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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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41.
Noch immer wiederhallt der schreckenvolle ton
Des strengen "laßt euch nicht gelüsten"
In seinem ohr; denn wißt, sprach Oberon,
Daß wir uns sonst auf ewig trennen müßten.
Wie meynte das der Geist? es war ein tiefer sinn
In seinem blick; sein aug ward immer ernster, immer
Bewölkter: thränen schwammen drinn,
Und sein gesicht verlohr den sonst gewohnten schimmer.
42.
Dies schwellt mit ahnungen des guten Ritters herz;
Er traut sich selbst nicht mehr; der liebe leichtster scherz
Erwekt die furcht, ob Ob'ron ihn verdamme.
Indessen frißt die eingeschloßne flamme
Sich immer tiefer ein. Die luft, worinn er lebt,
Ist zauberluft, weil Rezia sie theilet;
Ihr athem weht darinn, ihr holder schatten schwebt
Um jeden gegenstand, auf dem sein auge weilet.
43.
Und, o! sie selbst glänzt ihn im Morgenlicht
Im abendroth, im sanften schattentage
Des Mondes an. In welcher schönen lage,
In welcher stellung reizt ihr Nymfenwuchs ihn nicht?
Der schleyer, der vor allen fremden augen
Sie dicht umhüllt, fällt im Gemach zurük,
Erlaubt sogar dem furchtsamkühnen blik
Sich, Bienen gleich, in hals und busen einzusaugen.
44. Er
41.
Noch immer wiederhallt der ſchreckenvolle ton
Des ſtrengen „laßt euch nicht geluͤſten“
In ſeinem ohr; denn wißt, ſprach Oberon,
Daß wir uns ſonſt auf ewig trennen muͤßten.
Wie meynte das der Geiſt? es war ein tiefer ſinn
In ſeinem blick; ſein aug ward immer ernſter, immer
Bewoͤlkter: thraͤnen ſchwammen drinn,
Und ſein geſicht verlohr den ſonſt gewohnten ſchimmer.
42.
Dies ſchwellt mit ahnungen des guten Ritters herz;
Er traut ſich ſelbſt nicht mehr; der liebe leichtſter ſcherz
Erwekt die furcht, ob Ob'ron ihn verdamme.
Indeſſen frißt die eingeſchloßne flamme
Sich immer tiefer ein. Die luft, worinn er lebt,
Iſt zauberluft, weil Rezia ſie theilet;
Ihr athem weht darinn, ihr holder ſchatten ſchwebt
Um jeden gegenſtand, auf dem ſein auge weilet.
43.
Und, o! ſie ſelbſt glaͤnzt ihn im Morgenlicht
Im abendroth, im ſanften ſchattentage
Des Mondes an. In welcher ſchoͤnen lage,
In welcher ſtellung reizt ihr Nymfenwuchs ihn nicht?
Der ſchleyer, der vor allen fremden augen
Sie dicht umhuͤllt, faͤllt im Gemach zuruͤk,
Erlaubt ſogar dem furchtſamkuͤhnen blik
Sich, Bienen gleich, in hals und buſen einzuſaugen.
44. Er
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[0133] 41. Noch immer wiederhallt der ſchreckenvolle ton Des ſtrengen „laßt euch nicht geluͤſten“ In ſeinem ohr; denn wißt, ſprach Oberon, Daß wir uns ſonſt auf ewig trennen muͤßten. Wie meynte das der Geiſt? es war ein tiefer ſinn In ſeinem blick; ſein aug ward immer ernſter, immer Bewoͤlkter: thraͤnen ſchwammen drinn, Und ſein geſicht verlohr den ſonſt gewohnten ſchimmer. 42. Dies ſchwellt mit ahnungen des guten Ritters herz; Er traut ſich ſelbſt nicht mehr; der liebe leichtſter ſcherz Erwekt die furcht, ob Ob'ron ihn verdamme. Indeſſen frißt die eingeſchloßne flamme Sich immer tiefer ein. Die luft, worinn er lebt, Iſt zauberluft, weil Rezia ſie theilet; Ihr athem weht darinn, ihr holder ſchatten ſchwebt Um jeden gegenſtand, auf dem ſein auge weilet. 43. Und, o! ſie ſelbſt glaͤnzt ihn im Morgenlicht Im abendroth, im ſanften ſchattentage Des Mondes an. In welcher ſchoͤnen lage, In welcher ſtellung reizt ihr Nymfenwuchs ihn nicht? Der ſchleyer, der vor allen fremden augen Sie dicht umhuͤllt, faͤllt im Gemach zuruͤk, Erlaubt ſogar dem furchtſamkuͤhnen blik Sich, Bienen gleich, in hals und buſen einzuſaugen. 44. Er

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/133>, abgerufen am 29.11.2024.