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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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20.
Unmuthig kehrt sie um und mit sich selbst in zwist,
Beißt sich die lippen, seufzt, spricht etwas und vergißt
Beym dritten wort schon was sie sagen wollte,
Zürnt, daß Nadine nicht die rechte antwort giebt,
Und nicht erräth, was sie errathen sollte;
Die schöne Dame ist, mit Einem wort -- verliebt!
Sogar ihr blumenstrauß erfährts -- wird, ohn' ihr wissen,
Zerknikt, und, blat vor blat, verzettelt und zerrissen.
21.
Drey Tage hatte nun das Uebel schon gewährt,
Und war, durch zwang und widerstand genährt,
Mit jeder nacht, mit jedem morgen schlimmer
Geworden. Denn, sobald der abendschimmer
Die bunten fenster mahlt, verläßt sie ihre zimmer,
Und streicht, nach Nymfen art, mit halbentbundnem haar,
Durch alle gartengäng' und felder, wo nur immer
Den Neffen Ibrahims zu finden möglich war.
22.
Allein, vergebens lauscht' ihr blik, vergebens pochte
Ihr busen ungeduld: der schöne Gärtner ließ
Sich nicht mehr sehn, was auch die ursach heissen mochte.
Unglükliche Almansaris!
Dein stolz erliegt. Wozu dich selbst noch länger quälen,
(Denkt sie) und was dich nagt Nadinen, die gewiß
Es lange merkt, aus eigensinn verheelen?
Verheimlichung heilt keinen schlangenbiß.
23. Sie
R 5
20.
Unmuthig kehrt ſie um und mit ſich ſelbſt in zwiſt,
Beißt ſich die lippen, ſeufzt, ſpricht etwas und vergißt
Beym dritten wort ſchon was ſie ſagen wollte,
Zuͤrnt, daß Nadine nicht die rechte antwort giebt,
Und nicht erraͤth, was ſie errathen ſollte;
Die ſchoͤne Dame iſt, mit Einem wort — verliebt!
Sogar ihr blumenſtrauß erfaͤhrts — wird, ohn' ihr wiſſen,
Zerknikt, und, blat vor blat, verzettelt und zerriſſen.
21.
Drey Tage hatte nun das Uebel ſchon gewaͤhrt,
Und war, durch zwang und widerſtand genaͤhrt,
Mit jeder nacht, mit jedem morgen ſchlimmer
Geworden. Denn, ſobald der abendſchimmer
Die bunten fenſter mahlt, verlaͤßt ſie ihre zimmer,
Und ſtreicht, nach Nymfen art, mit halbentbundnem haar,
Durch alle gartengaͤng' und felder, wo nur immer
Den Neffen Ibrahims zu finden moͤglich war.
22.
Allein, vergebens lauſcht' ihr blik, vergebens pochte
Ihr buſen ungeduld: der ſchoͤne Gaͤrtner ließ
Sich nicht mehr ſehn, was auch die urſach heiſſen mochte.
Ungluͤkliche Almanſaris!
Dein ſtolz erliegt. Wozu dich ſelbſt noch laͤnger quaͤlen,
(Denkt ſie) und was dich nagt Nadinen, die gewiß
Es lange merkt, aus eigenſinn verheelen?
Verheimlichung heilt keinen ſchlangenbiß.
23. Sie
R 5
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[0271] 20. Unmuthig kehrt ſie um und mit ſich ſelbſt in zwiſt, Beißt ſich die lippen, ſeufzt, ſpricht etwas und vergißt Beym dritten wort ſchon was ſie ſagen wollte, Zuͤrnt, daß Nadine nicht die rechte antwort giebt, Und nicht erraͤth, was ſie errathen ſollte; Die ſchoͤne Dame iſt, mit Einem wort — verliebt! Sogar ihr blumenſtrauß erfaͤhrts — wird, ohn' ihr wiſſen, Zerknikt, und, blat vor blat, verzettelt und zerriſſen. 21. Drey Tage hatte nun das Uebel ſchon gewaͤhrt, Und war, durch zwang und widerſtand genaͤhrt, Mit jeder nacht, mit jedem morgen ſchlimmer Geworden. Denn, ſobald der abendſchimmer Die bunten fenſter mahlt, verlaͤßt ſie ihre zimmer, Und ſtreicht, nach Nymfen art, mit halbentbundnem haar, Durch alle gartengaͤng' und felder, wo nur immer Den Neffen Ibrahims zu finden moͤglich war. 22. Allein, vergebens lauſcht' ihr blik, vergebens pochte Ihr buſen ungeduld: der ſchoͤne Gaͤrtner ließ Sich nicht mehr ſehn, was auch die urſach heiſſen mochte. Ungluͤkliche Almanſaris! Dein ſtolz erliegt. Wozu dich ſelbſt noch laͤnger quaͤlen, (Denkt ſie) und was dich nagt Nadinen, die gewiß Es lange merkt, aus eigenſinn verheelen? Verheimlichung heilt keinen ſchlangenbiß. 23. Sie R 5

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/271>, abgerufen am 24.11.2024.