was gefällt, ist der Sieg des Unsichtbaren über das Sichtbare, des Himmlischen über das Irdi¬ sche, die Absorbtion des Sinnlichen durch das Gei¬ stige, oder, wie Jeder von diesen Supponirten das Eigenthümlichste seiner ästhetischen Grundanschau¬ ung aussprechen mochte.
Nach diesem denke ich mir den Aesthetiker, wie er den Begriff der Kunst entwickelt und zwar nach dem weitesten Umfang, in dem nicht nur die Poesie und die bekannten Künste eingehen, son¬ dern auch und vorzüglich, die größte und erha¬ benste Kunst, die Kunst, sein innres und äußeres Leben als Einzelner, als Glied der Familie, als Glied des Staats, als Glied der Menschheit zu gestalten, die Kunst also, die sich unser Sittliches und Sinnliches selbst zum Stoffe auswählt, um an ihm die Schönheit zu bethätigen. Hierauf hat er auf eine Reihe von Kunstlehren sich einzu¬ lassen und in jeder besonderen darauf sein Haupt¬ augenmerk zu richten, daß das ursprüngliche Ge¬ setz, die Grundanschauung seiner Zeit und seiner Aesthetik durch nichts Fremdartiges verdunkelt werde, sondern möglichst klar und individuell heraustrete und seine Rechtfertigung in sich selber und im Ganzen finde. Da aber der Aesthetiker nicht eigentlich Gesetze gibt, sondern nur zurückgibt, sie nur entdeckt und nicht erfindet, kurz, da sie zu
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was gefaͤllt, iſt der Sieg des Unſichtbaren uͤber das Sichtbare, des Himmliſchen uͤber das Irdi¬ ſche, die Abſorbtion des Sinnlichen durch das Gei¬ ſtige, oder, wie Jeder von dieſen Supponirten das Eigenthuͤmlichſte ſeiner aͤſthetiſchen Grundanſchau¬ ung ausſprechen mochte.
Nach dieſem denke ich mir den Aeſthetiker, wie er den Begriff der Kunſt entwickelt und zwar nach dem weiteſten Umfang, in dem nicht nur die Poeſie und die bekannten Kuͤnſte eingehen, ſon¬ dern auch und vorzuͤglich, die groͤßte und erha¬ benſte Kunſt, die Kunſt, ſein innres und aͤußeres Leben als Einzelner, als Glied der Familie, als Glied des Staats, als Glied der Menſchheit zu geſtalten, die Kunſt alſo, die ſich unſer Sittliches und Sinnliches ſelbſt zum Stoffe auswaͤhlt, um an ihm die Schoͤnheit zu bethaͤtigen. Hierauf hat er auf eine Reihe von Kunſtlehren ſich einzu¬ laſſen und in jeder beſonderen darauf ſein Haupt¬ augenmerk zu richten, daß das urſpruͤngliche Ge¬ ſetz, die Grundanſchauung ſeiner Zeit und ſeiner Aeſthetik durch nichts Fremdartiges verdunkelt werde, ſondern moͤglichſt klar und individuell heraustrete und ſeine Rechtfertigung in ſich ſelber und im Ganzen finde. Da aber der Aeſthetiker nicht eigentlich Geſetze gibt, ſondern nur zuruͤckgibt, ſie nur entdeckt und nicht erfindet, kurz, da ſie zu
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was gefaͤllt, iſt der Sieg des Unſichtbaren uͤber
das Sichtbare, des Himmliſchen uͤber das Irdi¬
ſche, die Abſorbtion des Sinnlichen durch das Gei¬
ſtige, oder, wie Jeder von dieſen Supponirten das
Eigenthuͤmlichſte ſeiner aͤſthetiſchen Grundanſchau¬
ung ausſprechen mochte.
Nach dieſem denke ich mir den Aeſthetiker,
wie er den Begriff der Kunſt entwickelt und zwar
nach dem weiteſten Umfang, in dem nicht nur die
Poeſie und die bekannten Kuͤnſte eingehen, ſon¬
dern auch und vorzuͤglich, die groͤßte und erha¬
benſte Kunſt, die Kunſt, ſein innres und aͤußeres
Leben als Einzelner, als Glied der Familie, als
Glied des Staats, als Glied der Menſchheit zu
geſtalten, die Kunſt alſo, die ſich unſer Sittliches
und Sinnliches ſelbſt zum Stoffe auswaͤhlt, um
an ihm die Schoͤnheit zu bethaͤtigen. Hierauf
hat er auf eine Reihe von Kunſtlehren ſich einzu¬
laſſen und in jeder beſonderen darauf ſein Haupt¬
augenmerk zu richten, daß das urſpruͤngliche Ge¬
ſetz, die Grundanſchauung ſeiner Zeit und ſeiner
Aeſthetik durch nichts Fremdartiges verdunkelt werde,
ſondern moͤglichſt klar und individuell heraustrete
und ſeine Rechtfertigung in ſich ſelber und im
Ganzen finde. Da aber der Aeſthetiker nicht
eigentlich Geſetze gibt, ſondern nur zuruͤckgibt, ſie
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/145>, abgerufen am 24.11.2024.
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