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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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6.
Rosette that's. Rosette war ein kind,
War auf dem land, dem veilchen gleich, im schatten
Verborgen aufgeblüht, war froh und leichtgesinnt,
Und sah in ihrem künftgen herrn und gatten
Nichts als den mann der sie zur großen Dame macht',
Ihr reiche kleider gab und tausend schöne sachen,
Die kindern, wie sie war, bey tage kurzweil machen;
An andern hatte noch ihr herzchen nie gedacht.
7.
Die hochzeit ward demnach mit großer pracht vollzogen.
Der edle Bräut'gam, zwar ein wenig steif und schwer,
Stapft an Rosettens hand gar ehrenfest einher,
Und wähnt sein taufschein hab um zwanzig ihn belogen.
Was augen hat läuft schaarenweis herbey
Den prächt'gen kirchgang anzustaunen;
Ein stattlich paar, hört man zu beiden seiten raunen,
Sie gleichen sich wie Januar und May.
8.
Rosettens unschuld war, wie in dergleichen fällen
Gewöhnlich ist, des alten Gangolfs stolz.
Er schien am zweiten tag vor hohem mut zu schwellen,
Und schritt einher gerader als ein bolz.
Es war der lezte trieb von einem dürren holz!
Die übel, die sich gern zu grauer Lieb' gesellen,
Begannen bald bey ihm sich reichlich einzustellen;
Je wärmer Röschen ward, je mehr ihr Alter schmolz.
9. Indeß
I 4
6.
Roſette that's. Roſette war ein kind,
War auf dem land, dem veilchen gleich, im ſchatten
Verborgen aufgebluͤht, war froh und leichtgeſinnt,
Und ſah in ihrem kuͤnftgen herrn und gatten
Nichts als den mann der ſie zur großen Dame macht',
Ihr reiche kleider gab und tauſend ſchoͤne ſachen,
Die kindern, wie ſie war, bey tage kurzweil machen;
An andern hatte noch ihr herzchen nie gedacht.
7.
Die hochzeit ward demnach mit großer pracht vollzogen.
Der edle Braͤut'gam, zwar ein wenig ſteif und ſchwer,
Stapft an Roſettens hand gar ehrenfeſt einher,
Und waͤhnt ſein taufſchein hab um zwanzig ihn belogen.
Was augen hat laͤuft ſchaarenweis herbey
Den praͤcht'gen kirchgang anzuſtaunen;
Ein ſtattlich paar, hoͤrt man zu beiden ſeiten raunen,
Sie gleichen ſich wie Januar und May.
8.
Roſettens unſchuld war, wie in dergleichen faͤllen
Gewoͤhnlich iſt, des alten Gangolfs ſtolz.
Er ſchien am zweiten tag vor hohem mut zu ſchwellen,
Und ſchritt einher gerader als ein bolz.
Es war der lezte trieb von einem duͤrren holz!
Die uͤbel, die ſich gern zu grauer Lieb' geſellen,
Begannen bald bey ihm ſich reichlich einzuſtellen;
Je waͤrmer Roͤschen ward, je mehr ihr Alter ſchmolz.
9. Indeß
I 4
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[0141] 6. Roſette that's. Roſette war ein kind, War auf dem land, dem veilchen gleich, im ſchatten Verborgen aufgebluͤht, war froh und leichtgeſinnt, Und ſah in ihrem kuͤnftgen herrn und gatten Nichts als den mann der ſie zur großen Dame macht', Ihr reiche kleider gab und tauſend ſchoͤne ſachen, Die kindern, wie ſie war, bey tage kurzweil machen; An andern hatte noch ihr herzchen nie gedacht. 7. Die hochzeit ward demnach mit großer pracht vollzogen. Der edle Braͤut'gam, zwar ein wenig ſteif und ſchwer, Stapft an Roſettens hand gar ehrenfeſt einher, Und waͤhnt ſein taufſchein hab um zwanzig ihn belogen. Was augen hat laͤuft ſchaarenweis herbey Den praͤcht'gen kirchgang anzuſtaunen; Ein ſtattlich paar, hoͤrt man zu beiden ſeiten raunen, Sie gleichen ſich wie Januar und May. 8. Roſettens unſchuld war, wie in dergleichen faͤllen Gewoͤhnlich iſt, des alten Gangolfs ſtolz. Er ſchien am zweiten tag vor hohem mut zu ſchwellen, Und ſchritt einher gerader als ein bolz. Es war der lezte trieb von einem duͤrren holz! Die uͤbel, die ſich gern zu grauer Lieb' geſellen, Begannen bald bey ihm ſich reichlich einzuſtellen; Je waͤrmer Roͤschen ward, je mehr ihr Alter ſchmolz. 9. Indeß I 4

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/141>, abgerufen am 28.11.2024.