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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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6.
Die sonne hatte bald den dritten theil vollbracht
Von ihrem lauf, und immer war's noch nacht
Bey Rezia; so groß war ihr ergötzen,
Den angenehmen traum noch wachend fortzusetzen.
Doch da sie gar zu lang kein lebenszeichen giebt,
Naht endlich Fatme sich dem goldnen Bette, schiebt
Den seidnen vorhang weg, und findet mit erstaunen
Sie hell erwacht, und in der besten aller launen.
7.
Ich hab ihn wiedergesehn, o Fatme, wünsche mir glück,
Ruft Rezia, ich hab ihn wiedergesehen! --
Das wäre! spricht die amm' und sucht mit schlauem blik
Herum, als dächte sie den vogel auszuspähen.
Das Fräulein lacht: Ey, ey, wie ist dein witz so dik?
Ich denke doch, das sollte sich verstehen?
Ich sah ihn freylich nur im traum; allein
Er muß gewiß hier in der nähe seyn.
8.
Mir ahnt's, er ist nicht fern, und sprich mir nichts dagegen,
Wenn du mich liebst! -- "So schweig ich!" -- Und warum?
Was wäre dann am ende so verwegen
An meiner hoffnung? Sprich! wie sollt' ich sie nicht hegen?
Die Amme seufzt und bleibt noch immer stumm.
"Was übersteigt der Liebe allvermögen?
Der Löwenbändiger, der mich beschützt, ist sie,
Und retten wird sie mich, begreif ich gleich nicht wie."
9. Du
6.
Die ſonne hatte bald den dritten theil vollbracht
Von ihrem lauf, und immer war's noch nacht
Bey Rezia; ſo groß war ihr ergoͤtzen,
Den angenehmen traum noch wachend fortzuſetzen.
Doch da ſie gar zu lang kein lebenszeichen giebt,
Naht endlich Fatme ſich dem goldnen Bette, ſchiebt
Den ſeidnen vorhang weg, und findet mit erſtaunen
Sie hell erwacht, und in der beſten aller launen.
7.
Ich hab ihn wiedergeſehn, o Fatme, wuͤnſche mir gluͤck,
Ruft Rezia, ich hab ihn wiedergeſehen! —
Das waͤre! ſpricht die amm' und ſucht mit ſchlauem blik
Herum, als daͤchte ſie den vogel auszuſpaͤhen.
Das Fraͤulein lacht: Ey, ey, wie iſt dein witz ſo dik?
Ich denke doch, das ſollte ſich verſtehen?
Ich ſah ihn freylich nur im traum; allein
Er muß gewiß hier in der naͤhe ſeyn.
8.
Mir ahnt's, er iſt nicht fern, und ſprich mir nichts dagegen,
Wenn du mich liebſt! — „So ſchweig ich!“ — Und warum?
Was waͤre dann am ende ſo verwegen
An meiner hoffnung? Sprich! wie ſollt' ich ſie nicht hegen?
Die Amme ſeufzt und bleibt noch immer ſtumm.
„Was uͤberſteigt der Liebe allvermoͤgen?
Der Loͤwenbaͤndiger, der mich beſchuͤtzt, iſt ſie,
Und retten wird ſie mich, begreif ich gleich nicht wie.“
9. Du
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[0100] 6. Die ſonne hatte bald den dritten theil vollbracht Von ihrem lauf, und immer war's noch nacht Bey Rezia; ſo groß war ihr ergoͤtzen, Den angenehmen traum noch wachend fortzuſetzen. Doch da ſie gar zu lang kein lebenszeichen giebt, Naht endlich Fatme ſich dem goldnen Bette, ſchiebt Den ſeidnen vorhang weg, und findet mit erſtaunen Sie hell erwacht, und in der beſten aller launen. 7. Ich hab ihn wiedergeſehn, o Fatme, wuͤnſche mir gluͤck, Ruft Rezia, ich hab ihn wiedergeſehen! — Das waͤre! ſpricht die amm' und ſucht mit ſchlauem blik Herum, als daͤchte ſie den vogel auszuſpaͤhen. Das Fraͤulein lacht: Ey, ey, wie iſt dein witz ſo dik? Ich denke doch, das ſollte ſich verſtehen? Ich ſah ihn freylich nur im traum; allein Er muß gewiß hier in der naͤhe ſeyn. 8. Mir ahnt's, er iſt nicht fern, und ſprich mir nichts dagegen, Wenn du mich liebſt! — „So ſchweig ich!“ — Und warum? Was waͤre dann am ende ſo verwegen An meiner hoffnung? Sprich! wie ſollt' ich ſie nicht hegen? Die Amme ſeufzt und bleibt noch immer ſtumm. „Was uͤberſteigt der Liebe allvermoͤgen? Der Loͤwenbaͤndiger, der mich beſchuͤtzt, iſt ſie, Und retten wird ſie mich, begreif ich gleich nicht wie.“ 9. Du

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/100>, abgerufen am 24.11.2024.