Und nun führt Schiller die Liebe an, die er unter allen Neigungen, die von dem Schönheits¬ gefühl abstammen, diejenige nennt, die sich dem moralischen Gefühl, als ein veredelter Affekt vorzüglich empfehle und nachdem er erst eine dich¬ terische Schilderung von ihr gegeben, daß sie gött¬ liche Funken aus gemeinen Seelen schlage, daß sie jede eigennützige Neigung verzehre, durch ihre allmächtige Thatkraft Entschlüsse beschleunige, welche die bloße Pflicht den schwachen Sterblichen um¬ sonst würde abgefordert haben, ruft er auf einmal aus: aber man wage es ja nicht mit diesem Füh¬ rer, wenn man nicht schon vorher durch einen besseren gesichert ist, was beiläufig zu sagen, so viel heißt, als: man liebe nicht ohne Kant's kate¬ gorischen Imperativ.
Das Beispiel, das er nun anführt, mag uns zugleich diensam sein, die Natur des Irrthums über Pflicht und Schönheitssinn aufzudecken und uns auf die richtige Spur zu leiten.
Der Fall soll eintreten, sagt Schiller, daß der geliebte Gegenstand unglücklich ist, daß es von uns abhängt, ihn durch Aufopferung einiger moralischer Bedenklichkeiten glücklich zu machen. Sollen wir ihn leiden lassen, um ein reines Ge¬ wissen zu behalten. Erlaubt dieses der uneigen¬ nützige, großmüthige, seinem Gegenstand ganz da¬
Und nun fuͤhrt Schiller die Liebe an, die er unter allen Neigungen, die von dem Schoͤnheits¬ gefuͤhl abſtammen, diejenige nennt, die ſich dem moraliſchen Gefuͤhl, als ein veredelter Affekt vorzuͤglich empfehle und nachdem er erſt eine dich¬ teriſche Schilderung von ihr gegeben, daß ſie goͤtt¬ liche Funken aus gemeinen Seelen ſchlage, daß ſie jede eigennuͤtzige Neigung verzehre, durch ihre allmaͤchtige Thatkraft Entſchluͤſſe beſchleunige, welche die bloße Pflicht den ſchwachen Sterblichen um¬ ſonſt wuͤrde abgefordert haben, ruft er auf einmal aus: aber man wage es ja nicht mit dieſem Fuͤh¬ rer, wenn man nicht ſchon vorher durch einen beſſeren geſichert iſt, was beilaͤufig zu ſagen, ſo viel heißt, als: man liebe nicht ohne Kant's kate¬ goriſchen Imperativ.
Das Beiſpiel, das er nun anfuͤhrt, mag uns zugleich dienſam ſein, die Natur des Irrthums uͤber Pflicht und Schoͤnheitsſinn aufzudecken und uns auf die richtige Spur zu leiten.
Der Fall ſoll eintreten, ſagt Schiller, daß der geliebte Gegenſtand ungluͤcklich iſt, daß es von uns abhaͤngt, ihn durch Aufopferung einiger moraliſcher Bedenklichkeiten gluͤcklich zu machen. Sollen wir ihn leiden laſſen, um ein reines Ge¬ wiſſen zu behalten. Erlaubt dieſes der uneigen¬ nuͤtzige, großmuͤthige, ſeinem Gegenſtand ganz da¬
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0171"n="157"/><p>Und nun fuͤhrt Schiller die Liebe an, die er<lb/>
unter allen Neigungen, die von dem Schoͤnheits¬<lb/>
gefuͤhl abſtammen, diejenige nennt, die ſich dem<lb/><hirendition="#g">moraliſchen</hi> Gefuͤhl, als ein veredelter Affekt<lb/>
vorzuͤglich empfehle und nachdem er erſt eine dich¬<lb/>
teriſche Schilderung von ihr gegeben, daß ſie goͤtt¬<lb/>
liche Funken aus gemeinen Seelen ſchlage, daß<lb/>ſie jede eigennuͤtzige Neigung verzehre, durch ihre<lb/>
allmaͤchtige Thatkraft Entſchluͤſſe beſchleunige, welche<lb/>
die bloße Pflicht den ſchwachen Sterblichen um¬<lb/>ſonſt wuͤrde abgefordert haben, ruft er auf einmal<lb/>
aus: aber man wage es ja nicht mit dieſem Fuͤh¬<lb/>
rer, wenn man nicht ſchon vorher durch einen<lb/>
beſſeren geſichert iſt, was beilaͤufig zu ſagen, ſo<lb/>
viel heißt, als: man liebe nicht ohne Kant's kate¬<lb/>
goriſchen Imperativ.</p><lb/><p>Das Beiſpiel, das er nun anfuͤhrt, mag uns<lb/>
zugleich dienſam ſein, die Natur des Irrthums<lb/>
uͤber Pflicht und Schoͤnheitsſinn aufzudecken und<lb/>
uns auf die richtige Spur zu leiten.</p><lb/><p>Der Fall ſoll eintreten, ſagt Schiller, daß<lb/>
der geliebte Gegenſtand ungluͤcklich iſt, daß es<lb/>
von uns abhaͤngt, ihn durch Aufopferung einiger<lb/>
moraliſcher Bedenklichkeiten gluͤcklich zu machen.<lb/>
Sollen wir ihn leiden laſſen, um ein reines Ge¬<lb/>
wiſſen zu behalten. Erlaubt dieſes der uneigen¬<lb/>
nuͤtzige, großmuͤthige, ſeinem Gegenſtand ganz da¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[157/0171]
Und nun fuͤhrt Schiller die Liebe an, die er
unter allen Neigungen, die von dem Schoͤnheits¬
gefuͤhl abſtammen, diejenige nennt, die ſich dem
moraliſchen Gefuͤhl, als ein veredelter Affekt
vorzuͤglich empfehle und nachdem er erſt eine dich¬
teriſche Schilderung von ihr gegeben, daß ſie goͤtt¬
liche Funken aus gemeinen Seelen ſchlage, daß
ſie jede eigennuͤtzige Neigung verzehre, durch ihre
allmaͤchtige Thatkraft Entſchluͤſſe beſchleunige, welche
die bloße Pflicht den ſchwachen Sterblichen um¬
ſonſt wuͤrde abgefordert haben, ruft er auf einmal
aus: aber man wage es ja nicht mit dieſem Fuͤh¬
rer, wenn man nicht ſchon vorher durch einen
beſſeren geſichert iſt, was beilaͤufig zu ſagen, ſo
viel heißt, als: man liebe nicht ohne Kant's kate¬
goriſchen Imperativ.
Das Beiſpiel, das er nun anfuͤhrt, mag uns
zugleich dienſam ſein, die Natur des Irrthums
uͤber Pflicht und Schoͤnheitsſinn aufzudecken und
uns auf die richtige Spur zu leiten.
Der Fall ſoll eintreten, ſagt Schiller, daß
der geliebte Gegenſtand ungluͤcklich iſt, daß es
von uns abhaͤngt, ihn durch Aufopferung einiger
moraliſcher Bedenklichkeiten gluͤcklich zu machen.
Sollen wir ihn leiden laſſen, um ein reines Ge¬
wiſſen zu behalten. Erlaubt dieſes der uneigen¬
nuͤtzige, großmuͤthige, ſeinem Gegenſtand ganz da¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/171>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.