Gedankens, der ihn begeistert, vor Augen hat. Allein schon hierin müssen wir auf der Hut sein, das indische Gesetz nicht europäisch auszulegen und darin etwa Kant's kategorischen Imperativ zu sehen, nach dem man die Pflicht nur um ihrer selbst willen thun soll; selbst Schleiermacher's in den Monologen ausgesprochenes Prinzip, das fast wörtlich so lautet, wie das indische in der Bagavadgita, stimmt dem Sinne nach, wenigstens nicht in allen indischen Konsequenzen damit völlig überein.
Denn, betrachten wir nun, wie das indische Leben, ihre Philosophie und Poesie sich gestaltet hat, so sehen wir so recht deutlich, wie tiefgreifend der ästhetische Grundsatz durch alles dieses hindurch geht und dem ganzen Inderthum Farbe und Ge¬ präge gibt. Die Negation der That ist nichts anders, als die indische Geschichte, Kunst und Poesie selber.
Das Handeln wird überall vom Denken, Träumen, Phantasiren absorbirt, selbst dieses Den¬ ken und Phantasiren zieht sich immer weiter zu¬ rück von der Welt der Sinne, es versenkt sich in sich selbst, es läßt im indischen Philosophen und Mystiker die ganze Welt hinter sich zurück, um als einsames Ich über seinem Ich zu brüten, und das goldne Ei der indischen Weltphilosophie
Gedankens, der ihn begeiſtert, vor Augen hat. Allein ſchon hierin muͤſſen wir auf der Hut ſein, das indiſche Geſetz nicht europaͤiſch auszulegen und darin etwa Kant's kategoriſchen Imperativ zu ſehen, nach dem man die Pflicht nur um ihrer ſelbſt willen thun ſoll; ſelbſt Schleiermacher's in den Monologen ausgeſprochenes Prinzip, das faſt woͤrtlich ſo lautet, wie das indiſche in der Bagavadgita, ſtimmt dem Sinne nach, wenigſtens nicht in allen indiſchen Konſequenzen damit voͤllig uͤberein.
Denn, betrachten wir nun, wie das indiſche Leben, ihre Philoſophie und Poeſie ſich geſtaltet hat, ſo ſehen wir ſo recht deutlich, wie tiefgreifend der aͤſthetiſche Grundſatz durch alles dieſes hindurch geht und dem ganzen Inderthum Farbe und Ge¬ praͤge gibt. Die Negation der That iſt nichts anders, als die indiſche Geſchichte, Kunſt und Poeſie ſelber.
Das Handeln wird uͤberall vom Denken, Traͤumen, Phantaſiren abſorbirt, ſelbſt dieſes Den¬ ken und Phantaſiren zieht ſich immer weiter zu¬ ruͤck von der Welt der Sinne, es verſenkt ſich in ſich ſelbſt, es laͤßt im indiſchen Philoſophen und Myſtiker die ganze Welt hinter ſich zuruͤck, um als einſames Ich uͤber ſeinem Ich zu bruͤten, und das goldne Ei der indiſchen Weltphiloſophie
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Gedankens, der ihn begeiſtert, vor Augen hat.
Allein ſchon hierin muͤſſen wir auf der Hut ſein,
das indiſche Geſetz nicht europaͤiſch auszulegen
und darin etwa Kant's kategoriſchen Imperativ zu
ſehen, nach dem man die Pflicht nur um ihrer
ſelbſt willen thun ſoll; ſelbſt Schleiermacher's in
den Monologen ausgeſprochenes Prinzip, das
faſt woͤrtlich ſo lautet, wie das indiſche in der
Bagavadgita, ſtimmt dem Sinne nach, wenigſtens
nicht in allen indiſchen Konſequenzen damit voͤllig
uͤberein.
Denn, betrachten wir nun, wie das indiſche
Leben, ihre Philoſophie und Poeſie ſich geſtaltet
hat, ſo ſehen wir ſo recht deutlich, wie tiefgreifend
der aͤſthetiſche Grundſatz durch alles dieſes hindurch
geht und dem ganzen Inderthum Farbe und Ge¬
praͤge gibt. Die Negation der That iſt nichts
anders, als die indiſche Geſchichte, Kunſt und
Poeſie ſelber.
Das Handeln wird uͤberall vom Denken,
Traͤumen, Phantaſiren abſorbirt, ſelbſt dieſes Den¬
ken und Phantaſiren zieht ſich immer weiter zu¬
ruͤck von der Welt der Sinne, es verſenkt ſich
in ſich ſelbſt, es laͤßt im indiſchen Philoſophen
und Myſtiker die ganze Welt hinter ſich zuruͤck,
um als einſames Ich uͤber ſeinem Ich zu bruͤten,
und das goldne Ei der indiſchen Weltphiloſophie
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/105>, abgerufen am 24.11.2024.
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