das heißt, zur neuern Geschmacksverwirrung ge¬ hört, bereicherte und verwirrte auch die Aesthetik. Bouterwek, die Schlegel, gaben den Leuten, die ihren Geschmack bilden wollten, die halbe Welt durchzuschmecken, woraus aber mehr Ekel, als Genuß und Bildung hervorging und wovon all¬ mählig Widerwille gegen alles Aesthetische die na¬ türliche Folge war.
Beantworte ich also die Frage, was uns ge¬ genwärtig als Aesthetik noch bleibt, damit, daß ich sage: die alte Aesthetik für die, die ihrer noch nicht überdrüssig geworden sind, für die Andern aber, das leise ästhetische Gefühl, das im Schooß der Zeit sich regt, das prophetische Gefühl einer neu beginnenden Weltanschauung, das sich von Tage zu Tage bewußter und deutlicher wird, die Einleitung zur künftigen Aesthetik.
Als eine solche, meine Herren, mögen Sie auch die gegenwärtigen Vorlesungen betrachten. Was uns betrifft, so könnte uns schon deswegen die gewöhnliche Aesthetik nicht genießlich sein, da wir im Norden aller künstlerischen Bildung er¬ mangeln, da es am hiesigen Ort weder Gemälde¬ sammlungen, noch Gypsabdrücke, noch Daktilio¬ theken gibt, da ich auch auf keine Anschauungen der Art hinweisen, noch mich auf frühere berufen könnte. Hören Sie also den Plan, den ich in
das heißt, zur neuern Geſchmacksverwirrung ge¬ hoͤrt, bereicherte und verwirrte auch die Aeſthetik. Bouterwek, die Schlegel, gaben den Leuten, die ihren Geſchmack bilden wollten, die halbe Welt durchzuſchmecken, woraus aber mehr Ekel, als Genuß und Bildung hervorging und wovon all¬ maͤhlig Widerwille gegen alles Aeſthetiſche die na¬ tuͤrliche Folge war.
Beantworte ich alſo die Frage, was uns ge¬ genwaͤrtig als Aeſthetik noch bleibt, damit, daß ich ſage: die alte Aeſthetik fuͤr die, die ihrer noch nicht uͤberdruͤſſig geworden ſind, fuͤr die Andern aber, das leiſe aͤſthetiſche Gefuͤhl, das im Schooß der Zeit ſich regt, das prophetiſche Gefuͤhl einer neu beginnenden Weltanſchauung, das ſich von Tage zu Tage bewußter und deutlicher wird, die Einleitung zur kuͤnftigen Aeſthetik.
Als eine ſolche, meine Herren, moͤgen Sie auch die gegenwaͤrtigen Vorleſungen betrachten. Was uns betrifft, ſo koͤnnte uns ſchon deswegen die gewoͤhnliche Aeſthetik nicht genießlich ſein, da wir im Norden aller kuͤnſtleriſchen Bildung er¬ mangeln, da es am hieſigen Ort weder Gemaͤlde¬ ſammlungen, noch Gypsabdruͤcke, noch Daktilio¬ theken gibt, da ich auch auf keine Anſchauungen der Art hinweiſen, noch mich auf fruͤhere berufen koͤnnte. Hoͤren Sie alſo den Plan, den ich in
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das heißt, zur neuern Geſchmacksverwirrung ge¬
hoͤrt, bereicherte und verwirrte auch die Aeſthetik.
Bouterwek, die Schlegel, gaben den Leuten, die
ihren Geſchmack bilden wollten, die halbe Welt
durchzuſchmecken, woraus aber mehr Ekel, als
Genuß und Bildung hervorging und wovon all¬
maͤhlig Widerwille gegen alles Aeſthetiſche die na¬
tuͤrliche Folge war.
Beantworte ich alſo die Frage, was uns ge¬
genwaͤrtig als Aeſthetik noch bleibt, damit, daß
ich ſage: die alte Aeſthetik fuͤr die, die ihrer noch
nicht uͤberdruͤſſig geworden ſind, fuͤr die Andern
aber, das leiſe aͤſthetiſche Gefuͤhl, das im Schooß
der Zeit ſich regt, das prophetiſche Gefuͤhl einer
neu beginnenden Weltanſchauung, das ſich von
Tage zu Tage bewußter und deutlicher wird, die
Einleitung zur kuͤnftigen Aeſthetik.
Als eine ſolche, meine Herren, moͤgen Sie
auch die gegenwaͤrtigen Vorleſungen betrachten.
Was uns betrifft, ſo koͤnnte uns ſchon deswegen
die gewoͤhnliche Aeſthetik nicht genießlich ſein, da
wir im Norden aller kuͤnſtleriſchen Bildung er¬
mangeln, da es am hieſigen Ort weder Gemaͤlde¬
ſammlungen, noch Gypsabdruͤcke, noch Daktilio¬
theken gibt, da ich auch auf keine Anſchauungen
der Art hinweiſen, noch mich auf fruͤhere berufen
koͤnnte. Hoͤren Sie alſo den Plan, den ich in
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/152>, abgerufen am 22.11.2024.
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