Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.62. Süß war die Melodie, bedeutungsvoll der Sinn:Es war das lied von einer Schäferin, Die lange schon ein feu'r, das keine rast ihr gönnet, Verbarg -- doch nun dem allgewalt'gen drang Nicht länger widersteht, und dem, der sie bezwang, Erröthend ihre pein und seinen sieg bekennet. Das lied stand zwar im buch; allein, so wie sie sang, Singt keine, die nicht selbst in gleichen flammen brennet. 63. Hier weicht die stolze Kunst der siegenden Natur;So lieblich girrt der Venus Taube nur! Die sprache des gefühls, so mächtig ausgesprochen, Der schönen töne klarer fluß Durch kleine seufzerchen so häufig unterbrochen, Der wangen höhers roth, des busens schnellers pochen, Kurz, Alles ist vollströmender erguß Der leidenschaften, die in ihrem Innern kochen. 64. Im übermaas von dem was sie empfandFällt ihr zulezt die Laute aus der hand. Die Arme öffnen sich -- Doch, Hüon, dem es graute, Greift eilends noch im fallen nach der Laute Wie ein Begeisterter, und stimmt mit mächt'gem ton Die antwort an; gesteht, daß eine Andre schon Sein herz besizt, und daß im Himmel und auf Erden Ihn nichts bewegen kann ihr ungetreu zu werden. 65. Fest S 4
62. Suͤß war die Melodie, bedeutungsvoll der Sinn:Es war das lied von einer Schaͤferin, Die lange ſchon ein feu'r, das keine raſt ihr goͤnnet, Verbarg — doch nun dem allgewalt'gen drang Nicht laͤnger widerſteht, und dem, der ſie bezwang, Erroͤthend ihre pein und ſeinen ſieg bekennet. Das lied ſtand zwar im buch; allein, ſo wie ſie ſang, Singt keine, die nicht ſelbſt in gleichen flammen brennet. 63. Hier weicht die ſtolze Kunſt der ſiegenden Natur;So lieblich girrt der Venus Taube nur! Die ſprache des gefuͤhls, ſo maͤchtig ausgeſprochen, Der ſchoͤnen toͤne klarer fluß Durch kleine ſeufzerchen ſo haͤufig unterbrochen, Der wangen hoͤhers roth, des buſens ſchnellers pochen, Kurz, Alles iſt vollſtroͤmender erguß Der leidenſchaften, die in ihrem Innern kochen. 64. Im uͤbermaas von dem was ſie empfandFaͤllt ihr zulezt die Laute aus der hand. Die Arme oͤffnen ſich — Doch, Huͤon, dem es graute, Greift eilends noch im fallen nach der Laute Wie ein Begeiſterter, und ſtimmt mit maͤcht'gem ton Die antwort an; geſteht, daß eine Andre ſchon Sein herz beſizt, und daß im Himmel und auf Erden Ihn nichts bewegen kann ihr ungetreu zu werden. 65. Feſt S 4
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62.
Suͤß war die Melodie, bedeutungsvoll der Sinn:
Es war das lied von einer Schaͤferin,
Die lange ſchon ein feu'r, das keine raſt ihr goͤnnet,
Verbarg — doch nun dem allgewalt'gen drang
Nicht laͤnger widerſteht, und dem, der ſie bezwang,
Erroͤthend ihre pein und ſeinen ſieg bekennet.
Das lied ſtand zwar im buch; allein, ſo wie ſie ſang,
Singt keine, die nicht ſelbſt in gleichen flammen brennet.
63.
Hier weicht die ſtolze Kunſt der ſiegenden Natur;
So lieblich girrt der Venus Taube nur!
Die ſprache des gefuͤhls, ſo maͤchtig ausgeſprochen,
Der ſchoͤnen toͤne klarer fluß
Durch kleine ſeufzerchen ſo haͤufig unterbrochen,
Der wangen hoͤhers roth, des buſens ſchnellers pochen,
Kurz, Alles iſt vollſtroͤmender erguß
Der leidenſchaften, die in ihrem Innern kochen.
64.
Im uͤbermaas von dem was ſie empfand
Faͤllt ihr zulezt die Laute aus der hand.
Die Arme oͤffnen ſich — Doch, Huͤon, dem es graute,
Greift eilends noch im fallen nach der Laute
Wie ein Begeiſterter, und ſtimmt mit maͤcht'gem ton
Die antwort an; geſteht, daß eine Andre ſchon
Sein herz beſizt, und daß im Himmel und auf Erden
Ihn nichts bewegen kann ihr ungetreu zu werden.
65. Feſt
S 4
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