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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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66.
Sie dauren fort, auch wenn die augen sanftbetäubt
Entschlummert sind. Wenn dann die morgensonne
Den schauplatz der Natur ihm wieder aufschließt, bleibt
Die vor'ge stimmung noch. Ein glanz von Himmelswonne
Verkläret fels und hayn, durchschimmert und erfüllt
Sie durch und durch; und überall, in allen
Geschöpfen, sieht er dann des Unerschaffnen Bild,
Als wie in tropfen thau's das bild der sonne, wallen.
67.
So fließt zulezt unmerklich Erd und Himmel
In seinem geist in Eins. Sein Innerstes erwacht.
In dieser tiefen ferne vom getümmel
Der leidenschaft, in dieser heil'gen nacht
Die ihn umschließt, erwacht der reinste aller sinne --
Doch -- wer versiegelt mir mit unsichtbarer hand
Den kühnen mund, daß nichts unnennbars ihm entrinne?
Verstummend bleib ich stehn an dieses abgrunds rand.
68.
So war der fromme Greis, vor dem mit kindestrieben
Amanda niederfiel. Auch Er, so lang entwöhnt
Zu sehn, wornach das herz sich doch im stillen sehnt,
Ein menschlich angesicht! -- erlabt nun an dem lieben
Herzrührenden, nicht mehr gehoften anblik sich,
Und drükt die sanfte hand der Tochter väterlich,
Umarmt den neuen Sohn zum zweitenmal, und blicket
Sprachlosen dank zu Dem, Der sie ihm zugeschicket.
69. Und
66.
Sie dauren fort, auch wenn die augen ſanftbetaͤubt
Entſchlummert ſind. Wenn dann die morgenſonne
Den ſchauplatz der Natur ihm wieder aufſchließt, bleibt
Die vor'ge ſtimmung noch. Ein glanz von Himmelswonne
Verklaͤret fels und hayn, durchſchimmert und erfuͤllt
Sie durch und durch; und uͤberall, in allen
Geſchoͤpfen, ſieht er dann des Unerſchaffnen Bild,
Als wie in tropfen thau's das bild der ſonne, wallen.
67.
So fließt zulezt unmerklich Erd und Himmel
In ſeinem geiſt in Eins. Sein Innerſtes erwacht.
In dieſer tiefen ferne vom getuͤmmel
Der leidenſchaft, in dieſer heil'gen nacht
Die ihn umſchließt, erwacht der reinſte aller ſinne —
Doch — wer verſiegelt mir mit unſichtbarer hand
Den kuͤhnen mund, daß nichts unnennbars ihm entrinne?
Verſtummend bleib ich ſtehn an dieſes abgrunds rand.
68.
So war der fromme Greis, vor dem mit kindestrieben
Amanda niederfiel. Auch Er, ſo lang entwoͤhnt
Zu ſehn, wornach das herz ſich doch im ſtillen ſehnt,
Ein menſchlich angeſicht! — erlabt nun an dem lieben
Herzruͤhrenden, nicht mehr gehoften anblik ſich,
Und druͤkt die ſanfte hand der Tochter vaͤterlich,
Umarmt den neuen Sohn zum zweitenmal, und blicket
Sprachloſen dank zu Dem, Der ſie ihm zugeſchicket.
69. Und
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[0206] 66. Sie dauren fort, auch wenn die augen ſanftbetaͤubt Entſchlummert ſind. Wenn dann die morgenſonne Den ſchauplatz der Natur ihm wieder aufſchließt, bleibt Die vor'ge ſtimmung noch. Ein glanz von Himmelswonne Verklaͤret fels und hayn, durchſchimmert und erfuͤllt Sie durch und durch; und uͤberall, in allen Geſchoͤpfen, ſieht er dann des Unerſchaffnen Bild, Als wie in tropfen thau's das bild der ſonne, wallen. 67. So fließt zulezt unmerklich Erd und Himmel In ſeinem geiſt in Eins. Sein Innerſtes erwacht. In dieſer tiefen ferne vom getuͤmmel Der leidenſchaft, in dieſer heil'gen nacht Die ihn umſchließt, erwacht der reinſte aller ſinne — Doch — wer verſiegelt mir mit unſichtbarer hand Den kuͤhnen mund, daß nichts unnennbars ihm entrinne? Verſtummend bleib ich ſtehn an dieſes abgrunds rand. 68. So war der fromme Greis, vor dem mit kindestrieben Amanda niederfiel. Auch Er, ſo lang entwoͤhnt Zu ſehn, wornach das herz ſich doch im ſtillen ſehnt, Ein menſchlich angeſicht! — erlabt nun an dem lieben Herzruͤhrenden, nicht mehr gehoften anblik ſich, Und druͤkt die ſanfte hand der Tochter vaͤterlich, Umarmt den neuen Sohn zum zweitenmal, und blicket Sprachloſen dank zu Dem, Der ſie ihm zugeſchicket. 69. Und

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/206>, abgerufen am 23.12.2024.