihrer Unterthanen walten laͤßt,
ſelbſt dieſe kann ſich leidenſchaftlich aͤußern, und
es iſt mir von einem Kantianer erzaͤhlt, der mit
einer Art kaltphiloſophiſcher Wuth alle Blumen
der Luſt und Poeſie aus ſeinem Herzen riß und
nach den Trommel- und Taktſchlaͤgen des Kanti¬
ſchen Moralprinzips ſo eifrig, wie ein neuange¬
worbener Rekrut, auf dem Felde der Sittlichkeit
ſich einexerzirte. Koͤnnen wir uns nicht an der
Stelle des Schillerſchen Beiſpiels ein anderes den¬
ken, wo grade das zur hoͤchſten Einſeitigkeit aus¬
gebildete ſogenannte Pflichtgefuͤhl in Kolliſion mit
den ſchoͤnern Gewalten der Liebe, ſei's nun durch
Begehen oder Unterlaſſen empoͤrend und abſcheu¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/173>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.