Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.48. Der wagen hielt. Der Zwerg mit seinem lilienstabBerührte sie; straks fiel die rehhaut ab: Die schöne Rezia, auf ihres Retters bitten, Steigt in den wagen ein, und sezt errötend mitten Sich zwischen ihn und den, dem sich ihr herz ergab, Wiewohl noch lieb und schaam in ihrem busen stritten. Der wagen fuhr nun scharf den berg hinan, Und stieß vor einen stein, und sie erwachte dran. 49. Entflogen war ihr traum, doch nicht aus ihrem herzenDer Jüngling mit dem langen gelben haar. Stets schwebt sein bild, die quelle süßer schmerzen, Bey tag und nacht ihr vor, und seit der stunde war Der Drusenfürst ihr völlig unerträglich. Sie konnt ihn ohne zorn nicht hören und nicht sehn. Man gab sich alle müh die ursach auszuspähn; Umsonst, sie blieb geheim und stumm und unbeweglich. 50. Nur ihre Amm' allein, von der ich, wie gesagt,Die mutter bin, wußt' endlich weg zu finden, Das seltsame geheimniß, das sie nagt, Aus ihrer brust herauszuwinden. Allein ihr wißt, ob mit vernünftgen gründen Ein schaden heilbar ist, der heimlich uns behagt. Die arme Dame war sich selber gram, und wollte Gleichwoll daß Fatme stets dem übel schmeicheln sollte. 51. In-
48. Der wagen hielt. Der Zwerg mit ſeinem lilienſtabBeruͤhrte ſie; ſtraks fiel die rehhaut ab: Die ſchoͤne Rezia, auf ihres Retters bitten, Steigt in den wagen ein, und ſezt erroͤtend mitten Sich zwiſchen ihn und den, dem ſich ihr herz ergab, Wiewohl noch lieb und ſchaam in ihrem buſen ſtritten. Der wagen fuhr nun ſcharf den berg hinan, Und ſtieß vor einen ſtein, und ſie erwachte dran. 49. Entflogen war ihr traum, doch nicht aus ihrem herzenDer Juͤngling mit dem langen gelben haar. Stets ſchwebt ſein bild, die quelle ſuͤßer ſchmerzen, Bey tag und nacht ihr vor, und ſeit der ſtunde war Der Druſenfuͤrſt ihr voͤllig unertraͤglich. Sie konnt ihn ohne zorn nicht hoͤren und nicht ſehn. Man gab ſich alle muͤh die urſach auszuſpaͤhn; Umſonſt, ſie blieb geheim und ſtumm und unbeweglich. 50. Nur ihre Amm' allein, von der ich, wie geſagt,Die mutter bin, wußt' endlich weg zu finden, Das ſeltſame geheimniß, das ſie nagt, Aus ihrer bruſt herauszuwinden. Allein ihr wißt, ob mit vernuͤnftgen gruͤnden Ein ſchaden heilbar iſt, der heimlich uns behagt. Die arme Dame war ſich ſelber gram, und wollte Gleichwoll daß Fatme ſtets dem uͤbel ſchmeicheln ſollte. 51. In-
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48.
Der wagen hielt. Der Zwerg mit ſeinem lilienſtab
Beruͤhrte ſie; ſtraks fiel die rehhaut ab:
Die ſchoͤne Rezia, auf ihres Retters bitten,
Steigt in den wagen ein, und ſezt erroͤtend mitten
Sich zwiſchen ihn und den, dem ſich ihr herz ergab,
Wiewohl noch lieb und ſchaam in ihrem buſen ſtritten.
Der wagen fuhr nun ſcharf den berg hinan,
Und ſtieß vor einen ſtein, und ſie erwachte dran.
49.
Entflogen war ihr traum, doch nicht aus ihrem herzen
Der Juͤngling mit dem langen gelben haar.
Stets ſchwebt ſein bild, die quelle ſuͤßer ſchmerzen,
Bey tag und nacht ihr vor, und ſeit der ſtunde war
Der Druſenfuͤrſt ihr voͤllig unertraͤglich.
Sie konnt ihn ohne zorn nicht hoͤren und nicht ſehn.
Man gab ſich alle muͤh die urſach auszuſpaͤhn;
Umſonſt, ſie blieb geheim und ſtumm und unbeweglich.
50.
Nur ihre Amm' allein, von der ich, wie geſagt,
Die mutter bin, wußt' endlich weg zu finden,
Das ſeltſame geheimniß, das ſie nagt,
Aus ihrer bruſt herauszuwinden.
Allein ihr wißt, ob mit vernuͤnftgen gruͤnden
Ein ſchaden heilbar iſt, der heimlich uns behagt.
Die arme Dame war ſich ſelber gram, und wollte
Gleichwoll daß Fatme ſtets dem uͤbel ſchmeicheln ſollte.
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Zitationshilfe: | Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/92>, abgerufen am 31.07.2024. |