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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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15.
Die dichte rabenschwarze hülle
Die um den himmel liegt, der unbekannte wald,
Und was zum erstenmal in seine ohren schallt,
Der löwen donnerndes gebrülle
Tief aus den bergen her, das, durch die todesstille
Der nacht noch schrecklicher, von felsen widerhallt,
Den mann, der nie gebebt in seinem ganzen leben,
Den machte dies zum erstenmal erbeben!
16.
Auch unser held, wiewohl kein menschensohn
Ihn jemals zittern sah, fühlt doch bey diesem ton
An arm und knie die sehnen sich entstricken,
Und wider willen läufts ihm eiskalt übern rücken.
Allein den Mut, der ihn nach Babylon
Zu gehen treibt, kann keine furcht ersticken;
Und mit gezognem schwert, sein roß stets an der hand,
Erreicht er einen pfad, der sich durch felsen wand.
17.
Er war auf diesem weg nicht lange fortgegangen,
So glaubt er in der fern den schein von feu'r zu sehn.
Der anblick pumpt sogleich mehr blut in seine wangen,
Und zwischen zweifel und verlangen
Ein menschlich wesen vielleicht in diesen öden höhn
Zu finden, fährt er fort dem schimmer nachzugehn,
Der bald erstirbt und bald sich wieder zeiget
So wie der pfad sich senket oder steiget.
18. Auf
15.
Die dichte rabenſchwarze huͤlle
Die um den himmel liegt, der unbekannte wald,
Und was zum erſtenmal in ſeine ohren ſchallt,
Der loͤwen donnerndes gebruͤlle
Tief aus den bergen her, das, durch die todesſtille
Der nacht noch ſchrecklicher, von felſen widerhallt,
Den mann, der nie gebebt in ſeinem ganzen leben,
Den machte dies zum erſtenmal erbeben!
16.
Auch unſer held, wiewohl kein menſchenſohn
Ihn jemals zittern ſah, fuͤhlt doch bey dieſem ton
An arm und knie die ſehnen ſich entſtricken,
Und wider willen laͤufts ihm eiskalt uͤbern ruͤcken.
Allein den Mut, der ihn nach Babylon
Zu gehen treibt, kann keine furcht erſticken;
Und mit gezognem ſchwert, ſein roß ſtets an der hand,
Erreicht er einen pfad, der ſich durch felſen wand.
17.
Er war auf dieſem weg nicht lange fortgegangen,
So glaubt er in der fern den ſchein von feu'r zu ſehn.
Der anblick pumpt ſogleich mehr blut in ſeine wangen,
Und zwiſchen zweifel und verlangen
Ein menſchlich weſen vielleicht in dieſen oͤden hoͤhn
Zu finden, faͤhrt er fort dem ſchimmer nachzugehn,
Der bald erſtirbt und bald ſich wieder zeiget
So wie der pfad ſich ſenket oder ſteiget.
18. Auf
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[0014] 15. Die dichte rabenſchwarze huͤlle Die um den himmel liegt, der unbekannte wald, Und was zum erſtenmal in ſeine ohren ſchallt, Der loͤwen donnerndes gebruͤlle Tief aus den bergen her, das, durch die todesſtille Der nacht noch ſchrecklicher, von felſen widerhallt, Den mann, der nie gebebt in ſeinem ganzen leben, Den machte dies zum erſtenmal erbeben! 16. Auch unſer held, wiewohl kein menſchenſohn Ihn jemals zittern ſah, fuͤhlt doch bey dieſem ton An arm und knie die ſehnen ſich entſtricken, Und wider willen laͤufts ihm eiskalt uͤbern ruͤcken. Allein den Mut, der ihn nach Babylon Zu gehen treibt, kann keine furcht erſticken; Und mit gezognem ſchwert, ſein roß ſtets an der hand, Erreicht er einen pfad, der ſich durch felſen wand. 17. Er war auf dieſem weg nicht lange fortgegangen, So glaubt er in der fern den ſchein von feu'r zu ſehn. Der anblick pumpt ſogleich mehr blut in ſeine wangen, Und zwiſchen zweifel und verlangen Ein menſchlich weſen vielleicht in dieſen oͤden hoͤhn Zu finden, faͤhrt er fort dem ſchimmer nachzugehn, Der bald erſtirbt und bald ſich wieder zeiget So wie der pfad ſich ſenket oder ſteiget. 18. Auf

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/14>, abgerufen am 21.11.2024.