Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

mehr von Mittel und Zweck als abgesonderten
Gegenständen sprechen darf, sondern wo Mittel und
Zweck in einander aufgelöst und verflossen sind.
Niemand hat dies scharfsinniger aus einander ge¬
setzt, als Solger im Ervin.

Moral und Aesthetik haben in Kant's Phi¬
losophie nichts mit einander gemein; der Geschmack
am Guten und der gute Geschmack sind sich durch¬
aus fremd; es ist nicht blos gut, das Gute zu
empfinden, in dem Sinn, wie es schön ist, das
Schöne zu empfinden, nein, das Gute ist ein
Muß, eine Pflicht, ein moralisches Gesetz, dem
sich der Wille beugen und unterwerfen muß, ohne
sich an der Güte und Schönheit der That zu er¬
freuen, ja, ein solches Wohlgefallen, das der
That vorhergeht oder sie begleitet, ist verdächtig,
denn Lust und Liebe sind trübe Quellen und nur
die steinernen Tafeln des Gesetzes bewahren die
Welt vor dem Verfall der Sittlichkeit. Denken
Sie nur an eine Menge lyrischer Gedichte und
insbesondere auch an die ästhetischen Abhandlungen
des kantisirenden Schillers. Hier sehen Sie, wie
das freie Spiel der Schönheit dem Ernst der mo¬
ralischen Gesetzgebung gegenüber gestellt, dort, wie
die Lust mit der Pflicht in grausamem Kampfe
dargestellt wird.

So lange noch Möglichkeit vorhanden ist,

mehr von Mittel und Zweck als abgeſonderten
Gegenſtaͤnden ſprechen darf, ſondern wo Mittel und
Zweck in einander aufgeloͤſt und verfloſſen ſind.
Niemand hat dies ſcharfſinniger aus einander ge¬
ſetzt, als Solger im Ervin.

Moral und Aeſthetik haben in Kant's Phi¬
loſophie nichts mit einander gemein; der Geſchmack
am Guten und der gute Geſchmack ſind ſich durch¬
aus fremd; es iſt nicht blos gut, das Gute zu
empfinden, in dem Sinn, wie es ſchoͤn iſt, das
Schoͤne zu empfinden, nein, das Gute iſt ein
Muß, eine Pflicht, ein moraliſches Geſetz, dem
ſich der Wille beugen und unterwerfen muß, ohne
ſich an der Guͤte und Schoͤnheit der That zu er¬
freuen, ja, ein ſolches Wohlgefallen, das der
That vorhergeht oder ſie begleitet, iſt verdaͤchtig,
denn Luſt und Liebe ſind truͤbe Quellen und nur
die ſteinernen Tafeln des Geſetzes bewahren die
Welt vor dem Verfall der Sittlichkeit. Denken
Sie nur an eine Menge lyriſcher Gedichte und
insbeſondere auch an die aͤſthetiſchen Abhandlungen
des kantiſirenden Schillers. Hier ſehen Sie, wie
das freie Spiel der Schoͤnheit dem Ernſt der mo¬
raliſchen Geſetzgebung gegenuͤber geſtellt, dort, wie
die Luſt mit der Pflicht in grauſamem Kampfe
dargeſtellt wird.

So lange noch Moͤglichkeit vorhanden iſt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0169" n="155"/>
mehr von Mittel und Zweck als abge&#x017F;onderten<lb/>
Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden &#x017F;prechen darf, &#x017F;ondern wo Mittel und<lb/>
Zweck in einander aufgelo&#x0364;&#x017F;t und verflo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind.<lb/>
Niemand hat dies &#x017F;charf&#x017F;inniger aus einander ge¬<lb/>
&#x017F;etzt, als Solger im Ervin.</p><lb/>
        <p>Moral und Ae&#x017F;thetik haben in Kant's Phi¬<lb/>
lo&#x017F;ophie nichts mit einander gemein; der Ge&#x017F;chmack<lb/>
am Guten und der gute Ge&#x017F;chmack &#x017F;ind &#x017F;ich durch¬<lb/>
aus fremd; es i&#x017F;t nicht blos gut, das Gute zu<lb/>
empfinden, in dem Sinn, wie es &#x017F;cho&#x0364;n i&#x017F;t, das<lb/>
Scho&#x0364;ne zu empfinden, nein, das Gute i&#x017F;t ein<lb/>
Muß, eine Pflicht, ein morali&#x017F;ches Ge&#x017F;etz, dem<lb/>
&#x017F;ich der Wille beugen und unterwerfen muß, ohne<lb/>
&#x017F;ich an der Gu&#x0364;te und Scho&#x0364;nheit der That zu er¬<lb/>
freuen, ja, ein &#x017F;olches Wohlgefallen, das der<lb/>
That vorhergeht oder &#x017F;ie begleitet, i&#x017F;t verda&#x0364;chtig,<lb/>
denn Lu&#x017F;t und Liebe &#x017F;ind tru&#x0364;be Quellen und nur<lb/>
die &#x017F;teinernen Tafeln des Ge&#x017F;etzes bewahren die<lb/>
Welt vor dem Verfall der Sittlichkeit. Denken<lb/>
Sie nur an eine Menge lyri&#x017F;cher Gedichte und<lb/>
insbe&#x017F;ondere auch an die a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Abhandlungen<lb/>
des kanti&#x017F;irenden Schillers. Hier &#x017F;ehen Sie, wie<lb/>
das freie Spiel der Scho&#x0364;nheit dem Ern&#x017F;t der mo¬<lb/>
rali&#x017F;chen Ge&#x017F;etzgebung gegenu&#x0364;ber ge&#x017F;tellt, dort, wie<lb/>
die Lu&#x017F;t mit der Pflicht in grau&#x017F;amem Kampfe<lb/>
darge&#x017F;tellt wird.</p><lb/>
        <p>So lange noch Mo&#x0364;glichkeit vorhanden i&#x017F;t,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0169] mehr von Mittel und Zweck als abgeſonderten Gegenſtaͤnden ſprechen darf, ſondern wo Mittel und Zweck in einander aufgeloͤſt und verfloſſen ſind. Niemand hat dies ſcharfſinniger aus einander ge¬ ſetzt, als Solger im Ervin. Moral und Aeſthetik haben in Kant's Phi¬ loſophie nichts mit einander gemein; der Geſchmack am Guten und der gute Geſchmack ſind ſich durch¬ aus fremd; es iſt nicht blos gut, das Gute zu empfinden, in dem Sinn, wie es ſchoͤn iſt, das Schoͤne zu empfinden, nein, das Gute iſt ein Muß, eine Pflicht, ein moraliſches Geſetz, dem ſich der Wille beugen und unterwerfen muß, ohne ſich an der Guͤte und Schoͤnheit der That zu er¬ freuen, ja, ein ſolches Wohlgefallen, das der That vorhergeht oder ſie begleitet, iſt verdaͤchtig, denn Luſt und Liebe ſind truͤbe Quellen und nur die ſteinernen Tafeln des Geſetzes bewahren die Welt vor dem Verfall der Sittlichkeit. Denken Sie nur an eine Menge lyriſcher Gedichte und insbeſondere auch an die aͤſthetiſchen Abhandlungen des kantiſirenden Schillers. Hier ſehen Sie, wie das freie Spiel der Schoͤnheit dem Ernſt der mo¬ raliſchen Geſetzgebung gegenuͤber geſtellt, dort, wie die Luſt mit der Pflicht in grauſamem Kampfe dargeſtellt wird. So lange noch Moͤglichkeit vorhanden iſt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/169
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/169>, abgerufen am 24.11.2024.