Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.18. Kaum ist der Held hineingegangen,Indessen Scherasmin im hof die pferde hält, So eilt die schöne magd den Ritter zu empfangen. Mit schwarzen haaren, die ihr den rücken niederhangen, Im langen weißen rock, der bis zur erde fällt, Und den am leichtbedeckten busen Ein goldnes band zusammenhält, Schien sie wie ein modell zu Grazien oder Musen. 19. Was für ein engel (spricht, indem sie seine handNur kaum berührt, das Mädchen süßerröthend) Was für ein engel, Herr, hat euch mir zugesandt? Ich stund am fenster just, zur Heil'gen Jungfrau betend, Als ihr erschient. Gewiß hat sie's gethan, Und als von ihr geschickt nimmt Angela euch an; Von ihr, die schon so oft sich meiner angenommen, Zu hülfe mir gesandt, seyd tausendmal willkommen! 20. Doch laßt uns nicht verziehn; denn jeder augenblickIst mir verhaßt, den wir in diesem kerker weilen. Ich komme nicht, spricht Hüon, so zu eilen: Wo ist der Ries'? -- O der, versezt sie, liegt, zum glück, In tiefem schlaf; und wohl, daß ihr ihn so getroffen; Denn, ist er wieder auferweckt, Vergebens würdet ihr ihm anzusiegen hoffen, Solang der zauberring an seinem finger steckt. 21. Je- D 3
18. Kaum iſt der Held hineingegangen,Indeſſen Scherasmin im hof die pferde haͤlt, So eilt die ſchoͤne magd den Ritter zu empfangen. Mit ſchwarzen haaren, die ihr den ruͤcken niederhangen, Im langen weißen rock, der bis zur erde faͤllt, Und den am leichtbedeckten buſen Ein goldnes band zuſammenhaͤlt, Schien ſie wie ein modell zu Grazien oder Muſen. 19. Was fuͤr ein engel (ſpricht, indem ſie ſeine handNur kaum beruͤhrt, das Maͤdchen ſuͤßerroͤthend) Was fuͤr ein engel, Herr, hat euch mir zugeſandt? Ich ſtund am fenſter juſt, zur Heil'gen Jungfrau betend, Als ihr erſchient. Gewiß hat ſie's gethan, Und als von ihr geſchickt nimmt Angela euch an; Von ihr, die ſchon ſo oft ſich meiner angenommen, Zu huͤlfe mir geſandt, ſeyd tauſendmal willkommen! 20. Doch laßt uns nicht verziehn; denn jeder augenblickIſt mir verhaßt, den wir in dieſem kerker weilen. Ich komme nicht, ſpricht Huͤon, ſo zu eilen: Wo iſt der Rieſ'? — O der, verſezt ſie, liegt, zum gluͤck, In tiefem ſchlaf; und wohl, daß ihr ihn ſo getroffen; Denn, iſt er wieder auferweckt, Vergebens wuͤrdet ihr ihm anzuſiegen hoffen, Solang der zauberring an ſeinem finger ſteckt. 21. Je- D 3
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18.
Kaum iſt der Held hineingegangen,
Indeſſen Scherasmin im hof die pferde haͤlt,
So eilt die ſchoͤne magd den Ritter zu empfangen.
Mit ſchwarzen haaren, die ihr den ruͤcken niederhangen,
Im langen weißen rock, der bis zur erde faͤllt,
Und den am leichtbedeckten buſen
Ein goldnes band zuſammenhaͤlt,
Schien ſie wie ein modell zu Grazien oder Muſen.
19.
Was fuͤr ein engel (ſpricht, indem ſie ſeine hand
Nur kaum beruͤhrt, das Maͤdchen ſuͤßerroͤthend)
Was fuͤr ein engel, Herr, hat euch mir zugeſandt?
Ich ſtund am fenſter juſt, zur Heil'gen Jungfrau betend,
Als ihr erſchient. Gewiß hat ſie's gethan,
Und als von ihr geſchickt nimmt Angela euch an;
Von ihr, die ſchon ſo oft ſich meiner angenommen,
Zu huͤlfe mir geſandt, ſeyd tauſendmal willkommen!
20.
Doch laßt uns nicht verziehn; denn jeder augenblick
Iſt mir verhaßt, den wir in dieſem kerker weilen.
Ich komme nicht, ſpricht Huͤon, ſo zu eilen:
Wo iſt der Rieſ'? — O der, verſezt ſie, liegt, zum gluͤck,
In tiefem ſchlaf; und wohl, daß ihr ihn ſo getroffen;
Denn, iſt er wieder auferweckt,
Vergebens wuͤrdet ihr ihm anzuſiegen hoffen,
Solang der zauberring an ſeinem finger ſteckt.
21. Je-
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Zitationshilfe: | Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/59>, abgerufen am 28.07.2024. |