Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.30. Das abentheur war freylich ärgerlich;Allein was half's, dem lecker nachzulaufen? Zum glücke war ein ding, das einem maulthier glich, Im nächsten dorf um wenig geld zu kaufen. Das arme thier, durchsichtiger wie glas, Schien kaum belebt genug, um Bagdad zu erreichen; Doch däuchts dem Alten noch auf dessen rükgrat daß, Als seinem Herrn zu fuße nachzukeuchen. 31. So sezten beyde nun nach dem gewünschten PortDen ritterlichen zug so gut sie konnten fort. Der Sonnewagen schwebt schon an des himmels gränzen, Auf einmal sehen sie, von fern im weiten thal, Gekrönt mit thürmen ohne zahl, Der städte Königin im abendschimmer glänzen, Und durch ein Paradies von ewig frischem grün, Den stolzen Eufrat hier, und dort den Tigris ziehn. 32. Ein wundersam gemisch von schrecken und entzücken,Geheime ahnungen, und fremde schauer drücken Des Ritters herz, da ihm der schauplatz auf sich thut, Wo, mehr sein wort und angestammter mut Als Karls gebot, ihn treibt ein wagstük zu bestehen, Wovon kaum möglich war ein besser ziel zu sehen Als gähen tod. Gewiß war immer die gefahr, Doch schien sie nie so groß als da sie nahe war. 33. Er
30. Das abentheur war freylich aͤrgerlich;Allein was half's, dem lecker nachzulaufen? Zum gluͤcke war ein ding, das einem maulthier glich, Im naͤchſten dorf um wenig geld zu kaufen. Das arme thier, durchſichtiger wie glas, Schien kaum belebt genug, um Bagdad zu erreichen; Doch daͤuchts dem Alten noch auf deſſen ruͤkgrat daß, Als ſeinem Herrn zu fuße nachzukeuchen. 31. So ſezten beyde nun nach dem gewuͤnſchten PortDen ritterlichen zug ſo gut ſie konnten fort. Der Sonnewagen ſchwebt ſchon an des himmels graͤnzen, Auf einmal ſehen ſie, von fern im weiten thal, Gekroͤnt mit thuͤrmen ohne zahl, Der ſtaͤdte Koͤnigin im abendſchimmer glaͤnzen, Und durch ein Paradies von ewig friſchem gruͤn, Den ſtolzen Eufrat hier, und dort den Tigris ziehn. 32. Ein wunderſam gemiſch von ſchrecken und entzuͤcken,Geheime ahnungen, und fremde ſchauer druͤcken Des Ritters herz, da ihm der ſchauplatz auf ſich thut, Wo, mehr ſein wort und angeſtammter mut Als Karls gebot, ihn treibt ein wagſtuͤk zu beſtehen, Wovon kaum moͤglich war ein beſſer ziel zu ſehen Als gaͤhen tod. Gewiß war immer die gefahr, Doch ſchien ſie nie ſo groß als da ſie nahe war. 33. Er
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30.
Das abentheur war freylich aͤrgerlich;
Allein was half's, dem lecker nachzulaufen?
Zum gluͤcke war ein ding, das einem maulthier glich,
Im naͤchſten dorf um wenig geld zu kaufen.
Das arme thier, durchſichtiger wie glas,
Schien kaum belebt genug, um Bagdad zu erreichen;
Doch daͤuchts dem Alten noch auf deſſen ruͤkgrat daß,
Als ſeinem Herrn zu fuße nachzukeuchen.
31.
So ſezten beyde nun nach dem gewuͤnſchten Port
Den ritterlichen zug ſo gut ſie konnten fort.
Der Sonnewagen ſchwebt ſchon an des himmels graͤnzen,
Auf einmal ſehen ſie, von fern im weiten thal,
Gekroͤnt mit thuͤrmen ohne zahl,
Der ſtaͤdte Koͤnigin im abendſchimmer glaͤnzen,
Und durch ein Paradies von ewig friſchem gruͤn,
Den ſtolzen Eufrat hier, und dort den Tigris ziehn.
32.
Ein wunderſam gemiſch von ſchrecken und entzuͤcken,
Geheime ahnungen, und fremde ſchauer druͤcken
Des Ritters herz, da ihm der ſchauplatz auf ſich thut,
Wo, mehr ſein wort und angeſtammter mut
Als Karls gebot, ihn treibt ein wagſtuͤk zu beſtehen,
Wovon kaum moͤglich war ein beſſer ziel zu ſehen
Als gaͤhen tod. Gewiß war immer die gefahr,
Doch ſchien ſie nie ſo groß als da ſie nahe war.
33. Er
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Zitationshilfe: | Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/86>, abgerufen am 30.07.2024. |